Der Journalist Jonathan Martin von Politico titelt im Brustton der Überzeugung: "Warum Obama gewinnen wird". Und der Mitschnitt einer Rede, die Herausforderer Mitt Romney im Rahmen einer geschlossenen Spendengala gehalten hat, ist es, die dem Autor letzte Gewissheit gibt: Denn bei der Veranstaltung hatte sich der Multimillionär auf die Durschnittsamerikaner eingeschossen.
"Es sind 47 Prozent, die zu Obama halten, die abhängig sind von der Regierung, die sich als Opfer sehen und die glauben, dass die Regierung sich um sie kümmern muss. (...) Sie alle zahlen keine Einkommenssteuer."
Eine Zahl, zwei Lesarten
Die Zahl für sich genommen verfehlt ihre Wirkung nicht. Ein differenzierteres Bild ergibt sich, zieht man die näheren Begleitumstände in Betracht. Annie Lowrey von der New York Times kommt nach eingehender Überprüfung zum Schluss: "Die Hälfte der Haushalte zahlt deshalb keine staatliche Einkommenssteuer, weil sie schlichtweg zu arm sind."
Im Detail handle es sich bei den von Romney hervorgehobenen 47 Prozent überwiegend um verarmte Familien, Bezieher niedriger Einkommen oder alte Menschen, wie die Autorin unterstreicht.
Die Wirkung von Romneys Worten auf jene Bevölkerungsgruppe, die der Republikaner in den Mittelpunkt seiner Rede stellt, versucht Conor Friedersdorf von The Atlantic seinen Lesern zu vermitteln: "Es fällt schwer, sich für einen Kandidaten zu erwärmen, wenn er sich im Kreis reicher Menschen bewegt, mit denen er offensichtlich mehr gemeinsam hat als mit den amerikanischen Durchschnittsbürgern."
Image-Problem
Während Romney selbst relativ gelassen auf die Veröffentlichung seiner Kommentare reagierte ("Lassen Sie mich mal so sagen: Es handelt sich nicht um eine elegante Äußerung"), sehen das seine Parteifreunde weniger entspannt. Michael Crowley vom Magazin Time bestätigt: "Nicht wenige Republikaner fragen sich, ob seine Nominierung gerade ein Glücksfall für die Partei war."
Ganz in seinem Sinne urteilt Jonathan Martin (Politico): "Was den Republikanern zusetzt, ist, dass sie mit Romney und seiner Kampagne ein Image-Problem haben."
Das Derek Thompson (The Atlantic) jedoch nicht allein Romney überantworten möchte: "Seine abseits der Kameras getätigten Bemerkungen waren nicht elegant. Aber sie spiegeln auch einen Langzeit-Trend bei den Republikanern wider." Die sich nicht nur seiner Meinung schon vor längerer Zeit von gewissen Bevölkerungsgruppen und deren Anliegen verabschiedet haben.
Eine Botschaft, die alle erreicht
Barack Obama hat nicht alle Versprechen von 2008 eingelöst und in seiner ersten Amtszeit nicht immer glückliche Hand bewiesen. Damit hat er auch einige seiner Anhänger enttäuscht. Anders als Romney jedoch gelingt es ihm, den Eindruck zu vermitteln, ein US-Präsident für alle sein zu wollen, auch für jene, die ihm ihre Stimme nicht gegeben haben. In einer Zeit, in der sich die Arbeitslosigkeit mit acht Prozent auf Rekordniveau befindet und die Zahl der verarmten Familien steigt, zweifelsfrei eine Botschaft, die Wähler erreicht. Auch wenn sie nicht zu den genannten 47 Prozent gehören.
Ute Rossbacher