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Fall Staudinger: Rebell auf lauten Sohlen

Herbert Pfarrhofer/APA/picturedesk.com

relevant Redaktion

Heinrich Staudinger: Rebell auf lauten Sohlen

01.02.2013
Der Schuhhersteller finanziert seine Firmeninvestitionen mit privaten Krediten. Die Finanzmarktaufsicht ortet einen Gesetzesverstoß, die Bevölkerung ein Finanzierungsmodell mit Zukunft.

Genau einen Monat ist es her, dass Parlamentspräsidentin Barbara Prammer eine Petition mit 11.000 Unterschriften zur Unterstützung von Heinrich Staudinger übergeben wurde. Der Unternehmer beschäftigt in seiner Werkstätte in Schrems (Waldviertel) rund 130 Mitarbeiter, die neben Schuhen mittlerweile auch Betten, Möbel und Taschen fertigen.

Staudinger gilt als gleichermaßen brisanter wie origineller Präzedenzfall in der heimischen Wirtschaft. Der Oberösterreicher finanziert seine Investionen mit Hilfe von privaten Geldgebern ("Crowdfunding"). 

Anerkennend skizziert Florian Klenk von der Wochenzeitschrift Falter die persönliche Motivation des 59-Jährigen: "Staudinger glaubt, dass man einander nicht ausbeuten muss, um Erfolg zu haben. Dass es reicht, wenn er nur maximal doppelt so viel verdient wie seine Schuster, die einen Tausender netto kriegen. Dass die Banken den Unternehmern nicht helfen, sondern sie knechten."

 

Ein Projekt für eine Region

Ihren Lauf nimmt die Geschichte des ungewöhnlichen Firmenprojektes im Jahr 1984. Der ausgebildete Schuster und Theologe Karl Immervoll gründet eine Schuhwerkschatt in Schrems, um Langzeitarbeitslosen eine Beschäftigung zu bieten. Das Prinzip: Die Mitarbeiter fertigen nach dänischem Vorbild sogenannte Erdenschuhe - bequemes Schuhwerk, das umweltschonend hergestellt wird. Vom damaligen Sozialminister Alfred Dallinger (SPÖ) mit einem Startkapital unterstützt, kooperiert Immervoll mit Heinrich Staudinger, der die Schuhe in seinem Geschäft GEA (Abkürzung für "Gesunde Alternative") in der Wiener Innenstadt an den Mann bringt.

Als die Waldviertler Werkstätte in den 1990er-Jahren vor dem Aus steht, übernimmt Staudinger, der seit kurzem auch am Unternehmen beteiligt ist, zur Gänze die Geschäfte.

 

Banken spielen nicht mit

Von dem in die Pleite geschlitterten Strumpfhersteller Ergee will er eine leerstehende Fabrikshalle in Schrems übernehmen, um die Produktion auszuweiten und weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Die drei Millionen Euro, die der Unternehmer dafür benötigt, gewährt ihm die Bank nicht. Stattdessen kürzt ihm diese den Kreditrahmen. Und das, obwohl die Firma zu diesem Zeitpunkt bereits wieder solide wirtschaftet.

Doch der Zeitgeist arbeitet gegen die Interessen des Oberösterreichers: Die Banken orientieren sich vor allem am Marktwert der Waldviertler Firmengebäude, die - so bewertet - zur Besicherung von Krediten nicht mehr taugen, wie Staudinger - nicht nur mit Blick auf sein eigenes Projekt - bemängelt.

Eine Meinung, die Michael Fiedler von FM4 offenbar teilt: "Damit benennt Staudinger eines der großen Probleme, die durch die Finanzkrise entstanden sind. Bereits getätigte Investitionen sind praktisch nichts mehr wert. Das gilt für das Waldviertel, aber mehr noch für Spanien (Stichwort Immobilienblase) und Griechenland (wo erschwerend dazukommt, dass ein flächendeckendes Grundbuch erst im Aufbau ist)."

 

Kampf mit der Finanzmarktaufsicht

Staudinger hilft sich selbst und gründet einen Sparverein, in den private Förderer des Unternehmens zu einem Jahreszins von vier Prozent einzahlen können. Über diesen Weg kommt er zu den erforderlichen drei Millionen Euro, die er für den Firmenausbau benötigt. Dabei macht der Oberösterreicher aus seinem Finanzierungsmodell gegenüber den Behörden keinen Hehl.

Erst nach Jahren jedoch beginnt sich die Finanzmarktaufsicht (FMA) dafür zu interessieren. Sie wittert hinter der Initiative Staudingers einen Verstoß gegen den Anlegerschutz, spricht von einem "Bankgeschäft ohne Konzession". Denn: Nur Banken dürften Zinsen für Spareinlagen ausbezahlen. Staudinger müsse daher eine eigene Genossenschaft gründen oder offizielle Unterlagen über die Unternehmensanleihe veröffentlichen, wolle er seinen Sparverein weiterhin betreiben. Aus Kostengründen lehnt er diesen Weg ab.

Die FMA fordert den Unternehmer daraufhin auf, sämtlichen Privatanlegern fristgerecht deren Geld zurückzuerstatten. Das wiederum kommt für diese nicht in Frage. Eine Crux, für die der Gesetzgeber keinen Ausweg im Sinne Staudingers und vergleichbarer Fälle parat hält.

Für Sibylle Hamann ein anschauliches Beispiel, wie mit zweierlei Maß gemessen wird. In ihrem Kommentar für Die Presse resümiert sie mit Unterton: "Die Finanzmarktaufsicht fand 'Meinl European Land' ganz in Ordnung. Den Sparverein für Waldviertler Schuhe will sie zerschlagen. Besser kann man nicht illustrieren, was bei den Banken schiefläuft."

 

Breite Unterstützung

Die Unterstützung durch die Bürger ist dem Firmeninhaber, der für eine entsprechende Gesetzesnovelle kämpft, jedenfalls sicher, wie Karl Leban von der Wiener Zeitung bestätigt: "Im November konnte Staudinger um 25 Prozent mehr Schuhe ('Waldviertler') verkaufen, obwohl der heurige November (2012, Anm.), weil er zu warm war, 'nicht ideal' für die Schuhbranche gewesen sei."

Umso beeindruckender aus Sicht von Christoph Zotter von Die Zeit, denkt er an das Produkt selbst: "Heinrich Staudingers Schuhe sind weder schön noch schick. Dafür machen sie ihre Träger zu besseren Menschen. (...)  Die etwas klobigen Gesundheitsschuhe sind zum Kennzeichen einer Generation geworden, die soliden Werten den Vorzug gibt vor feschen Labels."

Staudingers Fall hat mittlerweile auch das Interesse der ausländischen Presse geweckt. Beispielsweise der Neuen Zürcher Zeitung, deren Autor Matthäus Kattinger einen Weg aus dem Dilemma sucht: "Auch wenn die FMA formal im Recht ist, ist der Fall Staudinger immerhin ein Anlass, neue Formen der Finanzierung von Kleinstbetrieben, wie es auch Schwarm-Finanzierungen sind, bei denen Kunden und Freunde kleinere Beträge investieren, zu überdenken."

Dabei ist dem Unternehmer parteipolitische Unterstützung sicher, ergänzt Josef Achleitner von den Oberösterreichischen Nachrichten: "Für die Grün-Partei ist 'der Heini' so etwas wie eine unternehmerische Leitfigur in ihrem Sinne."

 

"Bürgerrecht vor Bankenrecht"

Staudinger jedenfalls ist bereit, für "Bürgerrecht vor Bankenrecht" zu kämpfen und scheut dabei auch nicht, gegebenenfalls durch alle Instanzen zu gehen. Die zahlreichen Unterstützer seiner Initiative geben ihm recht. Ob es der Gesetzgeber letztlich tun wird, wird sich weisen. Das letzte Wort ist auf jeden Fall noch nicht gesprochen. 

 Ute Rossbacher

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