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"Gigantischer Vertrauensverlust der Parteien"

Ricardo Herrgott/Verlagsgruppe News/picturedesk.com

relevant Redaktion

"Gigantischer Vertrauensverlust der Parteien"

15.06.2012
Der Politologe Peter Filzmaier über die Stimmengewinne radikaler Parteien in Europa, die Chancen der Piraten in Österreich und mögliche Koalitionen nach der Nationalratswahl 2013.

In der Eurokrise wenden sich immer mehr WählerInnen enttäuscht von den etablierten Parteien ab - eine Tendenz, die quer durch Europa zu beoachten ist. Davon profitieren Parteien mit extremer Ausrichtung ebenso wie neue Bewegungen. Welche Folgen diese Entwicklung auf die politische Landschaft hat? relevant-Redakteurin Ute Rossbacher hat bei dem renommierten Politikwissenschafter Peter Filzmaier nachgefragt.


relevant: Ob Frankreich, Griechenland, aber auch Länder in Skandinavien und Osteuropa: Bei den Parlamentswahlen in der jüngeren Vergangenheit zeigt sich, dass rechts- bzw. linksextreme Parteien zum Teil beachtliche Stimmengewinne verzeichnen. Auch wenn die Gründe in den jeweiligen Ländern unterschiedlich sein mögen, lässt sich aus Ihrer Sicht dennoch ein roter Faden erkennen?

Peter Filzmaier: Ein paar Gemeinsamkeiten gibt es, nämlich einen gigantischen Vertrauensverlust der etablierten Parteien und den mangelnden Glauben in die Lösungskompetenz von Regierungen. Das macht automatisch Oppositionsparteien und zum Teil auch extremistische Parteien zu Wahlgewinnern. Teilweise genügt es irgendwie, "anders" zu sein und Scheinlösungen anzubieten, weil eine gigantische Enttäuschung über die bisherige Politik besteht.

Ängste vor dem Unbekannten führen ebenfalls dazu, dass man Radikalismen nicht ausschließt. Schließlich haben Christ- und Sozialdemokraten gleichermaßen kläglich versagt, uns den Mainstream zu erklären - was sich derzeit wirtschaftlich in EU-ropa abspielt und warum sowie welche politischen Lösungen sie dafür haben.

Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Bedeutung der Piratenpartei und vergleichbarer politischer Bewegungen ein?

Sie profitieren von dieser Andersartigkeit. Derzeit genügt das, um in Volksvertretungen einziehen zu können. Und man könnte genauso gut "Die Anderen" oder "Winnetous Apatschen" heißen, nur wären dann keine Erfolge im deutschen Windschatten möglich. Denn die österreichischen Piraten profitieren a) von der enormen Gratiswerbung aus Deutschland und b) der Sehnsucht der Medien nach neuen Parteien, die daher jede Kleinigkeit dankbar rapportieren.

Einen Leistungsbeweis haben die Piraten in Österreich natürlich noch nicht erbracht. Abwarten, ob der Medienhype bis Herbst 2013 anhält. Es ist doch eine längere Durststrecke bis dahin.


"Protest selten aus ideologischen Gründen"

Welchen Parteien setzen diese neuen politischen Gruppierungen am stärksten zu?

Wer aus Protest oder Enttäuschung eine neue Partei wählen will, tut das selten aus ideologischen Gründen. Deshalb haben diese Stimmen auch kein rechtes oder linkes Etikett und schaden nicht nur einer Partei. Themenmäßig gibt es mangels umfassender Programme vieler Neuparteien noch weniger einen Grund, warum Piraten & Co. nur einer einzigen Partei schaden sollten.

Die Piraten etwa nehmen der FPÖ viele Stimmen weg, und das nicht nur, weil sie männerlastig sind. Eine andere Online-Partei wiederum könnte den Grünen mehr wehtun. Und so weiter und so fort.

Wie sieht es mit den Regierungsparteien aus?

Es ist nicht einmal so, dass die Regierungsparteien zwangsläufig stärker betroffen sind. Erstens haben SPÖ und ÖVP ohnehin schon viele Stimmen an die Opposition oder ins Nichtwählerlager verloren, welche nun weiterwandern. Zweitens misstrauen zwar zwei Drittel und mehr der Regierung, doch genauso viele haben kein Vertrauen in etablierte Oppositionsparteien.

Auch in Deutschland haben die Piraten gezeigt, dass sie je nach Wahl aus verschiedenen Lagern Stimmen bekommen. Das ist insofern ein strategischer Vorteil, weil man nicht bloß auf die Schwäche einer einzigen anderen Partei angewiesen ist.

In Ihrem Blog, das Sie für die "Salzburger Nachrichten" führen, zeigen Sie unter anderem die Chancen auf, die die Euro-Krise für die Europäische Union als Institution haben kann. Welche Entwicklung halten Sie diesbezüglich in der nahen Zukunft für realistisch?

Ja, ich glaube, dass die Eurokrise eine Kommunikationschance für die EU ist. Endlich sind alle politischen Akteure gezwungen, paneuropäisch zu kommunizieren anstatt bloß Nationalismen oder Regionalstolz zu pflegen. Auch versuchen endlich nicht nur ein paar wenige EU-Parlamentarier als Einzelkämpfer auf verlorenem Posten die Union und ihre Wirkungsweise zu erklären, sondern sind Regierungspolitiker da vom Saulus zum Paulus geworden. Bundeskanzler Werner Faymann ist das beste Beispiel dafür.

Das bringt jedoch natürlich nur etwas, wenn der EU inhaltlich eine Lösung der aktuellen Schulden- und Währungskrise gelingt. Und ob man das schafft, kann ich leider nicht beurteilen. Nur wenn ja, würde die EU sehr gestärkt aus der Krise hervorgehen.


"Spannender als Ergebnisse: die Mehrheiten"

Ausgehend vom derzeitigen Stand der Dinge in der heimischen Politik: Mit welchem Szenario rechnen Sie bei den Nationalratswahlen im kommenden Jahr?

Die mediale Aufmerksamkeit konzentriert sich jetzt schon auf Prognosen von Detailprozentzahlen und die Platzreihenfolge der Parteien. Von solchen Zahlenspielen über ein Jahr vor der Wahl und in Unkenntnis der politischen sowie sozioökonomischen Rahmenbedingungen halte ich nichts. Womöglich ist es jedoch gar nicht entscheidend, welche Partei aufgrund eines Prozentpünktchens mehr oder weniger Erster, Zweiter oder Dritter wird. Viel spannender könnte sein, welche rechnerischen und politischen Mehrheiten sich dadurch ergeben.

Die Schlüsselfrage dabei ist, ob es tatsächlich neue Parteien gibt, die im Wahlkampf eine nennenswerte Rolle spielen und den Einzug in den Nationalrat schaffen. Wobei es natürlich so ist, dass ein Kannibalisierungseffekt droht. Das heißt: Je mehr wettbewerbsfähige Neuparteien antreten, desto leichter nehmen sie sich gegenseitig Stimmen weg. Die für Neue rein theoretisch erreichbare Stimmenzahl liegt im zweistelligen Prozentbereich, doch das darf sich nicht auf allzu viele Kleinstparteien verteilen. In Summe haben solche ja auch 2008 über sechs Prozent der Stimmen erreicht, doch gereicht hat es für keinen.

Welche Konstellationen halten Sie für möglich?

Scheitern freilich alle knapp an der Vierprozentklausel, werden die Mandate billiger und SPÖ und ÖVP oder vielleicht auch ÖVP und FPÖ haben bessere Chancen auf eine Koalitionsmehrheit. Gibt es hingegen nach der Wahl mehr Parteien als bisher im Parlament, so werden naturgemäß Zweiermehrheiten schwierig - und zu dritt ist es noch schwieriger sich für ein gemeinsames Regieren zusammenzufinden.

Alle Varianten mit FPÖ und Grüne sowie höchstwahrscheinlich FPÖ und BZÖ scheiden realpolitisch aus. Bleibt also rot-schwarz-grün, was der FPÖ quasi das Oppositionsmonopol in die Hand gibt und kommende Landtagswahltriumphe garantiert, oder ein Dreier mit dem BZÖ, welches jedoch zunächst politisch überleben muss.

Interview: Ute Rossbacher


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