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Occupy arbeitet an neuer Geldordnung

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relevant Redaktion

Occupy arbeitet an neuer Geldordnung

22.08.2012
Verhandlungstisch statt Camp: Die Bewegung, die im Herbst 2011 ihren Ausgang nahm, entwirft am Reißbrett eine neue Welt. Nicht alle nehmen ihre Ideen ernst. Aber es gibt auch andere Stimmen.

Die Zeltdörfer der Occupy-Bewegung, die sich seit dem vergangenen Herbst in mehreren deutschen Städten gebildet hatten, wurden im August nach und nach von den Behörden aufgelöst. Allein in Frankfurt, wo das größte Camp des Landes unter freiem Himmel entstanden war, nächtigten zuletzt rund 80 Menschen. Die Aktivisten unter ihnen, die anfänglich noch in der Bevölkerung auf Zuspruch und Unterstützung für ihren Kampf gegen die Praktiken der Finanzwelt gestoßen waren, verloren jedoch zuletzt an Rückhalt.

Überraschend kam diese Entwicklung aus Sicht von Peter Lückemeier (Frankfurter Allgemeine Zeitung) freilich nicht. Der Autor berichtet anschaulich - und übereinstimmend mit anderen Kommentatoren - vom wachsenden Müllproblem in den Camps, das die Anrainer gegen die Aktivisten aufbrachte. Mit der Folge, dass "in der Stadtöffentlichkeit nur noch über Ratten statt über Renditen, über Dreck statt über Derivate" diskutiert wurde.

Stephan Hebel von der Frankfurter Rundschau ist gerade an dieser Stelle wichtig, an die Bedeutung dieser Aktion, die in den USA im Herbst 2011 ihren Ausgang nahm und rasch Anhänger in aller Welt fand, zu erinnern: "An all dem ist etwas dran, aber es wird dem Charakter des Occupy-Aufbruchs nicht gerecht – auch nicht dem Erfolg, den niemand dieser Bewegung nehmen kann."


Kampf gegen private Verschuldung

Nicht zuletzt, weil das Thema, das die Frauen und Männer antreibt, an Aktualität nicht verloren hat. Ihre Ausgangslage versucht Stephan Schultz von Der Spiegel in Worte zu fassen: "Noch immer sehen sich die Occupy-Anhänger mit einer Welt konfrontiert, in der scheinbar übermächtige Banken Milliarden kassieren, während der Rest der Gesellschaft die Folgen ihrer Fehler ausbadet."

Und diese sind für den amerikanischen Anthropologen David Graeber, der als Kopf der Occupy-Bewegung gilt, verheerend. In einem Interview mit Der Spiegel präzisiert er: "Junge Leute müssen sich verschulden, um studieren zu können. Arbeiter verlieren durch den Finanz-Crash ihre Jobs. Oder sie können sich trotz ihres Jobs kaum etwas leisten. Die Perspektiven unserer Gesellschaft schwinden, und die Leute beginnen, sich dagegen zu wehren."

Das Engagement Graebers hat daher auch nach Einschätzung von Frank Wiebe vom Handelsblatt handfeste Gründe: "Graeber sagt: 'Diese Leute haben alles getan, was man ihnen gesagt hat, sie waren fleißig und haben ihre Prüfungen abgelegt - und jetzt stehen sie vor dem Nichts.' So wird deutlich, wie sehr 'Occupy' in Amerika auch eine Reaktion auf die großflächige Politik der privaten Verschuldung ist."

Dass ein gesellschaftlicher Wandlungsprozess unter diesen Voraussetzungen nur noch eine Frage der Zeit ist, hält auch der bereits zitierte Stephan Schultz (Der Spiegel) für möglich und prognostiziert: "In der langsamen Evolution der Gesellschaft wird Occupy durchaus eine Rolle spielen."


Occupy 2.0: Occupy Money

Konkret die jüngste Initiative "Occupy Money", die fernab der Camps in Sitzungen an einer neuen Geldordnung bastelt. Allein der Versuch ringt Felix Helbig von der Berliner Zeitung bereits Anerkennung ab: "Den Aktivisten gelingt, was im Camp trotz aller Versuche nie wirklich möglich war: ein weitestgehend herrschaftsfreier Diskurs über das, was getan werden muss."

Ein Schritt, der aus Sicht Graebers überfällig ist, nicht nur, wenn er - wie im Interview mit David Hugendick von Die Zeit - am Beispiel der drastischen Kürzungen im Gesundheitswesen die Verarmung der griechischen Bevölkerung schildert: "Das führt dazu, dass Krebspatienten ihre Medikamente nicht mehr bezahlt werden. Falls sie die Medikamente nicht selbst bezahlen können, sterben sie. Das hat nichts mit ökonomischer Wiederbelebung zu tun. Das ist purer wirtschaftlicher Sadismus."


Von der Debatte zur politischen Idee?

Worte, die ihre Wirkung nicht verfehlen, und viele dazu bringen, Graebers Bücher über die Entstehung der Schulden ("Schulden: Die ersten 5000 Jahre", Klett-Cotta) zu lesen oder sich mit seinen Gedanken kritisch auseinanderzusetzen. Ob dafür oder dagegen - offenkundig ist, dass die Occupy-Bewegung den Debatten noch Nahrung liefern wird. Und am Ende vielleicht noch konkrete politische Ideen.

Ute Rossbacher


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