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Debatte um Beschneidung: Recht vs. Recht

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Debatte um Beschneidung: Recht vs. Recht

02.08.2012
Was wiegt stärker: das Recht auf freie Religionsausübung oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit? Eine Diskussion, die rasch an ihre Grenzen stößt. Und die Tür zu weiteren, nicht minder brisanten Fragen aufstößt.

Die jüdischen Gemeinden in Österreich, Deutschland und der Schweiz schließen sich zusammen, um eine gemeinsame Linie in der aufgeladenen Debatte um das Recht auf Beschneidung männlicher Säuglinge zu finden.

Denn anhaltend groß ist die Aufregung, seit das Landgericht Köln vor wenigen Wochen die Zeremonie der Brit Mila (so der jüdische Name für das Beschneidungszeremoniell) als Körperverletzung eingestuft und damit zur strafbaren Handlung erklärt hat, die gegen das Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit verstößt.


Urteil mit Folgen

Die Auswirkungen dieses Urteils wirken über die deutschen Landesgrenzen hinaus: So werden im Kinderspital in Zürich bis auf weiteres keine religiös motivierten Beschneidungen mehr durchgeführt. Unter österreichischen Ärzten herrscht (Rechts-)Unsicherheit - nicht zuletzt, seit sich auch führende Politiker wie etwa der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner dafür ausgesprochen haben, an Österreichs Landesspitälern keine Beschneidungen mehr durchzuführen.

Hinter der Kölner Entscheidung und der folgenden Debatte, die von ausufernden Foren-Diskussionen begleitet wurde, wittert der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, "eindeutig antisemitische Ansätze". Und wird in seiner Wahrnehmung von der Redaktion des Tagesspiegel bestätigt, die einräumt: "Tatsache ist, dass die Verunglimpfung der Beschneidung seit Jahrhunderten zu den klassischen Topoi gerade judenfeindlicher Ressentiments gehört."

Klar ist: Anders als in vielen Ländern ist diese Debatte - vor allem in Verbindung mit einem möglichen Verbot der religiösen Beschneidung - gerade in Österreich und Deutschland ein heikles Unterfangen, wie Tessa Szyszkowitz von profil erhellend ausführt: "Eine jüdische religiöse Zeremonie bedeutet in Wien eben auch, dass die Juden Hitler überlebt haben. Das können wir auch beim besten aufklärerischen Willen nicht einfach außer Acht lassen."


"Bund mit Gott"

Vor allem im Judentum gilt dieses Ritual, das acht Tage nach der Geburt eines Knaben erfolgt, als "spirituelles, identitätsstiftendes Bekenntnis", wie es auch Der Tagesspiegel klar zum Ausdruck bringt. Und mehr als das ist es, so das Blatt weiter, "ein zentrales Gebot, das die Verbindung zwischen Gott und Mensch besiegelt. Neben Sabbat und Gebet gehört es gemäß der Thora zu den zentralen religiösen Pflichten, seit 3500 Jahren."

Um die Bedeutung dieses Ereignisses zu unterstreichen, fügt Stefan Schulz von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärend hinzu: "Im Judentum folgt die Beschneidung einem so wichtigen Gebot, dass es selbst die Arbeitsverbote zum Sabbat oder am höchsten Feier- und Fastentag Jom Kippur aufhebt."

Gegenüber Peter Nindler und Marco Witting von der Tiroler Tageszeitung erinnert daher Esther Fritsch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg, nachdrücklich: "Mit der Beschneidung werden die Knaben in den Bund mit Gott aufgenommen."

Genau daran macht auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, im Interview mit dem Magazin Focus die Kritik an seinen Kollegen fest: "Das (Kölner, Anm.) Landgericht hätte berücksichtigen müssen, dass es Juden und Muslimen bei der Beschneidung aus religiösen Gründen nicht nur um eine Frage der Tradition und des Brauchtums, sondern um essentielle Glaubensinhalte geht."

Vielmehr wundert ihn, wie übrigens einige andere auch, warum gerade zu diesem Zeitpunkt - nach Jahrzehnten der Straffreiheit - diese mit einem Mal gänzlich in Frage stellen sollte.


Viele Meinungen, keine Entscheidung

Sich darauf zu einigen, wie im aktuellen Fall zu entscheiden ist, ist für Rechtskenner und Psychologen keine leichte Übung. Die Positionen selbst sind mehrheitlich eindeutig formuliert.

Die klinische Psychologin Petra Schweiger betont in Der Standard mit Blick auf vergleichbare Eingriffe: "Für Schönheitsoperationen wird es ab kommendem Jahr einen strengen gesetzlichen Rahmen geben. An Mädchen und Burschen unter 16 Jahren werden diese Eingriffe zu Recht künftig verboten sein. Für Eingriffe an gesunden Sexualorganen sollte das Gleiche gelten."

Helmut Fuchs, Vorstand des Instituts für Strafrecht an der Universität Wien, legt in seinem Gastkommentar für Die Presse eine juristische Schwachstelle frei, die den Gegnern der Zirkumzision (Beschneidung, Anm.) in die Hände spielt: "Die Beschneidung von Kindern ist nicht durch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Religionsausübung (Art 14 Staatsgrundgesetz) erlaubt. Niemand darf seine Religion so ausüben, dass er in die körperliche Unversehrtheit einer anderen Person eingreift."

Mit deutlich emotionalerem Unterton argumentiert Paul-Hermann Gruner von Cicero: "Das Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, das Grundrecht der individuellen Selbstbestimmung gilt nicht nur (...), wenn es uns passt und es traditionelle Handlungen nicht wirklich stört. Nein, so schnippisch, so gelegenheitsethisch und dosiert demokratisch, so ausschnitthaft und volatil geht man mit Grundrechten nicht um."

Um einen versöhnlichen Ausweg aus der festgefahrenen Debatte ist Stefan Trechsel, emeritierter Professor für Strafrecht der Universität Zürich, im Gespräch mit Viviane Bühr von der Schweizer Tagesschau bemüht: "Eine jahrtausendealte Tradition können wir nicht plötzlich strafbar machen." Sein Zugang: "Man könnte das Problem sehr einfach lösen, indem man die Beschneidung auf das Konfirmationsalter verschiebt."

Die Argumente von Jan Fleischhauer von Der Spiegel, lesen sich in diesem Zusammenhang wie eine logische Fortsetzung: "Wer einmal damit anfängt, in jedem Eingriff, der nicht medizinisch geboten ist, eine Körperverletzung zu sehen, kommt aus dem Klagen nicht mehr heraus."


Nicht das eine ohne das andere

Bislang galt die religiöse Beschneidung als straffreie Handlung im Rahmen der freien Religionsausübung. Es darf hinterfragt werden, ob diese bereits bei wenige Tage alten Kindern durchgeführt werden soll. Dann allerdings auch einiges andere, das in ähnlichem Lichte gesehen werden kann: Etwa die Frage, ob es in Ordnung geht, einem Neugeborenen Ohrlöcher zu stechen.

Vor diesem Hintergrund ist klar: Wer die religiöse Beschneidung verbietet, wird nicht umhinkommen, im Sinne der Konsequenz noch einiges andere zu zu verbieten. Ob das wirklich im Sinne der Mehrheit wäre, ist fraglich.

Ute Rossbacher

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