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Schiefergas: goldene Zeiten für die USA?

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relevant Redaktion

Schiefergas: goldene Zeiten für die USA?

13.11.2012
In den Tiefen der Erde lagert ein Gas, von dem sich die USA die Sicherung ihrer Energieversorgung versprechen. In Europa herrscht Skepsis. Denn das Verfahren birgt Gefahren für Mensch und Umwelt.

In diesem Jahr soll uns ein langer, kalter Winter bevorstehen. Lang und kalt - das bedeutet auch entsprechend hohe Energiekosten, die das private Budget belasten und Europa in guter Regelmäßigkeit die Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen vor Augen führen.

 

Schiefergas für mehr Unabhängigkeit

Einen Ausweg aus diesem Dilemma suchen die USA bereits seit langer Zeit und sind auch fündig geworden. Die Lösung ihrer Energieversorgungsprobleme glauben sie im Schiefergas gefunden zu haben, das in tief gelegenen Gesteinsschichten in großen Mengen lagert.

Die größten Vorkommen werden in den USA, China und Argentinien vermutet, weltweit wird die Gesamtmenge auf 700 Billionen Kubikmeter geschätzt, wie Stefano Casertano von The European weiß und mehr als das: "Bis 2030 soll das Ziel der Energieunabhängigkeit (für die USA, Anm.) realisiert sein. Es ist eine verlockende Vision: Die USA könnten dann endlich darauf verzichten, dem Nahen Osten so viel Aufmerksamkeit zu schenken."

Bereits seit zehn Jahren fördern amerikanische Energiekonzerne Schiefergas bzw. -öl, darunter im US-Bundesstaat Pennsylvania mit einem der größten Vorkommen; und wie André Ballin von Der Standard weiß, allein im vergangenen Jahr 200 Milliarden Kubikmeter. Möglich macht das alles eine Gesetzesnovelle aus der Zeit der Regierung Bush, die das umstrittene Verfahren (genannt: Fracking) von den Vorschriften zum Schutz des Trinkwassers entbunden hat.

 

Verfahren mit Risiken

Das ist umso heikler, als das Verfahren zur Förderung von Schiefergas als komplex und risikoreich gilt. Das Handelsblatt erklärt jenes anschaulich: "Ein flüssiges Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien wird in den Boden gepresst, so dass Risse im Gestein entstehen. Durch sie entweicht das Gas und gelangt an die Oberfläche."

Auf einen heiklen Punkt weist in diesem Zusammenhang Werner Grundlehner (Neue Zürcher Zeitung) hin: "In 1000 bis 2000 Metern Tiefe leben Bakterien, die sich sehr heftig vermehren, sobald ihr Lebensraum angebohrt wird. Auf Dauer würden sie alles verstopfen und die Förderung blockieren. Deswegen mischt man Biozide in die Bohrflüssigkeit."

 

Sinkende Energiepreise

Die Regierung Obama setzt den eingeschlagenenen Pfad angesichts der verheißungsvollen Aussichten dennoch fort. Allein Pennsylvania, wo mittlerweile laut arte rund 4.500 Bohrtürme stehen, hat die Förderung von Schiefergas laut Angaben von Eliza Griswold (Gastkommentar in der New York Times) 23.000 neue Jobs beschert und die Abwanderung vorerst eingedämmt.

Die stark sinkenden Energiepreise beflügeln landesweit die amerikanische Industrie, ihre Produktion wieder in ihre Heimat zurückzuholen, und entlasten obendrein Privathaushalte finanziell.

Frank Stocker von Die Welt gibt Einblick in ein mögliches neues goldene Zeitalter: "Die USA, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu großen Teilen deindustrialisiert wurden und für das wirtschaftliche Wachstum stattdessen lange Zeit auf den Finanzsektor setzten, stehen damit vor einer dramatischen Veränderung ihrer wirtschaftlichen Struktur."

 

Vorbehalte in Europa

Während Politik und Wirtschaft in den USA jubeln, hält sich die Euphorie in Europa merklich in Grenzen. Umweltschützer fürchten die Vergiftung des Grundwassers, die Zunahme von Erdbeben und Krebserkrankungen unter Anrainern.

Unbegründet sind diese Bedenken nicht, wie ein Blick ins englische Blackpool offenbart, bestätigt Jürgen Krönig von Die Zeit: "Quadrilla Ressources (ein amerikanisches Unternehmen, Anm.) hatte Testbohrungen durchführen lassen – mit Erfolg. Als die Region von einem leichten Erdbeben heimgesucht wurde, mussten die Bohrungen abgebrochen werden."

Die Bedenken der Kritiker schürt überdies der dokumentarische Kinofilm "Gasland" des US-Regisseurs Josh Fox, der auch Werner Grundlehner von der Neuen Zürcher Zeitung nachhaltig beschäftigt: "Im Gedächtnis haften bleibt eine Szene, in der ein Hausbesitzer seinen Wasserhahn öffnet, Wasser fließen lässt und das Wasser mit einem Streichholz entzündet."

Mit ähnlich abschreckenden Szenarien wartet auch der bereits im Vorfeld vieldiskutierte Spielfilm "Promised Land" mit Matt Damon in der Hauptrolle auf (Kinostart: voraussichtlich Ende des Jahres), der den Zusehern die Auswirkungen des Fracking-Verfahrens am Beispiel von Pennsylvania anschaulich vor Augen führt und die "Horrorgeschichten über Gaslecks, faules Trinkwasser, Springfluten, kleine Erdbeben und Krebsrisiken" (so Marc Pitzke von Der Spiegel) anheizt.

An einem Einwand ist da höchstens Emmeran Eder von finanzen.net gelegen: "Was die meisten Kinogänger nicht wissen, ist, dass die Trinkwasserversorgung in Amerika anders funktioniert als in Europa." Viele Bürger im ländlichen Raum hätten, so der Autor, ihren Brunnen nämlich noch selbst gegraben. 

 

Vorerst kein Thema in Österreich

Die EU-Staaten, die laut Andrew Rettman von euobserver.com gemeinsam auf geschätzten 14 Billionen Kubikmeter Schiefergas sitzen, konnten sich bislang auf keine einheitliche Linie verständigen. Während sich etwa die britische Regierung dafür ausspricht, bleiben Länder wie Deutschland skeptisch. Hierzulande sorgt bereits seit dem Sommer ein Gesetz dafür, dass jeder Schiefergas-Bohrung eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorangehen muss.

Die OMV hat im September nicht zuletzt deshalb zwei für 2013 geplante Testbohrungen im niederösterreichischen Weinviertel ad acta gelegt. Abschreckend für das Unternehmen wirkten wohl nicht nur der Widerstand der Bürger, sondern auch die Kosten, die sich schon ohne UVP auf 130 Millionen Euro belaufen hätten. Und mit einer UVP wohl noch höher ausgefallen wären.

Ute Rossbacher

 

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