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Schnitzeljagd durch Obamas Chicago

11.09.2012 - 11:59
Friseur Zariff schneidet dem Präsidenten die Haare© APA (dpa)Friseur Zariff schneidet dem Präsidenten die Haare

Seitdem Barack Obama Präsident der USA ist, gibt es in Chicago eine neue Touristenattraktion: Obama-Touren. Sie führen zu seinem Friseur, seinem Lieblingsimbiss und zu seinem Haus im Villenviertel Kennwood. Nur eine Station sollten Besucher lieber meiden.

Der arme Mann. Ganz grau ist er geworden in letzter Zeit. Zwei Kriege, globale Wirtschaftsflaute, die Immobilienkrise, miese Arbeitsmarktzahlen und fiese Opposition - kein Wunder, oder? Doch Zariff scheint unbesorgt. "Genau richtig für sein Alter", findet der Friseur und lächelt. Zariff sollte es wissen. Schließlich schneidet er die Haare von Barack Obama schon seit 18 Jahren.

Klein, schmal und unscheinbar ist sein Ladenlokal in Chicago. Glasfenster reichen von der Decke bis zum Boden. Leuchtreklame flimmert draußen. Drinnen spielt leise Soulmusik. Ein kleiner Junge ist unter blauem Frisierumhang eingenickt. Der Vater telefoniert. Elektrische Haarschneider surren. Und Muhammad Ali in Boxerpose schaut von einem Poster auf ein halbes Dutzend gepolsterte Drehstühle hinab.

Typisch Barbershop, wenn da nicht der ominöse Frisiersessel unter Glas wäre, gleich links am Eingang. Auf dem hat der 44. US-Präsident höchstpersönlich gesessen. Zariff, einen Nachnamen verwendet der Haarkünstler nicht, ist mächtig stolz darauf und will den Stuhl für die Nachwelt erhalten. Davor ist eine Fotografie montiert: Saloninhaber links, Zariff rechts, Obama in der Mitte. Der Wahlkampfslogan "Change we can believe in" ("Wandel, an den wir glauben können") steht in Silberlettern darüber. "Schrecklich zottelig" soll Obama ausgesehen haben, als er den Salon betrat. Er wurde Stammkunde und der "Hyde Park Salon" Pilgerstätte.

Wenn Daddy nicht gerade im White House regiert, wohnt Familie Obama nur ein paar Straßen weiter im benachbarten Kenwood. Es ist eine alte Villengegend mit schattigen Bäumen und Multikulti-Flair. Die University von Chicago ist gleich um die Ecke, wo Professor Obama von 1992 bis 2004 Jus unterrichtete.

Selbstverständlich wird das dreistöckige Backsteinhaus im Georgianischen Baustil heute streng bewacht. Je sechs Schlaf- und Badezimmer soll es haben, einen Weinkeller für 600 Flaschen und hochherrschaftliche Säulen vor dem Eingang. Sicherheitsleute bewachen das Eckgrundstück. Schlechte Aussichten für Zaungäste.

Davon gibt es viele. Natürlich spazieren Chicago-Besucher weiterhin durch den Millennium Park mit der spiegelnden Cloud-Gate-Skulptur, die einen fallenden Quecksilbertropfen darstellen soll, aber wie eine außerirdische Riesenbohne aussieht. Sicher bewundern sie Chicagos imposante Architektur, eine himmelsstrebende Wolkenkratzer-Welt aus Stahl, Glas und Beton. Naturkunde- und Kunstmuseum, Aquarium und Planetarium, schicke Shoppingmeile und der Amüsierkai Navy Pier - alles da. Doch Chicagos Sehenswürdigkeiten haben Konkurrenz bekommen: Obama-Touren.

Wie ein Groupie kommt man sich vor, auf Schnitzeljagd nach "Homeboy" Barack. Treffen wird man ihn nicht. Dafür aber interessante Einheimische, wie Marsha Goldstein zum Beispiel, die dem Präsidenten auf Empfängen schon die Hand geschüttelt hat. Wer nicht allein mit dem Stadtplan losziehen möchte, kann sich mit ihr als Reiseführerin auf Trampelpfade durch "Obamaville" begeben. Nur zum Südende Chicagos, wo Barack Obama prägende politische Erfahrungen sammelte, "da fahre ich nicht hin", sagt die resolute Mitsechzigerin entschieden.

Fabriken und Stahlwerke haben lange dicht gemacht, Diebesbanden, Straßengangs und Drogendealer das Vakuum gefüllt. In den späten 1980ern, als sich Obama gegen Asbest in Sozialwohnungen engagierte, sei es in der Far South Side schon schlimm zugegangen. Aber das sei kein Vergleich zu heute, warnt Marsha, schüttelt die Lockenmähne und wackelt mit dem Zeigefinger: "Lebensgefährlich!"

Obamas Büro als Community Organizer war damals in einer katholischen Pfarrei (351 E. 113th Street) und so winzig, dass Meetings angeblich im nächsten McDonald's (600 E. 115th Street) bei Big Mac und Cola stattfanden. Die Trinity United Church of Christ (532 W. 95th Street), wo Obama am 3. Oktober 1992 Michelle Robinson heiratete, lag nur wenige Autominuten entfernt. 1995 zog die Gemeinde vier Blöcke weiter.

"Gucken wir uns lieber den Ballsaal an", sagt Marsha und lenkt ihren Mercedes-Geländewagen zum South Shore Cultural Center (7059 S. South Shore Drive). Bogenfenster hat die Festhalle, eine rosa-weiße Zuckerbäcker-Stuckdecke und mächtige Kronleuchter. Darunter haben die Frischvermählten getanzt.

Getroffen hatte Barack Obama seine große Liebe im Sommer 1989. Im ersten Jahr als Jusstudent in Harvard arbeitete er in den Semesterferien als Praktikant bei der renommierten Kanzlei Sidley & Austin. Die junge Rechtsanwältin Michelle Robinson wurde ihm als Mentorin zugewiesen.

"She had him at hello", schwärmt Marsha Goldstein, als wäre sie dabei gewesen. Was soviel bedeuten soll, dass es schon bei der Begrüßung um Barack geschehen war. Erste Avancen wies Michelle als unpassend zurück. Endlich ließ sie sich überreden, ihn zum Baskin-Robbins-Eisladen (1400 E. 53rd Street) in Hyde Park zu begleiten. Der erste Kuss hat nach Schokolade geschmeckt, steht im Obama Buch "Hoffnung wagen".

Michelle habe ihn gebeten, erzählte ihr Bruder Craig Robinson später gern, den neuen Boyfriend auszuchecken. Sport offenbart den wahren Charakter. Also warfen die beiden auf dem Freiluft-Plätzen South Lake Shore Ecke Hayes Drive ein paar Körbe. Hier treffen sich Basketballfans spontan zum Spiel. Nein, Obama kenne er leider nicht persönlich, sagt Chris Trueman, im Streifentrikot und mit Trillerpfeife. Von Freunden habe er zwar gehört, dass der hier oft aufgetaucht sein soll, sogar nachdem Obama 1996 zum Senator gewählt worden war. Doch im East Bank Health Club sei Trueman immerhin schon mit dessen Schwager um die Wette gelaufen.

Auch Obama zählt zu den 10.000 Mitgliedern des teuren Innenstadt-Fitnessclubs (500 N. Kingsbury Street), der einen kompletten Straßenzug am Ostufer des Chicago Rivers belegt. Ein Monatsbeitrag kostet bis zu 175 US-Dollar (rund 142 Euro). Dafür tragen die Angestellten aber Anzug. Mitarbeiterin Erin Conley erinnert sich nicht, wann sich der Präsident hier das letzte Mal trimmte. Man hat den Eindruck, sie würde es sowieso nicht ausplaudern. "Ich glaube, die Töchter kommen noch manchmal", sagt die junge Frau betont unbestimmt.

Seine Mittagspause verbringt der Präsident bescheiden bei Beef Brisket - ein Berg von Rinderbrustaufschnitt zwischen dünnen Roggenbrotscheiben und Kartoffelpfannkuchen - zum Beispiel in "Manny's Deli" (1141 South Jefferson Street). Zum Nachtisch darf's dann Kirschkuchen sein, weiß Dan Raskin, Enkel des Cafeteria-Gründers. Beim jüngsten Besuch musste Obama zwei Stunden Händeschütteln. Das zeigen Ausschnitte in Dauerschleife auf dem Flachbildschirm im Essraum. Seither ist Pause. Aber sein oberster Wahlkampfstratege David Axelrod war noch vor fünf Minuten hier. "Du hast ihn gerade verpasst", sagt Raskin.

Besondere Anlässe feiert das Ehepaar Obama gern etwas feiner im Vier-Sterne-Restaurant "Spiaggia" (980 N. Michigan Avenue). Jakobsmuscheln mit scharfer Würstchenpaste und Morcheln bestellt Mister President für gewöhnlich. Mehr ist dem zugeknöpften Empfangsherrn nicht aus der Nase zu ziehen.

Hyde Park-Kenwood ist privat. Hier wurden die Töchter geboren, hier sind Reinigung, Pizzeria, Barbershop und Lieblings-Buchladen. Weil er Mitglied ist, signierte Obama die ersten Exemplare seiner beiden Bücher in "57th Street Books" (1301 E 57th Street), einer kleinen Kooperative im Kellergeschoss. Beim ersten Mal kamen 50 Leute. Beim zweiten Mal ging die Warteschlange um den Häuserblock. "Wir vermissen ihn", bedauert Managerin Laura Prail, verrät aber nicht, was die Präsidentfamilie so liest. Seit seiner Wahl kommt Obama nicht mehr.

Darum parkt wohl auch Obamas ehemaliger Frisiersessel unter Glas. Zariff schneidet nur noch auf Termin. Der "Obama Cut" ist seine Spezialität: ein extra kurzer Putz, besonders hinten und an den Seiten, der anscheinend besonders bei kleinen Jungen beliebt ist und 21 Dollar (17 Euro) kostet. "Mehr bezahlt Obama auch nicht", sagt der sanfte Zwei-Meter-Mann mit den Schaufelhänden und dem Drachentattoo auf dem Unterarm. Zariff war einmal Kampfsportlehrer. Alle zwei Wochen soll der Präsident ihn extra einfliegen lassen. Stimmt das? "Ich bin der einzige, der seine Haare schneidet", antwortet Zariff ausweichend und lächelt: "We get it done!" - Wir schaffen das! Klingt wie der Slogan für die nächste Wahl.

INFO: Chicago: http://www.choosechicago.com; Obama Tour My Kind Of Town: http://www.mykindoftown.net; Obama Tour Tours-R-Us Chicago: http://www.toursruschicago.com

(APA/dpa)

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