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"Borgen" sehen, Politik verstehen

ARTE France/ © Mike Kollöffel/DR

relevant Redaktion

"Borgen" sehen, Politik verstehen

01.01.2013
Einer dänischen TV-Serie über den Alltag einer Premierministerin gelingt es, das erlahmende Interesse an Politik neu zu entfachen. Und das weltweit.

Nicht nur Thomas Kunze zeigt sich in der aktuellen Ausgabe der Programmzeitschrift Hörzu von der Nachhaltigkeit der dänischen Polit-Serie "Gefährliche Seilschaften" (Originaltitel: "Borgen" = Name des dänischen Regierungssitzes) beeindruckt: "Laut einer Studie der Universität Kopenhagen interessieren sich die Dänen seit der Ausstrahlung stärker für echte Politik – ja finden sie sogar spannend."

 

Politik - "spannend und temporeich"

Die 2010 erstmals in Dänemark gesendete Serie über den steilen Aufstieg der politischen Newcomerin Birgitte Nyborg und ihren herausfordernden Alltag als Premierministerin - ein Amt, für dessen Erlangung die verheiratete Mutter zweier Kinder einen hohen Preis zahlt - geht unter die Haut, weil sie nichts ausspart. Ob Korruption in höchsten Kreisen, der zweifelhafte Ankauf überteuerter Militärflugzeuge aus dem Ausland, parteipolitische Intrigen und Winkelzüge, Politiker, die nur ihrem Eigeninteresse folgen - viele Episoden erinnern frappant an politische Verhältnisse hierzulande.

Das empfinden offenbar auch Zuseher in anderen Staaten so, wenn sie an ihre Regierungen denken. Peter Sich von der Süddeutschen Zeitung etwa, der seiner Begeisterung für die packend und kurzweilig erzählte Serie freien Lauf lässt: "Selten wurde Politik so spannend und temporeich erzählt. Die Action liegt im Dialog - bei den Koalitionsverhandlungen im rustikal-gemütlichen Interieur oder in wilden Fernsehdebatten."

Ähnlich reagiert Ian Hyland von der britischen Daily Mail der mittels Schlagwörtern den Lesern Appetit auf die Serie zu machen versucht: "Es geht um Bündnisse, Sex-Affären, Alkoholismus und erbarmungslos unmoralische Spin-Doktoren."

Das Stichwort für Alessandra Stanley von der New York Times, die den Machern von "Borgen" Rosen streut: "Es ist bemerkenswert, wie viel Spannung und Psychologie sie allein aus der Kabinettsumbildung herausholen."

Darauf von dem Fernsehsender arte, der die zweite Staffel zuletzt immer donnerstags im Hauptabendprogramm zeigte (einsfestival wiederholt heute (Dienstag) die Serie), angesprochen, antwortet "Borgen"-Erfinder Adam Price: "Wer die Fernsehnachrichten sieht, weiß nichts von eventuellen Mauscheleien zwischen Journalisten und Spindoktoren. Unsere Idee war es, den Vorhang zu lüften und zu sagen: Schaut euch das an!"

Anders als ihr Arbeitskollege Bo Lidegaard ("Das Ergebnis ist ein unterhaltsames, aber vereinfachtes Drama über die Beziehung zwischen Politikern und Medien") ist Marie Hjortdal von der dänischen Zeitung Politiken von diesem Konzept überzeugt: "Wie es scheint, hat Adam Price damit den Nerv getroffen."

Was der vielgelobte Autor gegenüber der französischen Zeitung Le Nouvel Observateur indirekt bestätigt: "'Borgen' hat die öffentliche Diskussion angeheizt. Die Menschen reden wieder verstärkt über politische Themen, aber auch die Rolle der Medien."

 

Alle wollen "Borgen"

Marjolaine Jarry (Le Nouvel Observateur) nimmt dieses Statement zum Anlass für Selbstkritik im großen Stil: "Wie gelingt es einem Land, das gerade einmal 5,5 Millionen Einwohner hat, seine TV-Produktionen erfolgreich ins Ausland zu exportieren, während französische Ware meist nur in Frankreich gesendet wird?"

Tatsache ist: Die internationalen TV-Stationen in Europa, den USA, Südamerika, Asien und Australien reißen sich um die Senderechte an der mehrfach ausgezeichneten Serie, die in Dänemark zu Spitzenzeiten von mehr als 40 Prozent der Bevölkerung gesehen wurde und auch in anderen Ländern - darunter Großbritannien - Topquoten erzielte.

Eine Erklärung hat Adam Price gegenüber arte: "Die (in der Serie, Anm.) angesprochenen Probleme können jede westliche Demokratie betreffen."

Für Newsweek-Autor Andrew Romano ist es jedoch weit mehr als nur das: "Es gibt nichts, worauf die USA stolzer sind, als die Erfindung der modernen Demokratie. Man könnte daher meinen, dass Serien über die Demokratie eigentlich unsere Stärke sein müssten. Umso mehr schmerzt es mich zu sagen, dass uns die Dänen in dieser Disziplin überholt haben. Die beste Politik-Serie aller Zeiten kommt nämlich aus Dänemark und heißt 'Borgen'."

Die Produktion stammt aus der Schmiede des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders DR1, der nicht erst mit dieser Serie weltweites Interesse an dänischer Fernsehware weckte.

Die britische Journalistin Maggie Brown von The Guardian wollte es ganz genau wissen und stattete der Rundfunkanstalt einen Besuch ab. Ihr anerkennendes Resümee: "Bei jährlichen Einnahmen, die gerade einmal ein Achtel der BBC-Einnahmen ausmachen, gelingt dänischen TV-Verantwortlichen, Produzenten und Autoren seit gut 20 Jahren das Kunststück, kostengünstige Produktionen auf höchstem Niveau hervorzubringen."

Die Regel sei einfach: keine Nachahmungen, keine Adaptionen. Das Motto: ein Autor, eine Vision. In kleinsten Teams werde mit größtmöglichen kreativen Freiheiten und ohne zeitlichen Druck an Geschichten und deren Details gefeilt. Im Falle der Serie "Gefährliche Seilschaften" mit großem Erfolg: In Dänemark wird bald die dritte Staffel ausgestrahlt, in den übrigen Staaten läuft demnächst die zweite an.

 

Das Gesetz der Serie

Erwiesen ist es nicht, dennoch sind nicht wenige Dänen davon überzeugt, dass "Borgen" weit über das Fernsehen hinaus Wirkung zeigt. Als Beispiel dient ihnen dabei die aktuelle Politik: Im Herbst 2011, ein Jahr, nachdem die erste Staffel in Dänemark gelaufen war, wurde Helle Thorning-Schmidt als erste Frau in der dänischen Geschichte zur Premierministerin gewählt ...

Ute Rossbacher

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