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Raab: "Griechen sollten Euro aufgeben"

Piratenpartei Österreich

relevant Redaktion

Raab: "Griechenland sollte Euro aufgeben"

06.07.2012
Stephan Raab von der Piratenpartei-Chef Österreichs über direkte Demokratie, Jungwähler und die realitätsfernen Konkurrenz-Parteien.

Die Piratenpartei Österreichs legt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich einen wortstarken Auftritt hin. Mit ungewöhnlichen Themen wie Urheberrecht, aber auch in der Zwischenzeit beliebt gewordenen Schlagwörtern wie "Transparenz" oder "direkte Demokratie" punktet die neue Partei vor allem bei jungen Wählern.

relevant-Journalist Manuel Simbürger sprach dazu und vielen weiteren Punkten mit Stephan Raab, der seit April 2012 im Bundesvorstand der Partei sitzt.


relevant: Herr Raab, wie kann man sich die Struktur der Piratenpartei Österreichs vorstellen?

Stephan Raab: Fast wie in jeder anderen Partei auch. Wir haben den Bundesvorstand sowie einzelne Landesvorsitzende. Einen Parteichef gibt es bei uns allerdings nicht. Das würde unserer demokratischen Ordnung widersprechen. Wir haben einen sehr gut organisierten und geschlossenen Bundesvorstand, in dem es keine Reibungsflächen gibt.


"Freiheit des Einzelnen"

Für all jene, für die die Piratenpartei noch ein unbeschriebenes Blatt ist: Wofür steht die Partei?

PPÖ (Piratenpartei Österreichs, Anm.) steht für die Freiheit des Einzelnen, wie es sich in unseren Themen wie ACTA (Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen, Anm.) oder Überwachungsstaat widerspiegelt. Unser Kernthema dabei ist die Basisdemokratie. Mit Tools (Werkzeuge, Anm.), die wir bereitstellen, kann sich wirklich jeder am politischen Geschehen beteiligen, jeder kann seine Ideen einbringen. Wenn er oder sie Mehrheiten dafür findet, werden diese Ideen auch umgesetzt. Genau das ist es auch, was die Piraten von den anderen Parteien unterscheidet.

Seitdem die Piraten bekannt geworden sind, findet man immer mehr von unseren Schlagwörtern bei den anderen Parteien. Vor einem Jahr hat noch keiner etwas von "Transparenz" gehört. Heute schmückt sich jede Partei damit. Wir waren hierfür eindeutig die Ideengeber, und darauf sind wir stolz. Denn Transparenz ist etwas, das die Piraten ausmacht. Bei uns wird jede(r) in Entscheidungen miteinbezogen. Die anderen Parteien haben gemerkt, dass dies genau das ist, was die Leute wollen.

Welche weiteren Themen findet man noch in der Piratenpartei?

Das Thema "Urheberrecht" ist bei uns sehr wichtig. Wobei wir hier oft falsch verstanden werden: Wir wollen nicht dem Künstler Geld wegnehmen, ganz im Gegenteil – der Künstler soll für seine Arbeit natürlich belohnt werden. Was wir wollen ist eine Umschichtung, eine neue Aufteilung. Denn es kann nicht sein, dass der Künstler von beispielsweise 9,90 Euro, die eine CD kostet, nur 10 Cent bekommt, während sich der Rest Vermarkter und Verwertungsgesellschaften untereinander aufteilen. Jeder muss gerecht belohnt werden. Die Macht über Verwertungsgesellschaften muss gebrochen werden, das passt schlicht und einfach nicht mehr in unsere Zeit. Das Urheberrecht-Gesetz muss den heutigen Gegebenheiten angepasst werden.

Abgesehen davon sind wir auch dabei, Programmpunkte auszuarbeiten, vor allem im Bereich der Sozial- und Migrationspolitik. Wobei man bei uns aber immer bedenken muss: Wir brauchen gar nicht sehr viele fixe Themen. Denn aus der Basis heraus entstehen automatisch wichtige Punkte, die besprochen und behandelt werden. Diese Ideen werden zusammengefasst, und erst daraus ergibt sich später ein Programmpunkt. Genau das macht eine Demokratie aus.


"Leute wissen: Wir sind ehrlich"

Wie funktioniert diese "direkte Demokratie" in der Praxis?

Wir haben ein Tool namens "Liquid Feedback". Darunter versteht man eine Mischform zwischen indirekter und direkter Demokratie. Während bei indirekter Demokratie ein Delegierter zur Vertretung der eigenen Interessen bestimmt wird und bei direkter Demokratie alle Interessen selbst wahrgenommen werden müssen, ergibt sich bei Liquid Democracy ein fließender Übergang zwischen direkter und indirekter Demokratie.

Jeder Teilnehmer kann selbst entscheiden, wie weit er seine eigenen Interessen wahrnehmen will, oder wie weit er von anderen vertreten werden möchte. Insbesondere kann der Delegat jederzeit sein dem Delegierten übertragenes Stimmrecht zurückfordern, und muss hierzu nicht bis zu einer neuen Wahlperiode warten. Es ergibt sich somit ein ständig im Fluss befindliches Netzwerk von Delegationen. Und man schafft es so auch, Menschen anzusprechen, die ansonsten weniger politisch engagiert oder interessiert sind.

Ist das einer der Gründe für die derzeitige Erfolgswelle der Piraten? Dass man auch weniger politisch Interessierte anspricht?

Ja, das denke ich. Die Leute merken einfach, dass wir ehrlich sind. Keiner von uns macht Politik des Geldes oder der Karriere wegen. Wir lernen alles von der Pike auf. Bei uns gibt es keine älteren Männer an der Spitze, die alles bestimmen. Genau das ist das Faszinierende an den Piraten. Und deshalb bekommen wir auch Stimmen, auch wenn wir kein "richtiges" Parteiprogramm haben.


"Populismus nicht im Interesse der Mehrheit"

Bezüglich direkter Demokratie: Diese kann auch in die falsche Richtung gehen, wie man an der Schweizer Piratenpartei sieht. Hier entwickelt sich eine direkte Demokratie gepaart mit Populismus ... sehen Sie diese Gefahr auch für Österreich?

Das ist immer eine Gefahr. Wenn wir heute einen Kinderschänder fangen, wird übermorgen nach der Todesstrafe gerufen. Da müssen natürlich Wege gefunden werden, wie man das verhindern kann, denn Populismus ist nicht im Interesse der Mehrheit. Auch bei Minderheiten-Thematiken muss man Populismus verhindern. Da wir diese Themen aber noch nicht am Tisch hatten, haben wir auch keine Lösung dafür. Uns ist diese Problematik jedoch bewusst.

Wer ist der typische "Piraten-Wähler"?

Wir kommen bei den Jungen sehr gut an. Und wir bekommen immer mehr Zuspruch aus der "Mitte" der Bevölkerung. Sprich: der Nachbar, der von 8 bis 17 Uhr arbeiten geht, die alleinerziehende Mutter oder der Kellner. Menschen wie Du und Ich also.

Apropos Jungwähler: Laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Jugendforschung unter 1.526 JungwählerInnen in Österreich und Deutschland würden aktuell 23 Prozent der 16- bis 29-jährigen Deutschen und 12 Prozent der 16- bis 29-jährigen ÖsterreicherInnen die Piratenpartei wählen.

Natürlich üben wir einen Reiz auf Jugendliche aus. Aus dem einfachen Grund, weil sie bei uns SOFORT zum Zug kommen und nicht erst nach zehn Jahren, in denen sie sich durch Parteistrukturen kämpfen müssen. Bei uns im Bundesvorstand gibt es einen 18-Jährigen, der gerade die Matura gemacht hat. In einer anderen Partei wäre dies nicht möglich. Bei uns kann jeder mitmachen, wir sind eine Mitmach-Partei. Und Junge werden genauso ernst genommen wie alte Mitglieder.


"Verhindern, dass FPÖ zu groß wird"

Einer der Kritikpunkte der Jungwähler ist jedoch, dass die Piraten zu sehr auf das Thema "Internet" fokussieren. Soll das in Zukunft geändert werden?

Nein. Allerdings wollen wir das Thema massentauglicher machen. Für uns ist es momentan organisatorisch noch sehr schwierig, die sogenannten "Offline-Piraten" zu erfassen.

Trotz der Unterschiede – gibt es eine Partei, mit der Sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen können? Mit einer scheint es ja Gemeinsamkeiten zu geben ...

Sie denken sicher an die Grünen. Mit dieser Partei haben wir natürlich gewisse Schnittpunkte. Wenn man aber rein taktisch überlegt, sind wir genauso für die SPÖ als auch für die ÖVP wichtig. Durch uns wird es möglich, die FPÖ nicht zu groß werden zu lassen.


"Wir haben keine Berührungsängste"

Es gibt in Österreich viele neue demokratische Bewegungen, eine davon ist z. B. die Online Partei Österreich. Wie steht die Piratenpartei dazu?

Wir hatten neulich ein Treffen der Mutbürger, wo viele dieser Bewegungen zusammengetroffen sind. Natürlich gibt es mit vielen dieser Parteien Überschneidungen und wir teilen viele gemeinsame Ziele. Das ist einer der Gründe, wieso wir als Piratenpartei den anderen Bewegungen anbieten, als Sprachrohr zu fungieren und so die mediale Aufmerksamkeit auch ihnen zukommen zu lassen. Wir stellen ihnen auch unsere Plattform, also "Liquid Feedback", "Mumble" etc. zur Verfügung. Wir freuen uns über jeden, der mit uns arbeitet, auch wenn er oder sie nicht Mitglied der Partei ist. Um etwas vorwärts zu bekommen, muss man einfach eine große Demokratie sein und darf keinen ausschließen. Wir haben keine Berührungsängste.

Wie finanziert sich Ihre Partei?

Vor allem aus Mitgliedsbeiträgen. Wir wissen aber, dass das auf Dauer nicht möglich ist. Zurzeit entwickeln sich die Piraten zu einer Marke. Wenn wir das aufrechterhalten, werden sich auch Spender finden, die helfen, den Wahlkampf mitzufinanzieren. Wir sind aber gar nicht daran interessiert, die Stadt mit Plakaten voll zu kleistern. Lieber wollen wir innovativere Wege gehen. Wir werden einen sehr kreativen Wahlkampf führen.


"Schaffen Einzug in Nationalrat"

Welche Chancen rechnen Sie sich für die Nationalratswahlen 2013 aus?

Schwierig zu sagen. Ich halte mich an seriöse Umfragen, die uns 7 bis 9 Prozent vorhersagen. Ich persönlich rechne allerdings mit mehr, wäre auch nicht überrascht, wenn wir 10 Prozent erreichen würden. Den Einzug allerdings werden wir mit Sicherheit schaffen.

Würden Sie die anderen Parteien als realitätsfern bezeichnen?

Vielleicht nicht die Parteien an sich, denn da denke ich auch an den "kleinen" Landtagsabgeordneten. Die Spitzen der Parteien sind aber sicherlich realitätsfern. Wie soll es auch anders sein? Sie haben permanent ihre Ja-Sager, permanent ihre Berater um sich. Da gibt es keinen, der dem Parteichef die ehrliche Meinung sagt. Und mit den Leuten auf der Straße wird auch nicht mehr gesprochen, außer, es ist Wahlkampf und es werden Kugelschreiber verteilt.


"Graf muss zurücktreten"

Wie steht Ihre Partei zum Thema "Martin Graf"?

Meine persönliche Meinung ist: Sobald ein Politiker in den Verdacht kommt, dass er sich als etwas ausgibt, was er nicht ist, sollte er schon allein aus ethischen Gründen zurücktreten. Politiker sollten eigentlich eine Vorbildfunktion haben.

Und zum Thema "Griechenland-Krise"?

Mir tun die Griechen an sich leid. Für sie wäre es besser, wenn sie die Eurozone freiwillig verlassen würden, selbst wenn es ihnen dann ein halbes Jahr schlechter geht.

Die Haltung der Piraten zum "Euro-Rettungsschirm"?

Die Summen, die inzwischen im Raum stehen, sind zu hoch. Warum sollten unsere Kinder dafür ihr Leben lang mitbezahlen? Andererseits: Den Euro jetzt auseinanderbrechen zu lassen hätte sicherlich für viele Länder schwere wirtschaftliche Folgen. Eine offizielle Meinung der PPÖ gibt es dazu aber nicht.

Das ist wohl der Nachteil der direkten Demokratie – es dauert sehr lange, bis eine offizielle Meinung zustande kommt ...

Stimmt. Wobei andere Parteien dasselbe Problem haben, nur gibt es dort hochbezahlte Spezialisten. Man darf nicht vergessen: Der Politiker selbst hat wenig Ahnung vom Thema, er wird nur von Fachleuten beraten. Unser Problem ist also weniger die direkte Demokratie, sondern es sind die fehlenden Fachleute.


"Direkte Demokratie ist Feuer für Parteien"

Letzte Frage: Wie wird die politische Landschaft Ihrer Meinung nach in zehn Jahren aussehen?

Die Piraten werden eine weitaus größere Rolle spielen als heute. Unsere eingesetzte direkte Demokratie ist ein Feuer für andere Parteien, weshalb sie auf diesen Zug früher oder später aufspringen werden. Ich hoffe, dass die Piraten dafür die Vorreiter sind und wir viel zu einer direkten Demokratie beitragen können.

Interview: Manuel Simbürger


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