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Ägypten: Bürger proben zweite Revolution

Mohammed Abed/AFP/picturedesk.com

relevant Redaktion

Ägypten: Bürger proben zweite Revolution

28.11.2012
Um das mächtige Militär seines Landes in Schach zu halten, setzt Präsident Mursi die noch junge Demokratie aufs Spiel. Dabei macht er - wie einst sein Amtsvorgänger - die Rechnung ohne die Bürger.

Hunderttausende protestieren in Kairo - am und um den legendären Tahrir-Platz - gegen die Politik ihres Staatsoberhaupts, Präsident Mursi. Zuletzt versammelten sich so viele Menschen Anfang 2011 auf den Straßen, um dessen Amtsvorgänger Hosni Mubarak zu stürzen.

Mursi hatte in der vergangenen Woche mit einer umstrittenen Entscheidung die Bürger auf den Plan gerufen. Sein jüngstes Dekret sichert dem islamistischen Politiker nahezu uneingeschränkte Macht. So darf das Gericht bis zur nächsten Parlamentswahl die zum "Schutz der Revolution getroffenen Entscheidungen" (O-Ton Mursi) nicht anfechten; darüberhinaus genießt die von Islamisten dominierte verfassungsgebende Versammlung künftig Immunität. Das heißt, jene kann durch die Justiz nicht aufgelöst werden.

Kritiker sprechen von einem "Staatsstreich", bezeichnen den im Juni gewählten Präsidenten als "Diktator" und "neuen Pharao". Mursi selbst rechtfertigt seine Maßnahmen. Diese würden den "Gegnern im Ausland und einigen Überbleibseln des alten Regimes, die nicht wollen, dass Ägypten auf die Beine kommt", gelten.

 

Mursi vs. Militär 

Steve Clemons von The Atlantic zeigt sich von den aktuellen Entwicklungen in Ägypten nur wenig überrascht: "Bedenkt man die zerrüttete politische Kultur des Landes und die unsichere und instabile Lage, wäre es naiv zu glauben, dass ein ägyptischer Führer (...) automatisch und erfolgreich das politische Gebilde Ägypten auf die Pfeiler der Staatskunst und der Kontrolle stellt."

Naiv hält Noah Feldman in seinem Gastkommentar für Bloomberg dagegen die Mittel, die Mursi angewandt hat, räumt jedoch ein: "Der Kampf zwischen den gewählten Islamisten und der Armee ist nicht vorüber. Genaugenommen ist Mursis Dekret ein Teil davon. Für ihn ist das Gericht ein Werkzeug des Militärs, das er vorsorglich aus dem Spiel nehmen wollte."

Für den amerikanischen Autor ist die Demokratie in Ägypten nicht verloren. Doch er will noch Beweise sehen: "Mursi muss klar machen, dass er immer noch an das System glaubt, das ihm ins Amt verholfen hat."

 Für Tinneke Beeckman von der belgischen Tageszeitung De Standaard ist es damit noch nicht getan: "Ist Demokratie in Ägypten möglich? Grundsätzlich ja, wenn Demonstranten nicht nur einen Gegenentwurf zur Diktatur entwickeln, sondern auch ein Konzept für eine demokratische Alternative zur Hand haben."

Das sei das Gebot der Stunde, denn, so die spanische Tageszeitung El País in ihrem Leitartikel mahnend: "Entscheidend ist, ob Ägypten letztlich eine islamistische Republik wird oder nicht."

Abhängen wird diese Frage auch von dem Verhalten der Vertreter der Justiz, die sich derzeit mit aller Kraft gegen Mursis Kurs stemmen. Ihr Aufbäumen weiß der Politologe Politologen Hamadi El-Aouni gegenüber Johannes Kuhn von der Süddeutschen Zeitung zu deuten: "Anders als zum Beispiel in Tunesien ging es der Justiz in Ägypten nie darum, ein einfaches ausführendes Organ des Präsidenten zu sein. Die Folgen dieses traditionellen guten Ansehens der ägyptischen Justiz bekommen nun die Muslimbrüder mit aller Härte zu spüren."

 

Proteste und der nächste Schritt

Denn die Bürger haben deutlich gemacht, die Willkür der politischen Führung zu Gunsten der noch jungen Demokratie beenden zu wollen. Damit hat Mursi offenbar nicht gerechnet, versuchte er doch zuletzt, die aufgebrachte Menge zu beschwichtigen. Diese jedoch will sich mit Lippenbekenntnissen nicht mehr zufrieden geben und setzt den nächsten Schritt. Der Oberste Berufungsgerichtshof ist eben in Streik getreten, unterstützt von geschätzten 300.000 Menschen Ägyptens.

Ute Rossbacher

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