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Demonstranten in Hongkong trotzen dem Vermummungsverbot

05.10.2019 - 12:43
Bei einem ungenehmigten Marsch wurde in Hongkong wieder protestiert© APA (AFP)Bei einem ungenehmigten Marsch wurde in Hongkong wieder protestiert

Hunderte meist maskierte Demonstranten haben am Samstag in Hongkong dem neu erlassenen Vermummungsverbot getrotzt. Bei einem ungenehmigten Marsch durch ein Einkaufsviertel protestierten sie gegen Polizeibrutalität und die Regierung. Nach den schweren Ausschreitungen am Freitagabend sprach Regierungschefin Carrie Lam von einer "sehr dunklen Nacht".

Sie rechtfertigte ihren Rückgriff auf die Notstandsgesetze und die Verhängung des Vermummungsverbotes. Die extreme Gewalt habe eindeutig gezeigt, dass die öffentliche Sicherheit Hongkongs in Gefahr sei, sagte Lam am Samstag.

Die Gewalt habe ein bisher nicht da gewesenes Ausmaß erreicht. "Das ist der konkrete Grund dafür, dass wir gestern auf die Notstandsgesetze zurückgreifen mussten, um das Vermummungsverbot zu verhängen." Es sei nicht länger hinnehmbar, dass Aufständische Hongkong zerstörten, sagte Lam mit Blick auf die Demonstranten. Viele von ihnen tragen Masken, um ihre Identität in den zunehmend von Auseinandersetzungen begleiteten Protesten gegen die Führung zu schützen.

Die Proteste waren im Laufe des Abends eskaliert und in Chaos umgeschlagen. Radikale Kräfte bauten Straßenblockaden, warfen Brandsätze, demolierten U-Bahn-Stationen und Geschäfte. "Die Stadt ist heute halb gelähmt", sagte Lam. Die Regierung werde mit "äußerster Entschlossenheit" gegen Gewalt vorgehen.

Eigentlich waren an diesem Wochenende in der chinesischen Sonderverwaltungsregion kaum Proteste geplant. Doch die überraschende Verhängung des Vermummungsverbotes mit einem Rückgriff auf ein fast 100 Jahre altes koloniales Notstandsgesetz hat die Spannungen wieder verschärft. Es gibt Regierungschefin Carrie Lam noch viel weiter reichende Vollmachten.

In einem ungewöhnlichen Schritt war das U-Bahnnetz, das sonst täglich Millionen von Passagieren transportiert, auch am Samstag zunächst stillgelegt. Der Dienst auf allen Linien war am Vorabend gestoppt worden, weil Randalierer Stationen demoliert und Brände gelegt hatten. Auch der Airport Express fuhr erst am frühen Nachmittag Ortszeit wieder von der Innenstadt zum internationalen Flughafen.

Aus Angst vor neuen Ausschreitungen blieben am Samstag viele Einkaufszentren geschlossen. Auch hatten Geschäfte und Banken zu, die Beziehungen zu China haben und deswegen zum Ziel von Protestaktionen werden könnten. Selbst der legendäre Hongkonger Jockey Club sagte alle Pferderennen ab. In sozialen Netzwerken gab es Aufrufe zu neuen Demonstrationen, aber auch den Vorschlag, "einen Tag Pause" einzulegen.

Nachdem am Dienstag ein 18 Jahre alter Schüler bei schweren Zusammenstößen von einem Polizisten angeschossen worden war, gab es in der Nacht auf Samstag ein zweites Schussopfer bei den Protesten. Ein erst 14-Jähriger wurde im nördlichen Stadtteil Yuen Long von einem Polizisten in den Oberschenkel getroffen.

Während es zunächst geheißen hatte, der Polizist sei nicht im Dienst gewesen, teilte die Polizei in der Nacht mit, ein Beamter in Zivil habe "einen Schuss in Selbstverteidigung" abgegeben. Sein Leben sei ernsthaft bedroht gewesen. Er sei von einer "großen Gruppe von Aufrührern" angegriffen worden. Laut Polizei zündeten die Demonstranten eine Benzinbombe und schlugen auf den am Boden liegenden Beamten ein.

In einem Video in sozialen Netzwerken war zu sehen, wie der Polizist verprügelt wurde. Dann wurde ein Brandsatz auf ihn geworfen, der ihn kurz in Flammen hüllte. Doch konnte er dem Feuer entkommen. Ihm entglitt die Waffe. Er holte sie jedoch vom Boden zurück, bevor ein Demonstrant sie aufgreifen konnte. Als der Beamte im Gesicht blutend versuchte, über das Handy Hilfe zu rufen, landete ein weiterer Brandsatz brennend vor seinen Füßen. Daraufhin habe er geschossen, um sich zu verteidigen, erklärte die Polizei. Ob der Vorfall tatsächlich direkt im Zusammenhang mit der Verletzung des 14-Jährigen steht, war zunächst aber unklar.

Das Vermummungsverbot gilt seit Mitternacht. Es dürfte jedoch erst langsam umgesetzt werden, weil die Polizisten noch instruiert werden müssen, wie sie vorgehen sollen. Experten zeigten sich auch skeptisch, ob es radikale Demonstranten abschreckt. Sie hätten sich trotz angedrohter Haftstrafen bei illegalen Versammlungen nicht davon abhalten lassen, auf der Straße an verbotenen Protestmärsche teilzunehmen, wurde argumentiert.

Obwohl für den Bann das fast 100 Jahre alte Notstandsgesetz bemüht wurde, betonte Regierungschefin Lam, dass sie nicht den Notstand ausrufe. Das Gesetz "für Notfälle und bei öffentlicher Gefahr" hatten die britischen Kolonialherren 1922 erlassen und nur zweimal angewandt wurde: Um im selben Jahr einen Streik von Seeleuten niederzuschlagen sowie 1967 bei Unruhen prokommunistischer Kräfte.

Das Gesetz unter Kapitel 241 ermöglicht weitere Notstandsmaßnahmen, "die als notwendig im öffentlichen Interesse betrachtet werden". Ausdrücklich genannt werden unter anderem Zensur, erleichterte Festnahmen und Haftstrafen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme und die Unterbrechung von Kommunikationsnetzwerken.

Justizministerin Theresa Cheng wollte nicht ausschließen, dass die Regierung mit Hilfe des Notstandsrechtes noch weitere Schritte beschließen könnte, wie die "South China Morning Post" berichtete. Genannt wurden unter anderem längere Haftzeiten für Festgenommene. Bisher wurden mehr als 2000 Demonstranten festgenommen. Viele sind nach Kautionszahlungen auf freiem Fuß, bis sie vor Gericht erscheinen müssen.

Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie mit einem eigenen Grundgesetz nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" autonom regiert. Die sieben Millionen Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, genießen aber - anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik - mehr Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um die sie jetzt fürchten.

(APA/dpa/ag.)

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