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Geier: "Die Macht der Banken zerschlagen"

privat

relevant Redaktion

"Die Macht der Banken zerschlagen"

21.06.2012
Manfred Geier zeigt in seinen Büchern, wie aktuell die Ideen der Denker der Aufklärung immer noch sind. Nicht zuletzt in der Euro-Krise.

In seinem kürzlich erschienenen Buch "Aufklärung. Das europäische Projekt" (Rowohlt, Reinbek) widmet sich der in Hamburg lebende Publizist Manfred Geier - nicht zum ersten Mal - den geistigen und politischen Errungenschaften der Aufklärung zur Zeit des 18. Jahrhunderts: Ob Menschenrechte, die Kontrolle der Macht und der Mächtigen oder mehr Toleranz gegenüber anderen Religionen und Geisteshaltungen - viele der damals formulierten Forderungen haben bis heute nichts an Brisanz verloren.

Vor dem Hintergrund der politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, denen sich Europa derzeit gegenübersicht, tauschte sich relevant-Redakteurin Ute Rossbacher mit dem ehemaligen Universitätsprofessor und Publizisten aus.


relevant: Herr Geier, in Ihren Büchern wird deutlich, wie spannend die Epoche der Aufklärung war, wie aktuell ihre Anliegen immer noch sind und wie sehr ihre geistigen und politischen Errungenschaften bis heute nachwirken. Welches Erbe verdanken wir dieser Zeit?

Manfred Geier: Die geistigen und politischen Errungenschaften, um die seit Beginn des 18. Jahrhunderts europaweit gestritten wurde, wirken in ihrer unabschließbaren Dynamik nach. Das betrifft vor allem das grundlegende Menschenrecht, selbst frei denken zu können. Man ist empfindlich geworden gegenüber den Vorschriften seitens der Macht, sei es die kirchliche, die staatliche oder die massenmediale.

Der Kampf für den eigenen Verstandesgebrauch, der sich politisch als Kampf für demokratische Freiheitsrechte äußerte, war in der Epoche der Aufklärung vielleicht spannender als heute, jedenfalls in Europa. Da wurde erbittert gestritten und auch viel gelitten. Einige Aufklärer landeten im Gefängnis, andere auf dem Schafott. Das sollte man nicht vergessen, auch wenn die Programm-Ideen der Aufklärung für uns heute großteils selbstverständlich geworden zu sein scheinen.

Generell möchte ich das Wort "Erbe" übrigens in diesem Zusammenhang vermeiden. Es bezeichnet etwas Abgeschlossenes. Die Ideen der Aufklärung sind dagegen etwas Bewegliches. Sie waren nicht fest gefügt, und wurden auch nicht von allen Aufklärern einheitlich vertreten.


"Mut, den eigenen Verstand zu gebrauchen"

In Ihrem Buch "Aufklärung. Das europäische Projekt" veranschaulichen Sie die Entwicklung der Aufklärung am Beispiel einiger ihrer namhaftesten Vertreter - wie zum Beispiel Immanuel Kant, Moses Mendelssohn oder John Locke. Was können wir von diesen Denkern heute lernen?

Alle drei, aber diese Charaktereigenschaft zeichnet auch die meisten anderen Aufklärer aus, hatten den Mut und die Fähigkeit, aus sich selbst etwas zu machen und ihre eigenen Gedanken zu entwickeln. Sie lebten selbst nach dem Wahlspruch der Aufklärung, wie ihn Kant 1784 formuliert hat: "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen."

Kant kam aus einer armen Handwerkerfamilie und war mit 20 Jahren Vollwaise. Das hat ihn nicht gehindert, sich selbst zu bilden und seinen Weg zu gehen. Moses Mendelssohn verließ unerlaubt als junger Mann sein jüdisches Ghetto und schlug sich rechtlos und ohne Geld in Berlin durch. Doch er wollte lernen und entwickelte sich selbst zu einer Schlüsselfigur der jüdischen Aufklärung. Und John Locke legte sich als kritischer Denker mit den religiösen und politischen Mächten seiner Zeit an und erkämpfte sich dabei einen immer größeren Denk- und Handlungsspielraum. Auch die anderen Aufklärer hatten diesen Impuls zur Selbstständigkeit.

Ich erinnere in dieser Hinsicht auch an die Frauen. Im Rahmen der Aufklärung haben sie für sich das Recht auf allgemeine Menschenrechte erkämpft. Das kann uns doch heute noch ermutigen.

Das fällt auch in Ihren Büchern auf: Den Philosophen und Autoren, die Sie in den Mittelpunkt rücken, ist fast allen gemein, dass ihre Gedanken eben nicht nur etwas Tröstliches, sondern auch Ermutigendes haben. Wem gilt Ihre besondere Bewunderung?

Tröstlich sind vor allem die geschichtlichen und politischen Gedanken "in weltbürgerlicher Hinsicht". Dazu haben vor allem Immanuel Kant und Sir Karl Popper beigetragen. Aber auch Jean-Jacques Rousseau, um nur einen weiteren Selbstdenker zu nennen, hat wichtige Überlegungen zu einem "paix perpetuelle", einem dauerhaften Frieden, angestellt, dessen Grundlagen er allerdings zunächst nur für die Völker Europas entwarf.

Zwei Weltkriege haben das vergangene Jahrhundert zu einem Zeitalter der Extreme gemacht, mit Massenmorden eines ungeheuren Ausmaßes. Philosophen in der Tradition der Aufklärung wollen sich dadurch nicht in die totale Verzweiflung treiben lassen. Sie halten an einem "Dennoch!" fest, in dem ein Funken Hoffnung steckt, der ja auch etwas Großes bewirken kann. Popper hat das in seiner einfachen Grundüberzeugung ausgedrückt: "Wir können aus unseren Fehlern lernen." Und dieser Lernprozess lenkt uns heute in Richtung einer Gemeinschaft aller Menschen, die sich als Bewohner einer Welt verstehen und friedlich miteinander auskommen wollen.


"Impuls gegen Aufklärung gegen Macht gerichtet"

Wenn heutzutage vom "europäischen Projekt" ist, denken viele an die Europäische Union und in weiterer Folge vermutlich auch an die Euro-Krise ausgehend von Griechenland. Wie bewerten Sie diese Ereignisse mit Blick auf die Ideen und Erkenntnisse der Aufklärung?

Der wesentliche Impuls der Aufklärung ist gegen Macht gerichtet. Damals war es die Macht der Kirche und feudaler Herrscher. Heute ist es die Macht eines anonymen globalen Finanzkapitals, dessen Ausmaß man sich im 18. Jahrhundert nicht vorstellen konnte. Die großen Banken mit ihrem unverantwortlichen gierigen Spekulieren auf immer mehr Geld treiben die Staaten von einer Krise in die nächste. Jetzt ist gerade Griechenland dran. Wie dieses finanzpolitische Debakel ausgeht, weiß niemand.

Vernünftig wäre wohl, die Macht der Banken zu zerschlagen und zu Formen des Wirtschaftens zu kommen, die im Interesse der Bürger sind. Darüber denken gegenwärtig ja auch immer mehr Ökonomen nach, die ich in der Tradition der Aufklärung stehen sehe.

Aber auch grundsätzlich sollte man trotz dieser Euro-Krise an der Einsicht festhalten, dass die "Verfassung Europas" nicht durch Großbanken mit ihren undurchschaubaren, scheinbar unkontrollierbaren Geldgeschäften geprägt ist, sondern durch eine politische, geistige und kulturelle Tradition, wobei die Aufklärung noch immer zum Besten gehört, was ein kosmopolitisches Europa zu bieten hat.


"Ohne Humor würde man verzweifeln"

Eines Ihrer Bücher trägt den Titel "Worüber kluge Menschen lachen". Worüber lachen Sie - als Vertreter dieser Gruppe?

Vor allem über die Unsinnigkeiten und Widersprüche des Lebens. "Kluge Menschen", wozu ich ironischerweise ja auch die Philosophen zähle, denen das Lachen normalerweise fremd ist, lachen nicht überheblich über andere Menschen, die sie für dumm oder lächerlich halten, sondern über die Unstimmigkeiten des menschlichen Handelns.

Man will zum Beispiel das Beste erreichen, und gerät dabei von einem Missgeschick ins nächste. So geht es auch den meisten Aufklärern. Ohne Humor und Lachen würden sie ja verzweifeln angesichts des ständigen Widerstreits zwischen ihren Ideen und der Wirklichkeit.

Interview: Ute Rossbacher


Buchtipp

Manfred Geier Aufklärung. Das europäische Projekt (Rowohlt, Reinbek, 2012)

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