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GB: Fall Savile überschattet BBC-Jubiläum

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Fall Savile überschattet BBC-Jubiläum

09.11.2012
Der BBC-Moderator Jimmy Savile genoss in Großbritannien Kultstatus. Von seinen Schattenseiten war bislang wenig bekannt. Oder wollte man es nicht so genau wissen? - Feststeht: Scotland Yard steckt in den Ermittlungen zu einem weitreichenden Missbrauchsskandal. Und die BBC in einer tiefen Krise.

Am 14. November wird die renommierte BBC 90 Jahre alt. Doch nach Feiern ist derzeit in den Studios der britischen Rundfunkanstalt kaum jemandem zumute. Das liegt nicht nur an den massiven Einsparungen und Stellenkürzungen, die das Unternehmen hinter bzw. noch vor sich hat, sondern am größten britischen Missbrauchsskandal, der seit Wochen die Schlagzeilen beherrscht. Denn im Zentrum der Verdächtigen steht ausgerechnet eine Ikone der BBC: Jimmy Savile.

 

BBC verspielt ihr Kapital: Vertrauen

Der Moderator und Entertainer, der vor allem von den 1960er- bis 1980er-Jahren mit erfolgreichen Shows landesweit die Samstagabendunterhaltung prägte, dank seines unermüdlichen Engagements für benachteiligte Kinder und Jugendliche zu höchsten Ehren im Königreich kam und die Gunst von Spitzenpolitikern wie Margaret Thatcher genoss, soll über 40 Jahre hinweg minderjährige Mädchen und Jungen sexuell belästigt bzw. vergewaltigt haben.

Den Stein ins Rollen brachte eine Dokumentation des britischen Privatsenders ITV am 3. Oktober dieses Jahres, die mutmaßliche Opfer der bislang unantastbaren Fernseh-Legende zeigte. Seitdem haben sich mehr als 300 weitere Betroffene gemeldet. Scotland Yard verfolgt insgesamt rund 400 Spuren, die laut Angaben britischer Medien auch ins Ausland führen, darunter Österreich.

Jimmy Savile selbst können die Vorwürfe nicht mehr treffen: Er ist im vergangenen Herbst 84-jährig verstorben und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, bei der er beliebt wie kaum ein anderer seiner Zunft war, beerdigt worden.

Dafür muss sich jetzt die BBC umso mehr unliebsame Fragen gefallen lassen. Denn es ist schwer zu glauben, dass der Rundfunkanstalt in all den Jahren die pädophilen Neigungen ihres Star-Moderators zur Gänze verborgen blieben. Zumal es bereits in der Vergangenheit immer wieder Vorwürfe durch junge Erwachsene gegen Savile gab, deren Anzeigen aber stets im Sande verliefen. Wie das möglich war, kann sich die Redaktion des Guardian nur so erklären: "Die Wahrheit ist, dass sexuelle Gewalt immer noch zu wenig ernst genommen wird, und Opfern zu oft unterstellt wird, sich freiwillig dafür hergegeben zu haben." 

Von besonderer Brisanz ist dabei, dass Jimmy Savile seine groß angelegten Spendensammlungen für Kinderheime und -spitäler im Auftrag der BBC offenbar dazu nutzte, sich Zutritt zu Minderjährigen zu verschaffen.

Dass BBC-Reporter kurz nach Saviles Tod an einem Bericht über dessen dunkle Seiten arbeiteten, der Beitrag aber aus noch ungeklärten Gründen nicht gesendet wurde, trägt auch nicht gerade zur Entlastung der schwer erschütterten Rundfunkanstalt bei; vor allem, da es dessen Führung vorzog, den exzentrischen Moderator und bekennenden Junggesesellen mit einer Sondersendung im Weihnachtsprogramm zu würdigen.

 

Die Marke Savile - "mächtig und unantastbar"

Warum in den Reihen der Journalisten und Institutionen niemand den Mut fand, zeitlebens an dem Mythos Jimmy Savile zu rühren, ist vielen ein Rätsel. Nicht so dem aus Großbritannien stammenden Chris Jones, der in seinem Kommentar für die Chicago Tribune resümiert: "Als Marke war Savile so mächtig und unantastbar, dass es bereits genügte, wenn er ein paar wenige Drohungen ausstieß, damit die neugierigen Reporter an anderer Stelle nach Beweisen für Gerüchte über minderjährige Missbrauchsopfer suchten."

Und letztlich auch fündig wurden - Stichwort: Gary Glitter.

Wenn in dieser Lage so mancher Kommentator die Vorfälle der Vergangenheit mit der neu entdeckten Freizügigkeit der 1960er- und 1970er-Jahre erklären will, erhebt die Redaktion des Magazins The Economist entschieden Einspruch: "So weit ist der Nachskriegs-Sex denn doch nicht entfernt. Damals wie heute war Sex mit Mädchen, die jünger als 16 waren, verboten."

 

Wer glaubt den Opfern?

Aus Sicht von Eileen Fearweather vom Telegraph ein teuflischer Kreislauf: "Savile kam nicht nur zu gute, dass bei Kindesmissbrauch immer noch weggesehen wird, sondern auch der eigenartige Schutz, den so viele Missbrauchstäter genießen: die Verweigerung, den Opfern zu glauben." 

Das bestätigt auch der ehemalige Profi-Sportler Brian Moore, der - selbst Missbrauchsopfer - in seinem Gastkommentar für den New Statesman betont: "Warum ich wie auch viele Opfer von Savile nicht darüber gesprochen haben, ist, weil wir nicht davon ausgingen, dass uns jemand glaubt."

Verheerend in diesem Fall: Jimmy Savile galt, wie auch Chris Jones (Chicago Tribune) betont, als Idol der britischen Jugend, da er "wie ein Lieblingsonkel gewesen und cooler als unsere Eltern" gewesen sei.

 

Ein Skandal, der weite (hohe) Kreise zieht

Neben ihm sollen übrigens weitere angesehene Bürger der britischen Gesellschaft an den Missbrauchstaten beteiligt gewesen sein, weswegen in der Presse immer häufiger von einem "Pädophilen-Ring" die Rede ist. Zu dem Kreis der Verdächtigen soll dabei auch ein hochrangiger Politiker der Regierung Thatcher zählen, dessen Name bislang noch ein gut gehütetes Geheimnis ist.

Nicht nur deshalb beschäftigt der Skandal um Jimmy Savile auch die Politik: Die Regierung Cameron plant, ihm nachträglich alle Ehrentitel abzuerkennen; mehrere Gemeinden haben bereits öffentliche Namenstafeln zur Würdigung des Moderators abmontiert oder Straßen, die nach ihm benannt waren, umbenannt. Auf Wunsch der Hinterbliebenen wurde der Grabstein von Jimmy Savile an einen unbekannten Ort gebracht.

Finlo Rohrer von der BBC knüpft an derlei Gesten die Hoffnung, dass diese den Opfern zumindest ein Fünkchen Trost bringen mögen, wenn sie schon nicht das Erbe des Moderators verschwinden lassen.

 

Die BBC im freien Fall

Für die BBC ist die Sache jedenfalls noch lange nicht ausgestanden. In Erwartung eines langfristigen Image-Schadens urteilt The Economist: "Auf die staatliche Rundfunkanstalt könnten noch teure Forderungen der Missbrauchsopfer zukommen. Von einer Höhe so großer Wertschätzung kann die BBC nur tief fallen."

Dessen ist sich auch die Rundfunkanstalt bewusst und verspricht lückenlose Aufklärung. Für die Hunderten Opfer bitter, weil zu spät.

Ute Rossbacher

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