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"Aids nach wie vor unheilbare Krankheit"

AIDS Hilfe Wien

relevant Redaktion

"Aids nach wie vor unheilbare Krankheit"

17.05.2012
Philipp Dirnberger, Geschäftsführer der Aids Hilfe Wien, im relevant-Gespräch über Neuinfizierungen, Diskriminierung von HIV-Infizierten und den Life Ball.

Am Samstag, den 19. Mai, geht der 20. Life Ball vorm und im Wiener Rathaus über die Bühne. Gery Keszler und sein Team versprechen BesucherInnen und ZuseherInnen wieder eine fulminante Partynacht. Auch in diesem Jahr beehren zahlreiche Promis den größten Charity-Ball Europas - unter anderem Milla Jovovich, Antonio Banderas, Al Jarreau oder Bill Clinton.

Eines darf dabei nicht vergessen werden: Bei all dem Glanz und Glamour geht es immer noch um ein ernstes Thema - HIV/Aids. Genau darüber hat relevant-Journalist Manuel Simbürger mit Philipp Dirnberger, Geschäftsführer der AIDS Hilfe Wien (www.aids.at), gesprochen.


relevant: Beginnen wir mit aktuellen Zahlen. Wie viele HIV-Infizierte bzw. an Aids Erkrankte zählt man in Österreich?

Philipp Dirnberger: Ganz genau weiß man es nicht, weil die Dunkelziffer sehr hoch ist. Wir gehen von 12.000 HIV-Infizierten aus. Bei der Zahl von Aids-Kranken orientieren wir uns an der Statistik des Gesundheitsministeriums, die 2011 erhoben wurde: Sie spricht von rund 2.000 Menschen, die an AIDS erkrankt sind.

Wie sieht es mit Neuinfizierungen aus?

Im Jahr 2011 haben sich 525 Menschen mit HIV infiziert. Das ist eine deutliche Steigerung zum Jahr 2010: Damals gab es 485 Neuinfizierungen.

Was tut die AIDS Hilfe Wien, um diesen negativen Trend zu stoppen?

Die AIDS Hilfe Wien hat drei Arbeitsschwerpunkte: Prävention, Betreuung, sprich: die Arbeit mit und für HIV-Positive, sowie die Testberatung.


"Kenne deinen Status"

Wie sieht die Präventionsarbeit genau aus?

Die erste Präventions-Message von uns ist: Safer Sex, also die Verwendung von Kondomen. Die zweite Präventions-Botschaft lautet: "Kenn' deinen Status, lass' dich testen!"

Ansonsten wenden wir uns in der Präventionsarbeit vor allem an die drei größten Zielgruppen: MSM ("Men who have Sex with Men"), MigrantInnen - vor allem aus jenen Ländern, in denen Aids stark verbreitet ist: Afrika und Osteuropa - und bestimmte Berufsgruppen, vor allem aus der Medizin, aber auch in Gefängnissen.

Ein weiterer wichtiger Teil ist die Jugendprävention. Hier möchten wir erreichen, dass Jugendliche von Beginn an einen richtigen Umgang mit Sexualität und HIV/Aids erlernen. Diese Arbeit umfasst jährlich rund 500 Schulworkshops in Wien, Niederösterreich und Burgenland.


"Österreichs SchülerInnen gut informiert"

Wie reagieren die Jugendlichen bei diesen Workshops?

Generell sind Österreichs SchülerInnen sehr gut informiert, was Sexualität und HIV/Aids anbelangt, das zeigt sich auch bei Studien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Zudem liegt der Anteil der Jugendlichen, die beim ersten Mal ein Kondom verwenden, bei über 80 Prozent. Wobei in einer fixen Beziehung dann gerne das Kondom weggelassen und zur Pille gegriffen wird. Auch wenn HIV-Infektionen bei Jugendlichen nicht sehr häufig sind, ist es wichtig, nicht einfach nur Vertrauen walten zu lassen, sondern ihnen bewusst ein Risikobewusstsein beizubringen.

Trotz des großen Wissens halten sich einige Vorurteile bezüglich HIV/Aids konstant in der Gesellschaft: Fünf bis zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung sind der Überzeugung, dass Aids über Küssen oder andere nicht-penetrierende Praktiken übertragen werden kann. In Osteuropa sind es fünfzig Prozent!


"Aids nach wie vor unheilbar"

Wie sieht das Leben mit Aids aus? Man hört immer wieder von neuen Wundermitteln ...

Der medizinische Fortschritt der letzten Jahrzehnte ist enorm. Die Lebenserwartung von Aids-Kranken kann heute genauso hoch sein wie von Gesunden – wenn man die Krankheit früh genug erkennt! Auch die Lebensqualität ist heute eine höhere als vor zehn Jahren, auch wenn die Medikamente natürlich ihre Nebenwirkungen haben. Ich möchte aber betonen: Aids ist nach wie vor eine unheilbare Krankheit! Es ist auch kein Medikament oder keine Spritze in Aussicht, die Aids heilen könnte.

Der soziale Fortschritt konnte leider mit dem medizinischen Fortschritt nicht mithalten. Es ist immer noch so, dass Menschen - besonders Frauen - mit HIV oder Aids massive Diskriminierungen erfahren, vor allem am Arbeitsplatz.


"Outing genau überlegen"

Ausgrenzungen gibt es also nach wie vor?

Ja, leider. Deshalb empfehlen wir jedem, der sich mit HIV angesteckt hat bzw. an Aids erkrankt ist, sich genau zu überlegen, wann, wie und vor allem wem man von der Krankheit erzählt. Man muss leider damit rechnen, dass der eine oder andere darauf negativ reagiert oder viele, zum Teil auch intime, Fragen stellt.

Wichtig ist aber auch, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Die AIDS Hilfe Wien bietet deshalb Selbsthilfegruppen an. Auch Internetforen können hilfreich sein.

Vor kurzem habe ich von einem Zahnarzt in Deutschland gelesen, der sich geweigert hat, einen HIV-positiven Patienten zu behandeln. Hören Sie oft von solchen Vorfällen?

Aus medizinischer Sicht ist so etwas natürlich falsch, diskriminierend und nicht angebracht. Es gibt auch solche Fälle in Österreich, sie bleiben aber zum Glück die Ausnahme.


"Risikoverhalten statt Risikogruppe"

Stimmt es, dass Homosexuelle die größte Risikogruppe sind?

Wir sprechen nicht von "Risikogruppe", sondern "Risikoverhalten". Und dieses kommt unabhängig der sexuellen Orientierung vor. Trotzdem ist es statistisch so, dass homosexuelle Männer häufiger von HIV/Aids betroffen sind. Aber prinzipiell hängt es vom individuellen Risikoverhalten ab.

Ihre Meinung zu Aids-Schnelltests?

Man muss zwischen Schnell- und Heimtests unterscheiden. Schnelltests bieten auch wir von der AIDS Hilfe Wien an. Diese sind genauso aussagekräftig wie der klassische Serum-Bluttest. Wichtig ist, dass der Test von geschultem Personal durchgeführt wird und man drei Monate nach dem Risikoverhalten wartet, bis man sich testen lässt.

Heimtests, die aus dem Internet bezogen und mit Speichel oder Blut aus der Fingerkuppe durchgeführt werden können, sind nicht sehr aussagekräftig, das Ergebnis kann oft falsch sein.


"Life Ball ist einzigartig"

Der Life Ball findet dieses Wochenende statt. Wie stehen Sie zu dieser Veranstaltung?

Ich bin sehr froh, dass es sie gibt. Der Life Ball ist einzigartig, ein vergleichbares Event gibt es nirgends auf der Welt. Er schafft sehr viel Aufmerksamkeit für das Thema HIV/Aids, sowohl national, als auch international.

Ich bin auch dankbar, dass wir als AIDS Hilfe Wien von den Spenden des Life Balls profitieren. Dadurch sind wir in der Lage, Betroffene in Österreich noch stärker zu unterstützen. Ohne den Life Ball wäre das in diesem Umfang nicht möglich.

Viele kritisieren, es gehe beim Life Ball mittlerweile mehr um Party und um Promis, als um das Thema an sich ...

Jeder kann für sich selbst entscheiden, ob er am Life Ball teilnimmt oder nicht. Fakt ist, dass es nötig ist, schrill und laut zu sein, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Auch ohne Promis wäre das in dieser Form nicht möglich. Es gibt keinen österreichischen Ball, der international so bekannt ist wie der Life Ball.


"Kinder und Tiere ziehen am meisten"

Sind die ÖsterreicherInnen eigentlich spendabel, wenn es um HIV/Aids geht?

Hier unterscheiden sich die ÖsterreicherInnen nicht von anderen mitteleuropäischen Ländern: Am meisten wird für Kinder und Tiere gespendet, für Betroffene von chronischen Krankheiten generell nicht so gerne. Also: Wir bekommen viele Spenden, aber ich würde mir mehr wünschen.

Interview: Manuel Simbürger


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