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Fall Dutroux: Belgien kommt nicht zur Ruhe

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relevant Redaktion

Fall Dutroux: Belgien kommt nicht zur Ruhe

30.08.2012
Durch die Freilassung (auf Bewährung) von der Komplizin des Sexualstraftäters werden in Belgien bittere Erinnerungen an das Jahr 1995 wach.

Die Erinnerungen an den 13. August 1995 - jener Tag, an dem Marc Dutroux verhaftet wurde - hat sich tief in das kollektive Gedächtnis Belgiens eingebrannt. Bis heute wirken die Folgen des aufwühlenden Falles nach. Das zeigte sich einmal mehr, als die Ex-Frau und Komplizin des Sexualstraftäters, Michelle Martin, diese Woche nach 16 Jahren Haft auf Bewährung freigelassen wurde.

Ihr restliches Leben will die "am meisten gehasste Frau Belgiens" (so Le Figaro) in einem Nonnenkloster in Malonne verbringen. Zu ihrem persönlichen Schutz sind vier Beamte abgestellt, die sie und ihre Mitbewohnerinnen in der Abtei rund um die Uhr bewachen sollen. Nicht nur, dass diese Maßnahme den Steuerzahler 4.000 Euro pro Tag kostet, bringt viele Menschen in Belgien in Rage. Vielmehr ist es die Tatsache, dass ausgerechnet einer in diesem Fall Verurteilter jemals wieder ein Leben in Freiheit führen soll.


Martyrium mit politischer Tragweite

Denn wohl kaum jemand in Belgien hat die Bilder der sechs Mädchen vergessen, die in den Verließen des Marc Dutroux gefangen gehalten und sexuell missbraucht wurden. Nur zwei von ihnen sollten das Martyrium überleben.

Der Fall erlangte überdies politische Tragweite, als nach und nach die schwerwiegenden Ermittlungspannen publik wurden. Den Höhepunkt bildete dabei die Flucht Dutroux' aus seiner Haft im Jahr 1998 (er wurde noch am selben Tag wieder gefasst), infolgedessen der Justiz- und der Innenminister bzw. der Polizichef ihren Hut nahmen. All diesen Ereignissen waren wochenlange Kundgebungen und Proteste aufgebrachter Bürger vorangegangen.

Als nach einem emotionalen Prozess Marc Dutroux und seine Komplizen 2004 verurteilt wurden, schien Belgien allmählich zur Ruhe zu kommen. Dass es nun Michelle Martin gelungen ist, ihre Freilassung unter Auflagen zu erwirken, hat alte Wunden aufgerissen und die Menschen auf die Straßen getrieben. In Foren wird die Ermordung der 52-Jährigen durch Auftragskiller gefordert. In Malonne wiederum geht unter den Eltern die Angst um, Martin könne sich an Kindern vergreifen.

Der Auslöser für eine emotional geführte Debatte, die sich um die Frage dreht, wie mit Menschen à la Dutroux oder Martin umzugehen sei. Im Bewusstsein, wie schwierig diese Frage zu entscheiden ist, gibt die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz im Interview mit Marc Felix Serrao (Süddeutsche Zeitung) zu bedenken: "Wie wägt man ein solches Verbrechen auf? Solch eine Form des Sadismus? Dazu braucht man etwas anderes: Vergebung. Und das ist ein Begriff, den das Recht nicht kennt."


Neue Regelung ab 2013

Schon seit Jahren schiebt die belgische Politik entsprechende Reformen vor sich her, die es Personen, die besonders schwerwiegende Taten verübt haben, deutlich erschweren würden, vorzeitig auf Bewährung freizukommen. Martin kam diesbezüglich noch die aktuelle Gesetzgebung zu Gute.

Bereits 2013 jedoch soll eine neue Regelung in Kraft treten. Nicht nur aus der Sicht der belgischen Tageszeitung De Tijd sind derlei gesetzliche Schritte überfällig. Denn: "In den überfüllten Gefängnissen herrschen unmenschliche Bedingungen: Auf der einen Seite Inhaftierte, die definitiv nicht dort hingehören. Auf der anderen Häftlinge, die ihre Strafe verdienen."

Ute Rossbacher


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