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EU bricht Tabu; Lage auf Zypern beruhigt

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EU bricht Tabu; Lage auf Zypern beruhigt

20.03.2013
Bankeinlagen sind angreifbar geworden - nicht nur auf Zypern.

 2008: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. (…) Es geht um nicht mehr oder weniger als um das Vertrauen in die Gesellschaftsordnung."

2011: Die EU beteuert neuerlich, dass die Bankeinlagen ihrer Bürger bis zu einer Höhe von 100.000 Euro geschützt sind.

2013, Freitag, 16. März: Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Euro-Staaten beschließen, Zypern mit einem Hilfskredit über 10 Mrd. Euro vor der Staatspleite zu bewahren. Im Gegenzug soll Zypern 7 Mrd. für die Rettungsaktion selbst auftreiben, 5,8 sollen durch eine einmalige Abgabe von Bankkunden direkt kommen. Der Plan: Von 20.000 bis 100.000 Euro Guthaben ist eine Abgabe von 6,75 Prozent vorgesehen, oberhalb von 100.000 Euro von 9,9 Prozent.

Bis 18.3. konnte die zypriotische Regierung die Euro-Finanzminister überzeugen, Sparer mit bis zu 20.000 Euro auf dem Konto zu verschonen.

Am 19.3. wird das Modell der Zwangsabgabe im zypriotischen Parlament komplett abgeschossen. Das wäre allerdings Voraussetzungen für die Hilfskredite gewesen. Ohne diese ist Zypern im Mai, spätestens Juni pleite.

Am Sonntag, 24.3., wurde ein Rettungspakt auf den letzten Drücker ausverhandelt.

Am Donnerstag, 28.3., werden die Banken auf Zypern nach 10-tägiger Schließung erstmals wieder geöffnet. Die möglichen Geldbewegungen sind stark limitiert, um zu verhindern, dass die verunsicherten Kunden ihre Konten leerräumen - was keine Bank überleben würde.

Bis Dato bleibt der Sturm auf die Banken aus, am ersten Tag wurden moderate 300 Mio. € behoben. Die Medien loben die Gelassenheit der Bevölkerung; Präsident Anastasiades versichert, dass Zypern in der Eurozone bleibt.

Am Dienstag, 2.4., tritt Finanzminister Michalis Sarris zurück.

Am Mittwoch, 3.4., folgt ihm Charis Georgiades nach; Zypern einigt sich mit dem IWF über das Hilfsprogramm von 1 Mrd. Euro.

 

Pandora’s Büchse ist dennoch geöffnet

Dass europäische Steuerzahler zur Kassa gebeten werden, wenn der Finanzsektor eines Mitgliedlandes kracht, ist nichts Neues. Aber erstmals ist es Thema, direkt auf die Guthaben der Kunden von Pleitebanken zuzugreifen.

Dass dieses Vorgehen konträr zu den bisherigen Versprechungen ist, unterstreicht Hans-Peter Grüner im Handelsblatt: "Will man Einlagen sichern, dann darf es keinen staatlichen oder europäischen Schutz für Bankaktionäre geben."

Auch in der Marktwirtschaft verläuft die Nahrungskette normaler Weise anders: Kommt etwa eine Bank in Schwierigkeiten, bluten zuerst die Aktionäre (als Eigentümer und Träger sowie Profiteure des unternehmerischen Risikos), dann müssen Investoren bzw. Zeichner von Anleihen (sprich: die dem Unternehmen direkt Geld geborgt haben) daran glauben. Danach wäre theoretisch ein Zugriff auf die Einlagen über den von der EU garantierten 100.000 Euro möglich.

Warum aber gibt es diese scheinbare Willkür beim Handling von Pleiten im europäischen Finanzsektor? Andrea Hodoschek (Kurier) kennt die Antwort: "Jetzt rächt sich, dass die EU bis heute keine Regeln für eine geordnete Banken-Insolvenz hat."

 

Sonderfall Zypern?

Zwei Drittel der Spareinlagen im Steuerparadies mit praktischen Geldwaschanlagen kommen aus dem Ausland, allein russische Oligarchen sollen rund 20 Mrd. Euro dort geparkt haben.

Für diese Superreichen aus EU-Solidarität zu bluten – das können die EU-Finanzminister ihren Bürgern nicht so leicht schmackhaft machen. Andererseits will man sich’s offensichtlich auch nicht mit den potenten Investoren aus Russland und der Ukraine verscherzen. Und so sind die einfachen Sparer ins Visier der Rotstifte geraten.

"Eine marktferne Bankenrettung à la Eurozone also. (...) Dafür sorgen schon die diversen Bankenlobbys, die die Finanzministerien offenbar effizient unterwandert haben." (Josef Urschitz, Die Presse.)

Gewiss, es musste bereits zurückgerudert werden: Die Kleinanleger bis 20.000 Euro sollen nun doch verschont bleiben. Der Schaden ist aber schon angerichtet: Die EU hat die heilige Kuh der Privatkonten geschlachtet.

 

 Blaues Auge oder Bank Run?

Die Theorie, dass sich Sparer über diesen Haircut sogar freuen müssten, stellt Christian Rickens im Spiegel auf: "Ohne Rettungspaket wäre Zypern die Staatspleite gewiss. Das wiederum würde das Aus für das marode Bankensystem des Landes bedeuten. Dann wären die Einlagen der zyprischen Sparer nicht zu 6,75 oder 9,9, sondern zu einem weit höheren Prozentsatz verloren."

Auch wenn die Banken bis Donnerstag geschlossen bleiben, um die Situation zu kalmieren und einen Bank Run zu verhindern – es wäre beinahe ein Wunder, wenn diese aufgeladene Situation mit verzweifelten Kleinkunden und russischen Oligarchen, die mittlerweile mit Learjet in Zypern gelandet sind, noch geordnet aufgelöst werden kann. Die Märkte und Sparer sind entsprechend nervös. Nicht nur auf Zypern.

"Der Eurogruppe war offenbar nicht bewusst, dass sie mit Sprengstoff hantierte." (Holger Steltzner, Frankfurter Allgemeine.)

"Wenn heute die Sparer auf Zypern rasiert werden – wer sagt uns, dass dies nicht morgen oder übermorgen auch bei uns möglich ist? Und warum eigentlich nur die Besitzer von Sparbüchern? Wieso nicht auch die Eigentümer von Immobilien und Edelmetallen? Die Aktionäre? Oder die Besitzer von Lebensversicherungen?" (Roland Klaus, Wallstreet online.)

 

Sascha Bém

 

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