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Pussy Riot: Straflager für Mütter in der Band

Sergei Chirikov/EPA/picturedesk.com

relevant Redaktion

Pussy Riot: Straflager für die Mütter in der Band

23.10.2012
Diese Woche wurden zwei der verurteilten Mitglieder der russischen Punk-Band Pussy Riot in ein Straflager überstellt. Was sie - wie auch alle anderen Kritiker - dort erwartet, mögen sich die Kommentatoren lieber nicht ausmalen.

Vor wenigen Tagen ist die verurteilte Pussy-Riot-Sängerin Jekaterina Samuzewitsch (30) überraschend auf Bewährung frei gekommen. Weniger Glück haben ihre Kolleginnen Nadeschda Tolokonnikowa (22) und Maria Alechina (24): Die beiden Band-Mitglieder, die jeweils Mutter eines Kindes sind, wurden in ein Straflager nach - wie vermutet wird - Sibirien überstellt. Ihr Antrag, in Moskau inhaftiert zu werden, wurde laut Angaben ihres Anwalts abgelehnt. 

Nicht allein die Gefängnisstrafe ist es, die die britische Autorin Carole Cadwallader von The Observer aufbringt, sondern die Haftbedingungen, die die Künstlerinnen dort erwarten: "Die russischen Gefängnisse für Frauen sind noch härter als die der Männer."

Ähnlich wie die Autorin sieht auch die Redaktion der Moscow Times die Strafe mit der fünfmonatigen Untersuchungshaft, die die Frauen absitzen mussten, als verbüßt an.

Wenn Premier Wladimir Putin in diesem Zusammenhang davon spricht, dass vergleichbare Taten auch in Ländern wie Österreich oder Deutschland geahndet würden, beeindruckt das Michael Ludwig von der Allgemeinen Frankfurter Zeitung nur wenig, denn: "Demgegenüber verpuffte die Wirkung von Aussagen, nach denen es diese Strafandrohungen im Westen zwar gebe, dass aber in solchen Fällen keine Freiheitsstrafen ausgesprochen würden."

 

Urteil mit Signalwirkung

Das im August 2012 verkündete Urteil gegen die Frauen lässt für Rachel Denber von Human Rights Watch (Gastkommentar für CNN) nur einen Schluss zu:

"Wenn angeklagte Frauen den Mut aufbringen, offen über die Zustände in Russland zu sprechen, sollten es erst recht die Vertreter der internationalen Gemeinschaft tun. Sie können wenigstens nicht ins Gefängnis geworfen werden."

Dieser Devise folgend haben sich in den vergangenen Wochen zahlreiche westliche Künstler und Bands zu Wort gemeldet, das Vorgehen der Justiz verurteilt, ihre Empörung zum Ausdruck gebracht. Die russische Führung, die die Kritik zurückweist, wurde von der nicht abebbenden Welle an Sympathiekundgebungen für die drei Frauen offensichtlich kalt erwischt.

Exemplarisch für die zahlreichen Stellungnahmen das Statement des britischen Sängers Mark Knopfler: "Dieses Urteil setzt Russland in den Augen der Welt herab. Ich verurteile die Gefängnisstrafen und unterstütze das Recht auf Protest - für jedermann."

 

"Punk zeigt, was in ihm steckt"

Die drei Musikerinnen hatten im Februar in einem öffentlichen Punkgebet in der Erlöser-Kathedrale in Moskau um den Rücktritt des Premiers Wladimir Putin gefleht. Die russisch-orthodoxe Kirche sah den Tatbestand des "Rowdytums aus religiösem Hass" als erwiesen an. Im Frühjahr wurde der Prozess eröffnet.

Ihr Urteil - ursprünglich zwei Jahre Lagerhaft für jede der drei Frauen - nahmen Nadeschda, Maria und Jekaterina scheinbar gelassen hin; Putin um Gnade zu bitten, kam für sie nicht in Frage, sie wollten jedoch in Berufung gehen. Vor so viel Stehvermögen verneigte sich auch Mariam Lau von Die Zeit: "Exakt 35 Jahre nachdem die Sex Pistols wegen 'God Save the Queen' verhaftet wurden, zeigt Punk noch einmal, was in ihm steckt."

 

Schritt für Schritt weniger Freiheit

Für Volker Pabst von der Neuen Zürcher Zeitung fügen sich der Prozess und das Urteil stimmig in das Gesamtbild, das Russland derzeit von sich abgibt: Gleich mehrere Gesetze, die seit kurzem in Kraft sind, schränken das Versammlungs-, Meinungs- und Demonstrationsrecht ein, andere wiederum die Freiheit der Internet-Nutzung. Was dem Autor dabei zu denken gibt: "Gemein ist allen Gesetzen, dass sie schwammig formuliert sind und somit die nötige Rechtsunsicherheit schaffen, um willkürlich gegen politische Gegner vorzugehen."

Woher die Motive für dieses Verhalten rühren, versucht ein nachdenklich gestimmter Georgy Bovt (The Moscow Times) sich und seinen Lesern zu erklären: "In den Kreisen der führenden Elite rund um Putin herrscht der Glaube vor, dass die Sowjetunion nur deshalb zusammenbrochen ist, weil die damalige Führung mit dem wachsenden Nationalismus im eigenen Land nicht fertig wurde. Entsprechend gelten heute ethnische und religiöse Konflikte als größte Bedrohung für Russland. (...) Das könnte auch das harte Vorgehen gegen Pussy Riot erklären."

 

Zusammenspiel von Kirche und Staat

Das, um mit Benjamin Bidder von Der Spiegel zu sprechen, auch "die verstörende Nähe zwischen Kirche und Staat" ans Licht brachte. Nichts Neues aus Sicht von Ann-Dorit Boy (Frankfurter Allgemeinen Zeitung), die dazu weiß: "Die enge Beziehung der Kirche zum Staat hat in der russisch-orthodoxen Kirche Tradition. Jahrhundertelang war sie Staatsreligion."

Christian Esch von der Berliner Zeitung sieht sich bestätigt, kehrt er in die russische Gegenwart zurück: "Die Kirchenführung hat den Pussy-Riot-Fall zur Kriegserklärung benutzt und scheut keine Menschenopfer." Profitieren wird davon seiner Einschätzung nach Putin, der sich in seiner Heimat einmal mehr als starker Mann, der für Recht und Ordnung sorgt, präsentieren - und vielleicht auch profilieren - kann.

Dass ihm das immer noch gelingt, veranlasst Michael Ludwig (Frankfurter Allgemeine Zeitung), tiefer in die russische Seele zu blicken: "Viele sind ansprechbar, wenn sie als Bündnispartner für die Verteidigung 'traditioneller Werte' gegen die Anmaßungen eines säkularisierten und morbiden Westens umworben werden."

 

"Keine Volkshelden"

Julia Smirnova von Die Welt setzt daher lieber auf die Jugend: "Der jungen Generation, die in den wilden, aber freien und kosmopolitisch geprägten 90er-Jahren aufgewachsen ist, kommt diese Hexenjagd auf Andersdenkende unheimlich vor."

Auch die Demonstrationen in Moskau nach der Urteilsverkündung machten das deutlich. Für André Ballin von Der Standard sind jene allerdings nicht zwingend Ausdruck der Solidarität für Pussy Riot: "Eigentliches Motiv ist der Protest gegen fehlende Rechtsstaatlichkeit, zu deren Symbol der Prozess in Russland geworden ist."

Zu dieser Einschätzung neigt offenbar auch Benjamin Bidder (Der Spiegel), der sich sicher ist: "So fragwürdig und unverhältnismäßig das Vorgehen gegen Pussy Riot auch ist: Zu Volkshelden taugen sie nicht."

 

Erst der Anfang

Vielleicht nicht für alle Russen. Ganz sicher jedoch für jene Frauen und Männer, die sich nach der Urteilsverkündung zu einer Solidaritätskundgebung für Pussy Riot in Moskau einfanden. Unter jenen Teilnehmern, die von den Polizeikräften festgenommen wurden, war auch der frühere Schachweltmeister Garri Kasparow, dem nun fünf Jahre Straflager drohen.

Die russischen Behörden wollen es offenbar bei diesen Exempeln nicht belassen: Nach ihrem Willen sollen nun auch alle weiteren Mitglieder von Pussy Riot dingfest gemacht werden.

Ute Rossbacher

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