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"Serien sind ein Abbild der Gesellschaft"

ORF/Hans Leitner

relevant Redaktion

"Serien sind ein Abbild der Gesellschaft"

21.06.2012
Serienchefin Andrea Bogad-Radatz im relevant-Gespräch über den Serien-Montag im ORF, den Erfolg von "Grey's Anatomy" und geplante Serienstarts im Herbst.

Der "Serien-Montag" ist seit Jahren das erfolgreichste ORF-Format: US-Serien wie "CSI", "Grey's Anatomy" oder "Desperate Housewives" locken Woche für Woche zahlreiche ZuseherInnen vor den TV-Bildschirm.

Anlass für relevant-Redakteur Manuel Simbürger, Dr. Andrea Bogad-Radatz, ihres Zeichens zuständig für das Ressort Serien beim ORF, zum Interview zu bitten und mit ihr über eine der schönsten Nebensachen der Welt zu sprechen: TV-Serien.


Der "Serien-Montag" im ORF ist seit Jahren höchst erfolgreich. Das Erfolgsgeheimnis?

Dr. Andrea Bogad-Radatz: Montag ist ein Tag, an dem fast nie Sport übertragen wird, also Serien deswegen auch nicht ausfallen und kontinuierlich an ihrem gewohnten Sendeplatz gezeigt werden können. Und: In der Prime Time wollen wir den Mainstream bedienen, mit Serien wie "CSI", "Grey's Anatomy", "Private Practice" oder "Desperate Housewives". Zur späteren Stunde zeigen wir aber durchaus auch anspruchsvollere Programme wie "The Big C", "Dexter" oder "Californication", die sich gut in den Audience-Flow einfügen und von den davor gezeigten Serien profitieren.

"The Big C" beispielsweise würde also um 20.15 Uhr nicht funktionieren?

Nein. Weil zu dieser Zeit das Publikum ein anderes ist. Das ist die Kunst des Programmierens: zu wissen, wann welche Leute vor dem Fernseher sitzen und das Programm entsprechend zu gestalten. Am Nachmittag oder am Vorabend sind das viele Jugendliche, Schüler und Studenten, die unterhalten werden wollen – deshalb funktionieren Sitcoms und Comedys um diese Uhrzeit so gut. Auch Erwachsene, die gerade von der Arbeit heimkommen, wollen nicht sofort mit einer Drama-Serie bombardiert werden.

Ein Beispiel: Vor vielen Jahren lief "Emergency Room" im ORF am Vorabend – und konnte quotentechnisch leider überhaupt nicht überzeugen.


"Zuseher emotional fesseln"

Was macht für Sie eine qualitativ hochwertige TV-Serie aus?

Egal ob Film oder Serie – das Programm muss den Zuseher emotional fesseln. Dazu gehört ein Mix aus guten Storys und sehr guten Schauspielern. Zudem muss das Produkt seinem Genre entsprechen – ist es eine Comedy, muss sie besonders lustig sein, handelt es sich um ein Drama, muss es sehr emotional zugehen.

Zudem sollte ein gewisser "Production Value" (Produktionswert, Anm.) vorhanden sein, der zur Grundlage einer jeden Serie gehört. Aber wir haben es auch schon erlebt, dass der "Production Value" sehr hoch sein kann, die Story aber schlecht ist. Dann ist es meist so, dass das Produkt beim Publikum trotzdem nicht ankommt.

Ist es schwierig, abzuschätzen, welches Produkt beim Publikum ankommt und welches nicht?

Das hat sehr viel mit Erfahrung zu tun. Natürlich muss man auch ein gewisses Gespür für das Programm haben. Es gibt aber auch Faktoren, die im Vorhinein auf einen zukünftigen Publikumshit hinweisen können, wie beliebte Schauspieler, Auszeichnungen, etc.

Auch wir werden immer noch positiv überrascht – wie vor ein paar Wochen mit der ORF-Premiere von "Up in the Air" mit George Clooney. Der übertraf quotentechnisch alle unsere Erwartungen. Schließlich handelt es sich hier um einen gesellschaftskritischen Film. Das gleiche erleben wir zurzeit mit der Serie "The Big C", das auch kein Mainstream-Produkt ist. Aber auch hier wurden unsere Quotenerwartungen gerade bei den jungen Zuschauern unter 30 haushoch übertroffen.


"Deutschsprachige Serien für älteres Publikum"

Wie wird sich das "Serien-Standbein" des ORF unter Kathrin Zechner verändern?

Details stehen noch keine fest. Auf alle Fälle ist Kathrin Zechner sehr an Fiction interessiert. Man arbeitet an neuen Formaten für diverse Zeitzonen, zum Teil auch eigen- bzw. ko-produzierten Serien wie "Es kommt noch dicker", eine Ko-Produktion von ORF und Sat1 mit Wolke Hegenbarth und dem Österreicher Manuel Witting in den Hauptrollen. Diese Serie wird am 10. September im ORF1-Hauptabendprogramm starten. Kathrin Zechner ist es auch sehr wichtig, österreichische bzw. deutsch-österreichische Produktionen zu fördern.

Wobei österreichische oder deutsche Serien sehr umstritten sind ...

Vielleicht unter den jüngeren Zuschauern. Man muss beachten, dass diese Serien oft ein anderes Publikum ansprechen als US-amerikanische Serien. Mit Ausnahmen wie etwa "Doctor's Diary" oder "Schnell ermittelt" werden deutschsprachige Serien eher von einem älteren Publikum angenommen. "Der Bergdoktor", "Die Rosenheim-Cops", "Ein Fall für Zwei" oder "Um Himmels willen" wenden sich an ein älteres Publikum, was man z. B. an der langsameren Erzählweise und der anderen Dramaturgie sieht.

Es ist aber ein Trend in Österreich und Deutschland zu bemerken, dass man mit eigenproduzierten Serien immer mehr junge Zuseher ansprechen möchte – und auch kann. Man hat hier in den letzten Jahren von US-amerikanischen Serien einiges gelernt: mehr Tempo, mehr dramaturgische Wendungen, überraschende Momente, eine schnellere Szenenfolge, etc.

Wie kann man sich den Weg einer US-Serie ins ORF-Programm vorstellen?

Einmal jährlich finden in Los Angeles Screenings statt, zu denen die Senderchefs aus aller Welt und alle internationalen Film- und Serien-Einkäufer reisen. Dort sieht man sich Piloten aller neuen Serienformate an. Danach werden die Serien, deren Pilotfolgen besonders interessant waren, weiter beobachtet, also: Wie entwickeln sich die einzelnen Folgen? Wie sind die Quoten in den USA? Am Ende des Jahres wird vertraglich fixiert, welche Serien eingekauft werden und welche nicht.


"'Desperate Housewives' hat Nerv der Zeit getroffen"

Die erfolgreichsten US-Serien im ORF sind "Desperate Housewives" und "Grey's Anatomy" – beides Formate, die auch in anderen Ländern große Erfolge feiern. Was ist das Geheimnis dieser Serien?

Als erstes muss man sagen: In den vergangenen zehn Jahren ist es den Amerikanern gelungen, sehr erfolgreiche Mainstream-Serien zu erschaffen; die Jahre zuvor war dies nicht so. Es sind immer wieder Wellenbewegungen – in manchen Jahren kommt weniger Gutes, und dann gibt es plötzlich viele erfolgreiche Programme auf einmal. "Grey's Anatomy", "Desperate Housewives" und "Lost" zum Beispiel sind alle im selben Jahr gestartet.

"Desperate Housewives" hat einen Nerv der Zeit getroffen. Die Serie ist ein perfektes Beispiel für das relativ neue Genre namens "Dramedy", eine Mischung aus Drama und Comedy. Bei den "Housewives" kann gleichermaßen gelacht wie geweint werden. Die Figuren sind zwar überzeichnet, man kann sich aber trotzdem mit ihnen identifizieren.

"Grey's Anatomy" mag ich persönlich sehr gerne, weil die Serie Storys mit einer großen emotionalen Spannung bietet, aber auch eine gute Prise Humor hat. Und die Charaktere sind sehr vielschichtig – etwas, worin US-amerikanische Serien im Allgemeinen sehr gut sind.

Gibt es Unterschiede im Serien-Verhalten zwischen Männer und Frauen?

Serien wie "Grey's Anatomy" oder "Desperate Houseviwes" werden vor allem von Frauen gesehen, wobei sich aber auch immer mehr Männer dafür begeistern. Bei Comedys wie "Two and a Half Men", oder "The Big Bang Theory" ist der Anteil des männlichen und weiblichen Publikums ausgewogen.


"Comedys boomen"

Welche Trends beobachten Sie in der aktuellen Serienlandschaft?

Comedys, vor allem jene, in denen es um Familie geht, boomen zurzeit. Wobei "Familie" als dehnbarer Begriff verstanden wird – von alleinerziehenden jungen Müttern, die in ihr Elternhaus zurückkehren, bis hin zu Solo-Vätern oder schwulen Pärchen mit Leihmüttern ist alles vertreten. Serien sind ein Abbild der Gesellschaft, das sieht man an den verschiedenen Arten des Zusammenlebens, die in Sitcoms gezeigt werden, sehr stark.

Auch eine Menge Dramaserien wurden bei den L.A.-Screenings vorgestellt. Unter anderem die amerikanische Version des britischen Hits "Mistresses", wobei die amerikanische Version, wie zu erwarten, um einiges prüder ausgefallen sein dürfte.

Auffällig ist, dass manche Serien, beispielsweise "Glee" oder "Mad Men", in den USA einen Kult auslösen, während sie bei uns zum Teil unter der Wahrnehmungsgrenze laufen. Wieso ist das so?

Schwierige Frage. "Mad Men" ist zuallererst eine Kritiker-Serie, also kein Programm, das die Massen anspricht. Auch wir haben überlegt, die Serie zu senden, haben aber nie einen passenden Sendeplatz gefunden.

"Glee" ist ein schwieriger Genre-Mix, mit dem auch unsere deutschen Kollegen zu kämpfen haben. Für die Prime Time ist uns die Serie zu jung, also haben wir uns für die Ausstrahlung am Samstagnachmittag entschieden. Hier entfallen unsere Serien oft wegen Sport – etwas, das für den Erfolg einer Serie nicht förderlich ist.

Wenn "Glee" länger läuft und bereits mehr Folgen verfügbar sind, ist es denkbar, die Serie von Montag bis Freitag im Vorabendprogramm zu senden, wo sie dann auch bestimmt ihr Publikum finden wird.


"'Hot in Cleveland' kommt"

Letzte Frage: Auf welche neuen Serien dürfen wir uns im ORF freuen?

Für September ist, wie gesagt, die österreichisch-deutsche Ko-Produktion "Es kommt noch dicker" geplant, sowie - voraussichtlich auch für Herbst - die ORF-Serie "Braunschlag" mit Roman Palfrader, die auf DVD schon einen großen Erfolg erzielt hat.

Auch neu sind "Blue Bloods", eine Cop-Serie mit Tom Selleck in der Hauptrolle, die von den Machern der "Sopranos" stammt, sowie die US-Hit-Comedy "Hot in Cleveland" mit Betty White.

Demnächst zu sehen sein werden auch die Serien "Drop Dead Diva" und "Unforgettable".

Interview: Manuel Simbürger

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