Quelle: ZAMG

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FrechDAX - die Wirtschaftskolumne

Der FrechDAX

Teheran 1979 oder Berlin 1989?

11.02.2011
Die EU muss jetzt Ägypten konkrete Perspektiven auf wirtschaftliche Zusammenarbeit bieten.

Die Welt steckt wieder mal in einer globalen Nahrungsmittelkrise - der zweiten innerhalb von drei Jahren. Im Jänner haben die weltweiten Preise für Mehl, Mais und Zucker neue Höchststände erreicht. Doch während in der westlichen Welt hohe Lebensmittelpreise nicht einmal mehr einen wahrnehmbaren Effekt auf die Inflation haben, stürzen sie die sogenannte "Dritte Welt" in eine Katastrophe.

Gründe und Schuldige für die hohen Nahrungsmittelpreise - sowie den daraus resultierenden Hunger und Tod vieler Menschen in Entwicklungsländern - sind schnell gefunden: Reflexartig beschuldigen die einen böse Spekulanten und beweisen damit nur, dass sie die globale Marktwirtschaft noch immer nicht einmal im Ansatz verstanden haben. Andere, ideologisch nicht weniger verblendete, glauben, "endlich" die nahende Klimawandel-Apokalypse angesichts der durch Hochwasserfluten vernichteten Ernte in Australien zu erkennen. Aber: so wie die Australier bis heute auf das vor Jahrzehnten angekündigte Massensterben in ihrem Land durch die Auswirkungen des Ozonloch warten, so ist ihnen auch das periodische Klimaphänomen El Nino nicht fremd, dass alle paar Jahre für Wetterextremen sorgt.

Politische Instrumentalisierung ist eben das eine, die Realität allerdings wie so oft eine andere.


Politische Konsequenzen

Doch die hohen Nahrungsmittelpreise haben auch etwas Gutes für sich. In Tunesien haben sie zu sozialen Unruhen und einer daraus resultierenden Vertreibung des Langzeitdiktators Ben Ali geführt. Die Ägyptische Bevölkerung folgt gerade dem Vorbild Tunesiens und wird nach Vertreibung ihres Diktators Mubarak in wenigen Wochen weitere Nachahmer in der Region finden.

Und wie reagieren die westlichen Regierungschefs, angeführt vom US-Präsidenten Obama, auf diese erfreuliche Entwicklung in Nordafrika? Anstatt die Demokratiebewegungen diplomatisch, wirtschaftlich und politisch mit aller Macht zu unterstützen, eiern sie herum und mahnen vage "Reformen" ein. Warum wohl? Weil die westliche Welt seit Jahrzehnten genau diese Diktatoren finanziell und militärisch unterstützt und damit sichergestellt hat, dass Oppositionsgruppen verfolgt und Demokratiebewegungen verhindert wurden. Genau so, wie sie mit ihren hoch subventionierter Agrarprodukte, die sie dank gigantischer Überproduktion an Entwicklungsländer unter dem Titel "Entwicklungshilfe" verschenkt, seit Jahrzehnten das Entstehen einer funktionierenden Landwirtschaft in der Dritten Welt verhindert.

Der "Westen" ist damit der Hauptverantwortliche dafür, dass es gegen eine Konkurrenz, die Agrarprodukte verschenkt, nach einem halben Jahrhundert und vielen hunderten Milliarden Dollar Entwicklungs-"Hilfe" nach wie vor keine funktionierende Landwirtschaft in diesen Ländern gibt, die für eine regionale und von Weltmarktpreisen unabhängigere Lebensmittelversorgung sorgen könnte.

Offenbar halten westliche Politiker Menschen in der Dritten Welt für blöd. Rassismus nennt man solch eine Geisteshaltung normalerweise. Die Menschen in Tunesien und dem geopolitisch strategischeren Ägypten seien noch nicht reif für die Demokratie und würden mehrheitlich blindlings Islamisten wählen. Solchen und ähnlichen Nonsens hört man derzeit von vielen westlichen Politikern, die sonst keine Gelegenheit auslassen, in Sonntagsreden über Demokratie, Menschenrechte und Freiheit selbstherrlich zu quasseln.


Am Scheideweg

Tatsächlich ist die Frage der Entwicklung sowohl für Tunesien als auch Ägypten noch unbeantwortet: Wiederholt sich Berlin 1989, und werden wir uns bald über stabile Demokratien in Nordafrika freuen können? Oder wird sich Teheran aus dem Jahre 1979 wiederholen, und werden islamistische Jihadisten die Revolution für die Gründung von Gottesstaaten nutzen können? Zweiteres erscheint mir sehr unwahrscheinlich, da der Iran weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich als Vorbild eine gute Figur macht. Und: Ich traue - offenbar im Unterschied zu vielen wesentlichen Politikern - grundsätzlich allen Ländern uneingeschränkt zu, sich selbst ihre demokratische Vertretung wählen zu können.

Ob die Mehrheiten und die gewählten Parteien in diesen Ländern dann alle nach meinem Geschmack sein werden, spielt dabei keine Rolle. Und auch nicht, ob Sie Frau Merkel oder Herrn Obama durchwegs gefallen. Aufrichtige Demokraten interessiert das nicht, denn die lassen den Souverän (des jeweiligen Landes) einzig und alleine über ihre politische Führung bestimmen.


Die EU muss Geburtshelferin junger Demokratien sein!

Anstatt voller Hosen wären Taten gefordert. Und zwar jetzt sofort! Was, wenn die EU statt diplomatischen Nullaussagen den jungen Demokratien die Option auf einen baldigen Beitritt und wirtschaftliche Unterstützung wie vor wenigen Jahren den ehemaligen osteuropäischen Ländern aktiv anbieten würde? Die Option auf rasch wachsenden Wohlstand und Freiheit würde dann bei Wahlen religiösen Rattenfängern gegenüber stehen.

Wirtschaftliche Perspektive und Freiheit vs. Isolation: Wofür würden sich die Tunesier und Ägypter wohl entscheiden? Und was werden sie tatsächlich wählen können sowie als politische Alternativen haben, wenn wir nicht bald aktiv werden und die EU nicht eine junge Demokratie sehr bald zu unterstützen beginnt?


Der Autor: Werner Becher ist erfolgreicher Unternehmer und Manager, hat als Ex-Bundesparteivorsitzender des Liberalen Forum (LIF) Einblick in die politischen Zusammenhänge. Als bekennender Neoliberaler wirft er in seinem soeben erschienenen Buch "Weicheier machen nicht satt – Eine Abrechnung mit Feiglingen, Mitläufern und Ja-Sagern" (Goldegg) einen kritischen Blick auf die Zustände in der Welt und zeigt offen sowie schonungslos auf, welche wirtschaftlichen Abgründe uns dadurch erwarten.

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