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"Hinter der Kurve" -Robert Gernhardts Reisenotizen

18.12.2012 - 07:55
Das etwas andere Reisebuch© APA (S. Fischer)Das etwas andere Reisebuch

Robert Gernhardt ist nicht als Reiseautor bekannt, eher als Satiriker, Herausgeber der "Titanic" und Vertreter der Neuen Frankfurter Schule. Reisen und Schreiben gehörten für den 2006 verstorbenen Autor jedoch zusammen, Dutzende Texte sind auf diese Weise zwischen 1978 und 2005 entstanden. Unter dem Titel "Hinter der Kurve" hat der S. Fischer Verlag sie nun veröffentlicht.

Am 13. Dezember hätte das Multitalent, das zeichnete und malte, Gedichte schrieb und von seinen Reisen unzählige Seiten "Notiererei" mitbrachte, seinen 75. Geburtstag gefeiert. Das Buch überrascht mit ausnahmslos lesenswerten Texten, die weit mehr sind als Tagebucheinträge von unterwegs.

Gernhardts Reisenotizen lesen sich so, als würde man einem alten Bekannten beim Erzählen zuhören. Es ist eines dieser Bücher, die man endlos weiterlesen könnte, auch weil es nicht um eine bestimmte Geschichte geht, die dramaturgisch ihrem Ende zusteuert. So hat Gernhardt auch sein Reisen verstanden: als Unterwegssein, als "reine Bewegung ... und kein Ankommen".

Und der Autor war viel unterwegs, fast auf allen Kontinenten. Seine Familie stammte aus Reval, dem heutigen Tallinn, Hauptstadt von Estland. Gleich die ersten Geschichten erzählen von einer Reise dorthin, die Gernhardt mit seiner Frau und seiner Mutter unternommen hat.

Vielleicht sind sie so eindrucksvoll geworden, weil es um die Suche nach den eigenen Wurzeln geht: Im Stadtarchiv entdeckt Gernhardt einen Stuhl, auf dem der Name seines Großvaters eingeschnitzt ist, ein unglaublicher Zufall. Oder eine Inszenierung des jungen Archivars für die zahlungskräftigen Besucher? Wie pointiert und mit dem gewohnten Gespür für Komik Gernhardt dieses Erlebnis schildert, spricht für seine Qualitäten als Reiseautor - dass Kristina Maidt-Zinke die Estlandtexte an den Anfang gestellt hat, für ihr gutes Gespür als Herausgeberin.

Gernhardts Reisen sind für Intellektuelle seiner Generation nicht ungewöhnlich: In der Toskana ist er ohnehin zu Hause. Zürich, Basel und Luzern kennt er genau wie Lissabon und Porto oder Rom, Neapel und Pompeji. Etwas aus dem Rahmen fallen seine Reisen durch Kanada, mit dem Wohnmobil durch die "Wildnis", die oft keine mehr ist. Die Erfahrung, dass dort auch schon mal mehr Touristen als Bären am Waldrand stehen, hat er zu kleinen satirischen Meisterstücken der Reiseliteratur verarbeitet. In Bangkok fühlt er sich den Reiseführern ausgeliefert, die ihre Gruppen von Basar zu Basar bis zur nächsten Schlangenfarm schicken. In Jakarta hat er das Gefühl, die Musikbeschallung im Hotel sei die Rache der Einheimischen an den Touristen.

Das Schreiben über solche Erfahrungen hat oft etwas Anekdotenhaftes. Aber Gernhardt macht immer beides: vom Reisen erzählen und übers Reisen reflektieren, zum Teil in kurzen Passagen, die mehr Aphorismus als Prosa sind. Nichts davon klingt dick aufgetragen. Und am liebsten würde man noch viel mehr von solchen Texten lesen, bis man sich in Erinnerung ruft, dass Gernhardt nicht mehr schreibt: Er starb am 30. Juni 2006. "Hinter der Kurve" lässt das für eine Zeitlang vergessen.

INFO: Robert Gernhardt: "Hinter der Kurve - Reisen 1978 - 2005", S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 295 Seiten, Euro 20,60, ISBN 978-3-10-025513-6

(APA/dpa)

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