Quelle: ZAMG

Interviews

Weitere Meinungsthemen

Biosprit E10: Aufschub statt Einführung

Robert Schlesinger/EPA/picturedesk.com

relevant Redaktion

Biosprit E10: Aufschub statt Einführung

18.09.2012
E10 wird in Österreich vorerst nicht eingeführt werden. Dass der Biosprit bei unseren deutschen Nachbarn umstritten und ein Ladenhüter ist, hat gute Gründe.

Am 1. Oktober 2012 sollte der "Biosprit" E10 (besteht zu 10 % aus pflanzlichem Alkohol, gewonnen aus Mais, Weizen und/oder Zuckerrohr) den Kraftstoff Eurosuper an den heimischen Tankstellen ersetzen. Nach intensiv geführten Debatten und Einwänden von Autofahrerklubs und Kritikern gab Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) am (gestrigen) Montag nun das vorläufige Aus von E10 in Österreich bekannt.

 

Abschreckendes Beispiel Deutschland

Unsere deutschen Nachbarn können bereits seit Anfang 2011 E10 tanken, tun es aber kaum. Diverse Warnungen lassen nämlich die Autofahrer aus Sorge um ihren Wagen lieber zum wesentlich teureren Super Plus greifen.

Dass die Skepsis nicht unberechtigt ist, bestätigt der deutsche Autofahrerklub ADAC. Denn: Nicht für alle Autos ist E10 geeignet; speziell älteren Modellen drohen Schäden.

Die Oberösterreichischen Nachrichten berichten unter Berufung auf den Arbö, dass der Kraftstoff auch hierzulande für 10 - 20 % der Autos (entspricht 200.000 bis 400.000 Fahrzeuge) nicht in Frage komme. Weitere Bedenken äußert Gabriele Starck von der Tiroler Tageszeitung: "Statt uns aus den Fängen der Erdöl-Lobby zu befreien und neue Technologien zu forcieren, liefern wir uns zusätzlich den Agrariern aus."

Tatsächlich stößt der etappenweise Umstieg auf Biotreibstoff die Tür zu neuen unliebsamen Folgen auf. Aufrüttelnd der Befund von Gerd Appenzeller für Der Tagesspiegel: "Die Weltmarktpreise für Weizen und Mais sind in kurzer Zeit um 75 Prozent gestiegen, auch weil die Hungernden der Dritten und der Zweiten Welt mit den Biospritproduzenten in den Industrienationen, vor allem in den USA, um die knapper werdenden Ressourcen kämpfen."

Ganz in dessen Sinne setzt Matthias Breitingers von Die Zeit die Gegenargumentation fort: "Umweltschützer warnen, dass – um den Ertrag zu steigern – besonders intensiv auf Stickstoffdünger zurückgegriffen wird. Dann aber wird zusätzliches Lachgas frei. Es ist erheblich klimaschädlicher als das CO2."

 

Branchen- statt Umweltschutz

Dass der umstrittene E10-Sprit in Europa politisch forciert wurde, fand nicht ohne Zutun der Industrie statt: Um ihren Kunden die Illusion des ungehemmten Autofahr-Konsums auch weiterhin verkaufen zu können, drängte sie auf die Einführung des E10. Damit, resümiert die Financial Times Deutschland mit Unterton, "verhinderte sie erfolgreich schärfere Abgasgrenzwerte". Nicht weniger ernüchternd Matthias Breitinger (Die Zeit): "E10 ist nicht Klima-, sondern Branchenschutz."

An ihrem E10-Debakel ist die deutsche Regierung nicht ganz unschuldig: Weder klärte sie die Bevölkerung im Vorfeld über Nutzen und Chancen des neuen Kraftstoffs auf (die im übrigen wissenschaftlich noch nicht eindeutig belegt sind), noch stimmte sie sich rechtzeitig mit Lieferanten und Tankstellen ab.

Schon im Dezember 2010 - wenige Tage vor Einführung des E10 - hieß es, es sei nicht genügend davon verfügbar, um den Sprit flächendeckend anbieten zu können. Im Februar 2011 die erste ernüchternde Zwischenbilanz: 70 % (laut Handelsblatt) jener Autofahrer, die E10 tanken könnten, nutzten ihn nicht. Die Folge: Engpässe bei den anderen Spritsorten im März. Auch der kurzfristig von der Regierung einberufene "Benzin-Gipfel" bzw. Aufklärungsinitiativen der Autofahrerklubs änderten an der Lage wenig.

Für Heike Göbel von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein exemplarischer Fall, wie Umweltpolitik nicht funktionieren sollte: "Der Bürger erfährt, wie schon beim Glühbirnen-Verbot, dass er (...) in der Bundesregierung keine Verbündeten hat gegen eine Klima- und Umweltpolitik, die zunehmend auf Diktate setzt, statt auf wirtschaftliche Anreize."

 

"Kein einfaches 'Weiter So'"

Während in Deutschland über E10 noch geflucht wird, treibt ausgerechnet der Klimamuffel USA die Produktion von Bio-Kraftstoffen eilig voran - was auch Rückschlüsse auf eine industriell lobbyierte Entwicklung zulässt. "Der sogenannte Biofuel Plan wurde 2007 von der Regierung des George W. Bush beschlossen und sieht vor, die Produktion von Biokraftstoffen bis 2022 zu verfünffachen", erläutert Charlotte Theile von der Süddeutschen Zeitung.

Neben den USA setzen auch Staaten wie Brasilien und Schweden schon seit geraumer Zeit auf den neuen Treibstoff; ungeachtet anderer Bemühungen, umweltverträglichere Modelle zu entwickeln.

Markus Mechnich von n-tv hält das Offensichtliche fest: "Angesichts knapper werdender Ölreserven kann es kein einfaches 'Weiter so' geben. Über kurz oder lang muss eine Alternative für den Antrieb von Pkw und Nutzfahrzeugen gefunden werden."

Wie man allerdings zu einer Alternative gelangen könnte, die nicht von Entwickler- oder Zulieferer-Lobbys forciert werden, ist derzeit nicht erkennbar.

Ute Rossbacher

 

Home
Politik
Chronik
Wirtschaft
Sport
Kultur
Society
Life
Reise
Motor
Hightech