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Kosovo: der steinige Weg nach Europa

Kusthrim Ternava/EPA/picturedesk.com

relevant Redaktion

Kosovo: der steinige Weg nach Europa

12.09.2012
Offiziell ist die ehemalige serbische Provinz nun unabhängig. Zur wahren staatlichen Souveränität fehlt ihr jedoch einiges.

Feierlich beging die politische Führung am Wochenanfang das Ende der Internationalen Zivilverwaltung (ICO), die die politische Entwicklung seit Februar 2008, als der Kosovo sich für unabhängig erklärt hatte, überwachte und die Gesetzgebung des neu entstandenen Staates zum Schutz der serbischen Minderheit aktiv mitgestaltete. Dass die ICO ihre Arbeit mit dem 10. September 2012 für beendet betrachtet, bedeutet jedoch nicht, dass die Probleme des Kosovo deshalb über Nacht gelöst wären. Im Gegenteil.

Die Probleme des 1,7 Millionen Einwohner zählenden Landes sind so komplex wie schwerwiegend. Rund 45 Prozent der Menschen sind ohne Arbeit, ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Viele Familien sind daher auf finanzielle Unterstützung durch Verwandte im Ausland angewiesen.

Eine brisante Situation, die durch die Politik nicht gerade entschärft wird, wie Stefanie Bolzen und Thomas Roser (Die Welt) mit Unterton ins Feld führen: "Während ein Drittel der Kosovaren weniger als einen Euro pro Tag zur Verfügung hat, beziehen die Ex-Veteranen der Untergrundarmee UCK, die mittlerweile auf den Regierungsbänken Platz genommen haben, üppige Abgeordnetengehälter."

 

Junger Staat mit vielen Problemen

An diesem Missverhältnis ändern auch die milliardenschweren Hilfsgelder wenig, die die EU und die USA seit dem Kriegsende 1999 in das Land investieren. Als Schwierigkeit erweist sich, dass fünf EU-Mitgliedsstaaten (Zypern, Rumänien, Spanien, die Slowakei und Griechenland) und rund die Hälfte der Mitglieder der Vereinten Nationen dem Kosovo die Anerkennung verweigern. Damit bleibt dem kleinen Balkan-Staat der Beitritt zu internationalen Staaten- und Sportverbänden verwehrt.

Zumindest die Motive der betreffenden EU-Länder sind dabei für die bereits zu Wort gekommenen Autoren Stefanie Bolzen und Thomas Roser (Die Welt) evident: "Sie fürchten den Präzedenzfall einer einseitig erklärten Unabhängigkeit aus innenpolitischen Gründen. Sie haben Minderheiten im eigenen Land, die gern neue Grenzen zögen."

Die Konsequenzen sind nicht selten kurios. So hat der Kosovo mangels Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen keine eigene internationale Telefon-Vorwahl und ist deshalb ausgerechnet auf jene Serbiens angewiesen. Nicht nur aus Sicht von Michael Martens (Frankfurter Allgemeine Zeitung) ein echtes Dilemma: "Das wird in Prishtina als besonders erniedrigend empfunden."

 

Plan mit Hindernissen

Hinzu kommt, dass der Ahtisaari-Plan (benannt nach dem früheren finnischen UNO-Vermittler Martti Ahtisaari) in den vergangenen viereinhalb Jahren nur im Süden des Kosovo umgesetzt werden konnte; im Norden des Landes, wo 40.000 Serben leben, ist der innere und äußere Widerstand gegen die kosovarische Führung in Prishtina unverändert groß. Die Region wird von organisierter Kriminalität und Gewalt bestimmt. 

Ein wenig ermutigendes Stimmungsbild zeichnet daher Hubert Beyerle von der Financial Times Deutschland: "So sieht man hier keine kosovarischen Autokennzeichen. Stattdessen gibt es alte serbische oder - die häufigere Variante - gar keine. Seit in Belgrad eine nationalistische Regierung an der Macht ist, droht es sogar noch einsamer zu werden um die Kosovo-Serben." 

 

Probleme des Kosovo auch jene des Westens

Auch im Süden des Landes werden Serben - trotz ambitionierter Gesetze, die ihnen entsprechende Rechte zusichern - benachteiligt, heißt es. Ein Umstand, der dem neuen serbischen Präsidenten Tomislav Nikolić offenbar nicht ungelegen kommt. Das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen den beiden Balkanstaaten dürfte sich unter seiner Führung nicht gerade entspannen. Für Erich Rathfelder von die taz schreit die Situation nach einer Lösung: "Die EU, die Nato und auch die USA werden sich deutlich engagieren müssen."

Laut Andreas Ernst von der Neuen Zürcher Zeitung genießen vor allem die Amerikaner seit dem militärischen Einsatz im Kosovo in der Bevölkerung des Landes hohe Popularität, was sich allerorts bemerkbar mache. Wobei das dem Autor zufolge nur ein Teil der Wahrheit ist: "Eine ganze Reihe von früheren Politikern und Militärs aus den USA nutzt die Beziehungen zu den ehemaligen Waffenbrüdern der UCK, um Geschäfte zu machen." - Etwa Ex-Außenministerin Madeleine Albright oder General Wesley Clark.

 

Land unter Aufsicht

So ist der Kosovo im Jahr 2012 ein freier Staat auf Raten: Die Nato-Schutztruppe Kfor bzw. die EU-Polizei- und Justizmission Eulex werden weiterhin im Land bleiben, um nicht zuletzt die Lage im Norden des Landes zu überwachen. Damit der Kosovo wirtschaftlich zum Westen aufschließen kann, benötigt er auch in den nächsten Jahren internationale Unterstützung. Auf diese wird das Land auch angewiesen sein, wenn es seine belastete Beziehung zu Serbien normalisieren will. Erst dann ist der Weg nach Europa frei.

Ute Rossbacher

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