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"S21" & Co.: Öffentliche Hand im Gatsch

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Stuttgart 21 & Co.: Öffentliche Hand im Gatsch

21.02.2013
Ist die öffentliche Hand beim Spatenstich im Spiel, ist Chaos vorprogrammiert

Stuttgart 21 droht zu scheitern. Wieder einmal. Kurz die Fakten zu dem prestigeträchtigen Bahnhofsprojekt: Budgetiert waren 4,5 Milliarden; jetzt geht die Deutsche Bahn von bis zu 6,8 Milliarden Euro Kosten aus. Geplante Eröffnung 2020; jetzt sieht es nach 2024 aus.

Damit reiht sich "S21" brav ein in die Gruppe der öffentlichen Bauprojekte, bei denen die Kosten explodieren, die Fertigstellung in nebulose Ferne rückt und sich alle Verantwortlichen bis auf die Knochen blamieren. Ist die öffentliche Hand beim Spatenstich im Spiel, scheint das Chaos vorprogrammiert, und zwar natürlich nicht nur in Deutschland: Flughafen Berlin Brandenburg, Nürnburgring, Hamburger Elbphilharmonie, Skylink (jetzt "Check-in 3") am Flughafen Wien Schwechat, Wiener Hauptbahnhof, Brenner Basistunnel… - um nur ein paar Beispiele zu nennen.

 

Inkompetenz oder/und System?

Es ist naheliegend – wie Holger Gayer von der Stuttgarter Zeitung – schlicht und einfach Dilettanten am Werk zu wähnen: "Zu verantworten hat dieses Desaster (Stuttgart 21, Anm.) eine Vereinigung von Managern und Politikern, die eklatant versagt hat."

Die Frage ist aber: Hat dieser Pfusch nicht System? Eindeutig ja – zumindest laut dem Karlsruher Wirtschaftsprofessor Werner Rothengatter, dessen Fazit nach einer Prüfung von Stuttgart 21 lautet: "Wer mit wahren Zahlen operiert, verliert." Es wird also tendenziell eine mehr als optimistische Zeit- und Kostenschätzung vorgelegt, um der geneigten Wählerschaft Großprojekte schmackhaft zu machen.

Worin der Anreiz liegt, beschreibt Martin Ferber in der Augsburger Allgemeinen: "Groß denken, groß handeln, groß bauen. Politiker lieben es gerne eine Nummer größer. Es ist schließlich nicht ihr Geld, sondern das der Steuerzahler, das sich leicht ausgeben lässt. So ist die Verführung groß, sich ein Denkmal zu setzen."

 

Eitelkeit vs. Rechenstift

Die Diskrepanz zwischen pompösem Vorhaben und für den Steuerzahler geschönte Investitionssummen führt zwangsläufig zu einem bösen Erwachen. Aber halb so wild, meint Julian Stech im General Anzeiger Bonn: "Für die Mehrkosten haften die Politiker nicht; die Verluste werden meist sozialisiert." Und manchmal sogar exportiert: Wenn Stuttgart 21 in sich zusammenfällt, würde das laut Andre Exner vom Wirtschaftsblatt heftige Wellen bis nach Österreich schlagen: "Das lässt Auftragnehmer zittern – darunter die Österreicher Porr, Strabag  und Alpine, die zusammen Aufträge über mehr als zwei Milliarden € erhalten haben."

Ob es soweit kommt, hängt – natürlich – wenig von ökonomischen Faktoren ab. Ivo Marusczyk kommentiert für die Tagesschau: "Ob Stuttgart 21 aufs Abstellgleis fährt oder nicht, diese Frage ist aber noch lange nicht beantwortet. Wann die Schmerzgrenze erreicht ist, das ist keine wirtschaftliche Frage, sondern eine politische." 

 

Fakt: Öffentliche Bauherren versagen

Der deutsche Verkehrsminister Ramsauer will gegenüber Jochen Gaugele in Die Welt nicht verstehen, warum der Staat als Bauherr keine gute Figur machen soll. Ramsauer: "Bei Stuttgart 21 ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen der Bauherr: die Deutsche Bahn AG."

Gewiss, die Rechtsform ist eine Aktiengesellschaft, Inhaber der Aktien ist allerdings zu 100 Prozent die Bundesrepublik Deutschland. Die Welt außerhalb Ramsauers Logik versteht wohl etwas Anderes unter einer privatwirtschaftlichen Struktur. Die Politik braucht auch gar nicht versuchen, ein Faktum weg zu argumentieren: Bei einer groß angelegten Studie der Universität Oxford kam nämlich heraus, dass  9 von 10 öffentliche Bauprojekte das geplante Budget sprengen.

Sie werden also alle immer teurer, und zwar überall. Als Kriterium bleibt vielleicht wenigstens ein ästhetischer Wert, der das Geldverbrennen irgendwann in Vergessenheit geraten lässt. Da hat die Oper in Sydney (damals rund 100 Mio. A$ statt 10 Mio. A$) wohl die besseren Karten als beispielsweise der Wiener Pratervorplatz (ca. 60 Mio. € statt 32 Mio. €).

Sascha Bém

 

 Aktuelle öffentliche Bauprojekte zum Vergleich:

 

  KOSTEN  
  geplant real
Stuttgart 21 4,5 Mrd. € 5,6-6,8 Mrd. €
Flughafen Berlin Brandenburg 2,8 Mrd. € 4,3 Mrd. €
"Skylink" Schwechat 400 Mio. € 770 Mio. €
Wiener Hauptbahnhof 420 Mio. € 1 Mrd. €
     
  FERTIGSTELLUNG  
  geplant real
Stuttgart 21 2020 2024
Flughafen Berlin Brandenburg Okt. 2011 2014/2015
"Skylink" Schwechat 2008 2012
Wiener Hauptbahnhof 2011 2013/2015

 

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