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Papst: Jahrhunderträtsel und Mafiamythos

Foto: Martin Pezzei, Presseamt Diözese Bozen-Brixen

relevant Redaktion

Papst: Abgesang zwischen Jahrhunderträtsel und Mafiamythos

21.02.2013
Die skurrilen Seiten eines epochalen Abgangs.

Der Rücktritt eines Papstes galt bis vor wenigen Tagen als etwas völlig Unvorstellbares. Gegenwärtig maximal vergleichbar mit dem freiwilligen Abgang von Erwin Pröll. Also wirklich realitätsfern.

Nun ist es aber dennoch geschehen, und nicht nur die Würdenträger im Vatikan ringen nach Luft, auch die Medienwelt weiß nicht so recht, was mit einem derart epochalen Ereignis anzufangen ist. Die meisten Pressestimmen schwingen daher zwischen betroffenem Lamento und gloriosen Chorälen. Aber: auch Papst-Berichterstattung kann unterhalten!

 

Das Jahrhundert-Missverständnis

Vielleicht lacht sich der Ponti-ex (Copyright: Maschek) jetzt ins Fäustchen, wenn er sieht, wie Journalisten angesichts seines Abgangs die Nerven und ihr Handwerk wegschmeißen. Etwa bei der Frage, wann zuletzt vor Benedikt XVI. ein Papst zurückgetreten ist.

Auf 600 Jahre tippen etwa die Süddeutsche Zeitung, die Daily Mail, die Los Angeles Times und der San Francisco Chronicle. Für 700 Jahre wiederum sind Der Spiegel sowie die ARD Tagesschau. Dem Team "Seit 800 Jahren nicht geschehen" sind Der Stern und die Berliner Morgenpost angehörig.

In die etwas umständliche Rechnung, es sei zum zweiten Mal in 2000 Jahren passiert, flüchten sich Die Zeit, Der Focus und Der Tagesspiegel.

Die Auflösung hat Wikipedia: Papst Gregor XII. ist 1415 zwar ebenfalls nicht im Amt gestorben, wurde aber während des Abendländischen Schisma (zeitweilige Spaltung der Kirche) gegangen. Coelestin V. war also 1294 der letzte freiwillige Rücktritt vor Benedikt XVI.. (2013 – 1294 = 719.)

 

Sportlich um die Nachfolge

Bei der rasanten Disziplin "Papst-Rücktritt", bei der eine Bewegung in Jahrhunderte zerhackt wird, ist naheliegend, dass sich die italienische Repubblica an den Formel-1-Zirkus erinnert fühlt und nach "Kandidaten in Poleposition" fragt. Kirchen-Insider Marco Ansaldo lässt sich ebendort vom Sportfieber anstecken: "Das Match wird zwischen Italienern und dem Rest entschieden."

Der Guardian fühlt sich wiederum an die olympischen Spiele erinnert: "Wird das Gastgeberland den Titel zurückerobern, oder wird der tapfere kleine Kardinal aus Honduras etwa Gold holen?"

Die New York Times ist da etwas abgebrühter und weiß, wer das Sagen hat – nämlich ein mächtiger katholischer Apparat, der keinem Außenseiter eine Chance lässt, egal wie lange er Anlauf nimmt: "Die Wahl neuer Päpste erinnert an Charlie Brown, der immer wieder versucht, den Ball zu treten – in der Hoffnung, Lucy wird kooperieren."

Die Welt sehnt sich nach einem Alleskönner statt nach Charlie Brown: "Nach dem beispiellosen Rücktritt (…) hoffen viele auf die katholische Wollmilchsau – den liberal-konservativen, europäischen Drittwelt-Papst."

 

Die Mafia!

Natürlich schreit – wir haben schließlich alle Tom Hanks in "The Da Vinci Code" gesehen – ein Papst-Abgang geradezu nach Verschwörungstheorien. Die Zeit beobachtet Mystisches: "Benedikt wirkte mit fortschreitender Amtszeit zunehmend verängstigt, nachdenklich, fast schon gebrochen, oft abwesend in die Ferne starrend, als ob er sich zuinnerst ganz woanders aufhielte als in jenen päpstlichen Gewändern, in denen sein Körper gerade steckte."

Die Kleine Zeitung setzt nach und weiß Genaueres: "Der Ex-Papst muss in die geschützte Isolation. Die Schweizer Garde wird noch genauer kontrollieren, wer die Tore zum Vatikan durchschreitet. Aller Voraussicht nach wird der berühmteste Privatier der Welt wieder in einer schwarzen Soutane durch die Vatikanischen Gärten wandeln."

Wie gewohnt behält lediglich die Tageszeitung Österreich kühlen Kopf: "Benedikt zerbrach an den Intrigen. Hinter den Kulissen litt Benedikt am Einfluss der Vatikan-Mafia". Ein Gewitter mit Blitzschlag in den Petersdom am Tag nach der Rücktrittsankündigung legt eine Deutung nahe: "Göttliches Zeichen?"

 

Adieu & Baba Ratzi

Was bleibt, ist Abschied nehmen – jeder auf seine Art: "Weiß Gott, was auf die Kirche zukommt" (Die Welt); "Iam vero absum" (dt.: „Ich bin dann mal weg" – Hamburger Morgenpost); "Wir sind Mensch!" (Bild); "Gott sei Dank" (taz.die tageszeitung).

 

Sascha Bém

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