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Karikaturen: Meinungsfreiheit mit Grenzen?

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Video, Karikaturen: Meinungsfreiheit mit Grenzen?

03.01.2013
Die Proteste in der Arabischen Welt haben im Westen eine Grundsatz-Debatte über die Meinungsfreiheit ausgelöst. Ein gefährliches Terrain, wie viele Kommentatoren finden.

Die Aufregung um das Mohammed-Video in der Arabischen Welt ist noch nicht verebbt, da sorgt in Frankreich eine weitere Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen im französischen Satireblatt Charlie Hebdo für neuen Zündstoff. Eine Anzeige gegen die Macher des Magazins im September 2012 warf den Herausgebern "Aufstachelung zum Hass" vor.

Die französische Regierung, die den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Karikaturen als nicht "intelligent" bezeichnet, sah sich damals infolge der wachsenden Spannungen veranlasst, ihre Botschaften, Schulen und kulturellen Einrichtungen in 20 Ländern vorübergehend zu schließen.

 

 Ein Film als Stein des Anstoßes

Dass die Sicherheitsvorkehrungen berechtigt sind, zeigten die Vorfälle seit dem Jahrestag des 11. September, als bei einem Anschlag auf das US-Konsulat in der libyschen Stadt Benghazi der Botschafter und drei seiner Kollegen getötet wurden, und die gewaltsamen Proteste vor westlichen Botschaften in mehreren arabischen Ländern eskalierten. Bei Anschlägen und Ausschreitungen verloren mehrere Zivilisten ihr Leben; einige Staaten, allen voran die USA, zogen ihr Personal teilweise ab. 

Ihren Ausgang nahmen die Unruhen Anfang September 2012, nachdem eine arabische Kurzfassung des Films "Die Unschuld der Muslime" im Internet in Umlauf geraten und im ägyptischen Fernsehen gezeigt worden war. Das Schmähvideo, das Mohammed als Kinderschänder zeigt und den Islam als Krebsgeschwür bezeichnet, soll auf das Konto von Nakoula Basseley Nakoula gehen, ein aus Ägypten stammender christlich-koptischer Mann, der in Los Angeles lebt und arbeitet. Gemeinsam mit Vertretern einer rechtsgerichteten evangelikalen Gruppierung soll der Produzent den Film erstellt haben.

 

Salafisten auf den Barrikaden

Für die Salafisten, eine ultrakonservative Gruppe innerhalb des Islams, die Einladung zum Tanz. Neben dem Anschlag in Benghazi sollen sie auch die Ausschreitungen im Jemen, in Tunesien oder Ägypten angezettelt haben.

Mit ihrer Zielsetzung hat sich Tomas Avenarius von der Süddeutschen Zeitung näher beschäftigt und kommt dabei zu dem beunruhigenden Schluss: "Sie beanspruchen die Deutungshoheit darüber, wie die neue arabisch-islamische Welt aussehen soll. Nicht moderat, wie es die Muslimbrüder (angeblich) wollen, sondern 'koranisch'."

Ghaith Abdul-Ahad von der britischen Tageszeitung The Guardian will dabei die unheilvollen Vorzeichen nicht verschweigen: "In Tunis etwa begann die Bewegung der Salafisten bereits Monate, bevor der Propagandafilm erschienen ist, aktiv zu werden. Sie verübten Übergriffe auf Kinos, Kirchengegner und Künstler."

Nicht zuletzt aus Angst vor Anschlägen auf europäischem und amerikanischem Boden ist im Westen eine emotionale Diskussion in Gang geraten, inwieweit die Veröffentlichung islam-kritischer oder -persiflierender Inhalte gerechtfertigt sei bzw. entsprechende Inhalte verboten werden sollten.

 

Kampf um Grundrechte

Zumindest das Gesetz lässt laut Karl-Heinz Fesenmeier von der Badischen Zeitung diesbezüglich keine Fragen offen: "Grundsätzlich kann jeder jederzeit – ob geschliffen oder tumb – seine Meinung frei äußern (...). Dieses Grundrecht ist nicht verhandelbar."

Im Interview mit Ute Welty von der ARD Tagesschau macht der  Medienrechtler Rolf Schwartmann denn auch deutlich, warum jenes nicht aufgeweicht werden dürfe: "Mittel- und langfristig würde der Staat sich erpressbar machen, wenn er auf jeden gewaltsamen Protest nach einer Meinungsäußerung im Internet reagiert, indem er die Meinungsäußerung verhindert."

Harry Nutt von der Berliner Zeitung sucht daher nach einem Ausweg aus dem Dilemma: "Weil es nicht danach aussieht, dass die Zahl religiöser Konflikte in naher Zukunft abnimmt, sollten die Religionsgemeinschaften ihren Gläubigen insbesondere die Erkenntnis vermitteln, dass trotz aller Einschränkungen vor allem der liberale Staat in der Lage ist, das Recht auf Religionsfreiheit zu verteidigen."

Das Bild von einer Gesellschaft, in der jeder einzelne mündig behandelt wird, hält Wenke Husmann von Die Zeit den Zweiflern vor Augen: "Das bedeutet auch, mit Dingen leben zu müssen, die nichts weiter sind als eine Provokation."

Alles andere sei auch aus Sicht von Edith Kresta (die taz) nicht wünschenswert, denn: "Die religiösen Hardliner schaden auch nachhaltig dem wirtschaftlichen Aufbau und damit der sozialen Befriedung. Wer will schon in ein Land mit wild gewordenen Männern reisen oder dort investieren?"

 

Konflikt mit langer Vorgeschichte

In diesem Zusammenhang geht der eingangs zitierte Autor Ghaith Abdul-Ahad (The Guardian) der Frage nach, warum die Beziehungen zwischen den Kulturkreisen so fragil sind. Sein Fazit: "Der Sog der anti-westlichen Gewalt in der Arabischen Welt geht auf die Jahrzehnte des gefühlten westlichen Imperalismus zurück. (...) Deutsche, Briten, Dänen - sie alle werden für die kolonialen Verbrechen der Vergangenheit und Gegenwart verantwortlich gemacht; die Amerikaner dabei als die Überheblichsten von allen wahrgenommen."

Dazu passt auch die Einschätzung des bereits zu Wort gekommenen Tomas Avenarius (Süddeutsche Zeitung), wenn er erinnert: "Die CIA tötet mit ihren Drohnen Al-Kaida-Führer, aber auch jemenitische Zivilisten. (...) Überhaupt werden den USA Fehler in ihrer Nahostpolitik angekreidet: der Irak-Krieg, das ungelöste Palästina-Problem."

Hinzu kommen bestimmende Unterschiede zwischen den Kulturen, ergänzt der libanesische Autor Rami G. Khouri (The Daily Star): Während in den USA die Freiheit des Einzelnen das höchste Gut sei, lägen in der Arabischen Welt der Respekt und die Würde weit darüber. Prallen diese Haltungen aufeinander, seien "Konflikt, Gewalt und Tod" die unausweichliche Folge. Der Autor plädiert für gegenseitiges Verständnis und Bemühen.

 

Errungenschaft Grundrechte

Respekt vor Kulturen bzw. Religionen und das Recht auf die persönliche Meinung - diese beiden Werte miteinander in Einklang zu bringen, soll die Herausforderung in diesem brisanten Konflikt sein. Zu Lasten jener Grundrechte, für die - wie Karl-Heinz Fesenmeier (Badische Zeitung) erinnert - "Generationen gekämpft haben", wird es jedoch nicht geschehen.

 Ute Rossbacher

 

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