Quelle: ZAMG

Interviews

Weitere Meinungsthemen

"Tea Party sieht sich als Opfer der 'Faulen'"

privat

relevant Redaktion

"Tea Party sieht sich als Opfer der 'Faulen'"

28.06.2012
Ein Interview mit dem Sachbuchautor und USA-Kenner Philipp Schläger - über die amerikanische Tea-Party-Bewegung, ihren wachsenden Einfluss und ihre politischen Ziele.

Der 1977 in Frankfurt geborene Buchautor, Journalist (u.a. Frankfurter Rundschau) und Rechtsanwalt Philipp Schläger beschäftigte sich bereits in seinem ersten Buch "Der entzauberte Präsident – Barack Obama und seine Politik" (Rotbuch Verlag) detail- und kenntnisreich mit der politischen Klasse der USA. Sein neuester Band "Tea Party, Republikaner und die Politik der Angst: Amerikas Neue Rechte" ist am 25. Juni erschienen - passend zu den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Herbst, bei denen diese Bewegung eine entscheidende Rolle spielen wird.

Hierzulande ist die "Tea Party" Politik-Interessierten vor allem durch Sarah Palin ein Begriff geworden, die mit ihren inszenierten Auftritten und starken Sprüchen für Reaktionen zwischen Entsetzen und Erheiterung sorgt. Hinter der Bewegung, die sie vertritt, steckt jedoch bedeutend mehr. Was, hat Philipp Schläger relevant-Redakteurin Ute Rossbacher in einem ausführlichen Austausch erläutert.


relevant: Herr Schläger, in Ihrem aktuellen Buch "Tea Party, Republikaner und die Politik der Angst: Amerikas Neue Rechte" zeichnen Sie den Aufstieg der amerikanischen Tea-Party-Bewegung nach. Es heißt, diese betreibe Demokratie in ihrer aggressivsten Form. Was ist damit gemeint?

Philipp Schläger: Dazu muss man wissen - die amerikanische Demokratie baut auf das "Checks and Balances" genannte System der Gewaltenteilung, bei dem die Macht auf verschiedene Verfassungsorgane verteilt ist. Die verschiedenen Machtzentren des amerikanischen politischen Systems - der US-Präsident, der Kongress mit dem Repräsentantenhaus und der zweiten Kammer, dem Senat, sowie das oberste Bundesgericht, der Supreme Court - sollen sich in diesem System gegenseitig kontrollieren und auf diese Weise verhindern, dass eine der Institutionen zu viel Macht gewinnt und das Gleichgewicht aushebelt.

Ergebnisse erzielt man unter diesen Bedingungen nur durch Kompromisse. Das funktioniert allerdings nur, so lange die unterschiedlichen Organe konstruktiv zusammenarbeiten und aufeinander zugehen.


"Keine Kompromisse, wie vorteilhaft sie auch sind"

Inwiefern kommt das der Tea Party zugute?

Die Tea-Party-Bewegung nutzt diesen Mechanismus, um ihn zu blockieren. Ihre puristische Ideologie sieht keine Kompromisse vor, egal wie vorteilhaft diese sind. Mit der Machtübernahme der von der Tea Party getriebenen Republikaner im Repräsentantenhaus bei den Zwischenwahlen 2010 blieben daher weder Präsident Barack Obama noch dem demokratisch beherrschten Senat Handlungsspielraum.

Das gilt nicht nur für zentrale Projekte der Demokraten wie die Einwanderungsreform oder das Klimaschutzgesetz, die auf der Strecke blieben. Die Tea Party versuchte auch, die Anhebung der Schuldengrenze zu verhindern, die zur Zahlung von in der Vergangenheit beschlossenen Ausgaben stets ohne Streit und unter allen Präsidenten der USA im Konsens erfolgt ist. Die Bewegung nahm damit die Zahlungsunfähigkeit und die aus dem Konflikt resultierende Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA in Kauf – und das in einer kritischen Wirtschaftslage mit hoher Arbeitslosigkeit.

Wie kann man sich den durchschnittlichen Tea-Party-Anhänger vorstellen?

Der durchschnittliche Tea-Party-Anhänger ist weiß, männlich und höheren Alters. Er verdient mehr als der Durchschnitt und ist für amerikanische Verhältnisse gut gebildet. In vielen Berichten werden seine Wut und sein Engagement als Ergebnis der staatlichen Hilfsprogramme für Banken und die ausufernden Staatsausgaben beschrieben.

Lässt man einmal rassistische Ressentiments beiseite, die in der Bewegung unverkennbar zu beobachten sind, so prägt vor allem die Angst vor dem ökonomischen Abstieg die Anhänger der Bewegung. Hinzu kommt die Wut über den Machtverlust auf der Weltbühne angesichts neuer aufstrebender Supermächte wie China.


"Religion spielt große Rolle"

Aus welchen politischen Lagern kommen die Tea-Party-Wähler ursprünglich?

Die Tea Party ist keineswegs ein bunt gemischter Haufen empörter Amerikaner. Eine langjährige Untersuchung der Politologen David Cambell und Robert Putnam kam zu dem Ergebnis, dass der typische Tea-Party-Anhänger in der Regel lange vor Entstehen der Bewegung bei den Republikanern aktiv war und - und das ist angesichts der Berichterstattung der Medien, die diesen Punkt gerne ignorieren, eine gewisse Überraschung - eine größere Rolle der Religion im öffentlichen Leben befürwortet.

Das könnte auch erklären, warum unter der Präsidentschaft von Obamas Vorgänger George W. Bush trotz des wachsenden Haushaltsdefizits und eines explodierenden Schuldenberges durch zwei auf Pump finanzierte Kriege und riesige Steuersenkungen - vor allem für Reiche - nichts von der Tea Party zu hören war. Kaum jemand zweifelte an Bushs Religiosität und seiner konservativen Grundhaltung.

Zum Großteil finanziert wird diese Bewegung von den Brüdern David und Charles Koch, die milliardenschwere Unternehmer sind. Welches Interesse haben Männer wie sie daran, dass sich die Tea Party politisch durchsetzt?

Auch wenn die Tea Party mit ihren zahlreichen lokalen Gruppen und Organisationen keineswegs homogen ist und auch keine übergeordnete Führungsstruktur hat, versuchen diese von reichen Unternehmern finanzierten nationalen Organisationen mit wohlklingenden Namen wie FreedomWorks (Freiheit funktioniert) und Americans for Prosperity (Amerikaner für Wohlstand) die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Dabei versuchen sie den Fokus auf die Schlagworte des "kleineren Staates", der Forderung nach "weniger Steuern" und "mehr Freiheit" zu richten.

Wie steht es um Wertvorstellungen?

Sozialkonservative Werte vieler Tea-Party-Anhänger, wie der Kampf gegen Abtreibung, ist für diese Organisationen eine unnötige Ablenkung. Ihnen geht es um die Abschaffung staatlicher Hürden für ihre Konzerne. Eines ihrer zentralen Ziele ist es beispielsweise, Gewerkschaften und das Arbeitsrecht zu schwächen und Umweltschutzregulierungen aus dem Weg zu schaffen.

Die Tea Party-Bewegung verleiht diesen Lobbygruppen eine gewisse demokratische Legitimation, weshalb der Bewegung auch immer wieder vorgeworfen wird, von Öl-Milliardären gesteuert zu werden. Das ist zwar nicht der Fall, dennoch nützen diese Interessen-Gruppen die ideologischen Übereinstimmungen und das durch die Bewegung entstehende politische Kapital. Je weniger der Staat involviert ist, desto höher der Profit ihrer Förderer.


"Staatliche Programme sind ihnen ein Dorn im Auge"

Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Unbarmherzigkeit der Tea Party gegenüber Schwächeren und schlechter gestellten Menschen. Woher rührt diese Haltung?

Ja, auf uns Europäer wirkt diese Haltung ungemein egoistisch. Tea-Party-Anhänger sehen sich dagegen als Opfer Anderer, die nach ihrer Vorstellung zu faul sind, um zu arbeiten und angeblich parasitär "auf Kosten des Staates ein schönes Leben" führen. Staatliche Programme, wie Obamas Versuch einer allgemeinen Krankenversicherung, sehen sie als eine Bedrohung dieses "ausufernden" Staates, als einen Vorboten des Sozialismus, ja einer Tyrannei. Staatliche Programme für die Ärmsten der Gesellschaft sind ihnen daher ein Dorn im Auge.

Ihre Wut richtet sich dabei gegen illegale Einwanderer ebenso wie die vermeintlich "faule" junge Generation. Interessanterweise verteidigen viele Tea Party-Anhänger - im Gegensatz zu ihren nationalen Frontorganisationen - die größten staatlichen Sozialprogramme wie die Rentenversicherung "Social Security" und die Krankenversicherung für Senioren, "Medicare". Da sie selber jahrzehntelang in diese Programme eingezahlt haben, lehnen sie hier Kürzungen ab.

Woher rührt diese Debatte?

Die Angst vor einer größeren Rolle des Staates hat Wurzeln im Widerstand der Konservativen gegen Franklin D. Roosevelts New Deal und im Anti-Kommunismus, der von Interessensvertretungen immer wieder gezielt eingesetzt wurde, um mit der Angst vor dem Abgleiten in den Sozialismus gegen Gewerkschaften zu punkten und eigene Pfründe gegen gesellschaftliche Projekte wie eine staatliche Krankenversicherung zu verteidigen.

Es ist auch eine Angst vor einem Amerika, das ihnen kulturell fremd und scheinbar unaufhaltsam auf dem Vormarsch ist, wenn man beispielsweise die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung oder die wachsende Mehrheit von Amerikanern in Betracht zieht, die die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften befürworten. Es überrascht wenig, dass die apokalyptischen Visionen der Rechten mit der Amtsübernahme des ersten schwarzen Präsidenten erstmals auch auf der Straße massenhaft Anklang fanden.


"Wilders gern gesehener Gast bei Tea-Party-Events"

Gibt es zur amerikanischen Tea-Party-Bewegung ein vergleichbares politisches Gegenstück in Europa?

Ihr ähneln wohl vor allem die einwanderer- und islamfeindlichen rechtspopulistischen Bewegungen, wie die unter der Führung von Geert Wilders in Holland, der immer wieder ein gern gesehener Gast bei Veranstaltungen der Tea Party war. In Deutschland führen diese Gruppen ein vergleichsweise kümmerliches Dasein am rechten Rand. In der amerikanischen Öffentlichkeit hat die Tea Party dagegen in den vergangenen Jahren zumindest bis zum Beginn der Occupy-Bewegung die Inhalte der politischen Debatte gesetzt.

Für wie bedeutend erachten Sie den Einfluss der Tea Party bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im Herbst?

Kein Kandidat der Republikaner kommt ohne ein Lippenbekenntnis für die Forderungen der Bewegung aus. Und viele teilen offensiv ihre radikalen Inhalte, darunter auch alle republikanischen Präsidentschaftsbewerber - inklusive Mitt Romney. Der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner galt vielen Anhängern der erzkonservativen Bewegung anfangs als zu moderat. Doch er nutzte im parteiinternen Rennen jede Gelegenheit, um sich als extrem rechter Politiker zu profilieren. Er stellte die Erkenntnisse zum Klimawandel in Frage und unterstützte das Ansinnen rechter Republikaner, berufstätigen Frauen den Zugang zu Verhütungsmitteln zu erschweren. Mit seiner Rhethorik gegen illegale Einwanderer überholte er selbst parteiiinterne Widersacher rechts.

Personell hat sich die Bewegung im Präsidentschaftswahlkampf allerdings nicht durchgesetzt, da das Kandidatenfeld extrem schwach war und sich die Bewegung nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnte.

Warum aber Romney?

Viele hatten sich wohl deshalb früh mit ihm abgefunden, weil sie in ihm den einzigen Kandidaten sahen, der eine reale Chance auf einen Sieg gegen Obama haben würde. Und ihr oberstes Ziel bleibt, Obama aus dem Weißen Haus zu jagen. Gleichzeitig kämpfen sie um politischen Einfluss auf allen Ebenen. Die Tea Party versucht nun etwa im Rennen um den Senat, besonders rechte Kandidaten auf die Listen zu befördern, um neben dem Repräsentantenhaus auch die zweite Kongresskammer zu erobern. Mit dieser Macht im Kongress wäre Obama in seiner zweiten Amtszeit praktisch handlungsunfähig und ein Präsident Romney auf die Unterstützung der Tea Party angewiesen.

Und der Einfluss der Bewegung bleibt. Trotz ihrer gefährlich radikalen Positionen setzt die Republikanische Partei auf den Enthusiasmus der Bewegung. Denn sollten aktuelle Umfragen zutreffen, wird es bei der Wahl im November auf jede Stimme ankommen.


"Erschwernisse für Arme und Studenten"

Woran zeigt sich das?

Konservative in den Bundesstaaten bereiten sich mit Gesetzen zur Einschränkung des Wahlrechts auf einen solch knappen Wahlausgang vor. Die von ihnen in zahlreichen Bundesstaaten verabschiedeten neuen Regeln sehen unter dem Vorwand der Verhinderung von Wahlbetrug neue Hürden wie eine Ausweispflicht beim Urnengang vor – und das, obwohl die USA im internationalen Vergleich bereits eine sehr niedrige Wahlbeteiligung vorzuweisen haben und Fälle des Wahlbetrugs verschwindend gering sind.

Diese Vorschriften zielen bewusst auf Arme und Studenten, die in der Regel keinen entsprechenden Ausweis haben und traditionell die Demokraten wählen. In einer Wahl, in der es auf jede Stimme ankommt, können solche Regeln am Ende den Ausschlag geben.

Interview: Ute Rossbacher


Buchtipp

Philipp Schläger Tea Party, Republikaner und die Politik der Angst: Amerikas neue Rechte (Rotbuch Verlag, 2012)

Home
Politik
Chronik
Wirtschaft
Sport
Kultur
Society
Life
Reise
Motor
Hightech