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"Song Contest in Baku - Boykott wäre falsch"

Michael Gruber/EXPA/picturedesk.com

relevant Redaktion

"Song Contest in Baku - Boykott wäre falsch"

10.05.2012
Eurovision-Song-Contest-Experte Marco Schreuder im relevant-Interview über die politische Lage in Aserbaidschan und die Teilnahme des österreichischen Duos Trackshittaz.

Am 22. Mai findet das erste Halbfinale des diesjährigen Eurovision Song Contests (ESC) statt, in dessen Rahmen auch Trackshittaz mit ihrem Partysong "Woki mit deim Popo" um den Einzug ins Finale kämpfen, das am 26. Mai in Baku (Aserbaidschan) stattfinden wird.

Viele sind gespannt, wie sich die derzeit erfolgreichste (und umstrittenste) Musik-Combo Österreichs im Vergleich zu ihren internationalen KonkurrentInnen schlagen wird. Zumal dem Duo wegen der einen oder anderen Textzeile Sexismus vorgeworfen wurde.

Aber auch der Austragungsort Baku sorgt aufgrund der politischen Lage in Aserbaidschan für Diskussionen.

Zum immer noch größten Musikspektakel der Welt und der Rolle der Politik unterhielt sich relevant-Journalist Manuel Simbürger mit Grünen-Politiker und ESC-Experten Marco Schreuder.


relevant: Wer hat heuer die größten Chancen auf den Sieg?

Marco Schreuder: Das ist wie jedes Jahr ein heißes Eisen. Ich glaube, den Sieg machen sich Schweden, Russland, Serbien und Italien untereinander aus. Aber ich kann mich auch irren.

Wer ist Ihr persönlicher Favorit?

Meine persönlichen Favoriten gewinnen ja nie. Das macht aber nichts. Voriges Jahr waren es Moldawien und Bosnien, dieses Jahr sind es Israel und Großbritannien.

Nadine Beiler hat es voriges Jahr nur auf den 18. Platz geschafft. Was hat sie falsch gemacht?

Sie hat nichts falsch gemacht und es war richtig gut, dass der ORF eine klassische, hymnische Ballade nach Düsseldorf schickte. Somit demonstrierte man, dass man das Comeback Österreichs beim ESC ernst nimmt. Freilich war die Ballade manchen viel zu klassisch. Offensichtlich kam das bei den Votings nicht so gut an. Aber der ESC ist nun einmal unberechenbar.

Was muss ein Song haben, um beim ESC erfolgreich zu sein?

Du musst in drei Minuten auffallen – und das zwischen 20 und 25 Mitbewerber und Mitbewerberinnen. Dieses "Auffallen" kann natürlich immer anders aussehen: Man kann durch Reduktion und Musikalität auffallen, oder aber auch durch bombastische Inszenierungen. Das Rezept schlechthin gibt es nicht.


"Bundesregierung anstatt Trackshittaz"

Unser ESC-Beitrag "Woki mit die Popo" hat mit seinem angeblich sexistischen Text ordentlich für Aufsehen gesorgt. Was ist Ihre Meinung dazu?

Fakt ist, dass Jungs Mädels, Mädels Jungs, Jungs Jungs und Mädels Mädels schlicht geil finden können, wenn sie abends mal ausgehen. Diese Kultur hat es immer gegeben und wird es wohl auch immer geben. Dass dahinter Sexismus steckt, stimmt natürlich. Dieses Problem Trackshittaz überzustülpen halte ich aber für unfair, weil die Jungs nur etwas abbilden, was gesellschaftliche Realität in jeder Dorfdisco ist. Die Debatte müsste wohl woanders stattfinden, etwa bei gendersensiblen Unterrichtsmethoden. Also die bessere Adressatin dieses Problems wäre wohl die Bundesregierung und weniger die Gruppe Trackshittaz.

Lukas Plöchl meinte im Gespräch mit relevant, der ESC habe sich in den letzten Jahren immer mehr dem Party-Massengeschmack angeglichen. Stimmen Sie dem zu?

Ja, der ESC wurde poppiger. Patricia Kaas hatte etwa nie eine Chance auf den Sieg. Leider, irgendwie. Aber so ist das nun mal: Der ESC bildet den gemeinsamen europäischen Nenner ab. Das ist ja auch interessant. Und eine romantische - eigentlich schwedische - Popnummer aus Aserbaidschan war eben 2011 der größte gemeinsame Nenner.

Plöchl argumentiert auch, dass er sich beim ESC nicht über Politik, nicht über Sexismus Gedanken machen will, sondern einfach nur Musik machen und Spaß haben will. Ist das die richtige Einstellung?

Wer bin ich, jemandes Einstellung zu kritisieren? Wir leben in einem freien Land. Und wenn ich Demokratie verteidige, dann auch, dass er das sagen darf. Ich bin freilich ein politisch interessierter Mensch und würde nie so argumentieren. Da ticken wir eben vollkommen anders. Es ist aber auch möglich, dass er das eher als Schutzschild sagt, denn die Tage und Proben in Baku werden enorm anstrengend sein, da will er sich vermutlich auf seinen Auftritt konzentrieren. Dass er ein sehr ehrgeiziger Mann ist, hat er ja mehrmals eindrucksvoll bewiesen.


"Punktsieg für die Oppositionellen"

Dass der ESC in einer politisch umstrittenen Stadt wie Baku stattfindet, sorgt für Diskussionen. "Die Presse" berichtet etwa, dass Aserbaidschans autoritäre Regierung den ESC als Propagandaplattform nützt und fragt: "Soll der Gesangswettbewerb wirklich stattfinden in einem Land, in dem laut einer aserbaidschanischen Nichtregierungsorganisation 2011 drei Menschen durch Folter gestorben sind? In einem Land, in dem es (...) 60 bis 80 politische Gefangene gibt?" Ihre Meinung dazu?

Ich habe gemeinsam mit Ulrike Lunacek bereits den Menschenrechtsaktivisten und Organisator von "Singing for democracy" nach Wien eigeladen. Interessant ist, dass alle Oppositionellen und AktivistInnen stolz waren, dass ihr Land den ESC gewann und sie die Ausrichtung des Contests in ihrer Heimat als Chance sehen, dass die Welt ihre Augen auf die Probleme des Landes richtet. Ein Boykott wäre also vollkommen falsch.

Was wichtiger wäre: Wie wird die Aufmerksamkeit auf Aserbaidschan, immerhin Mitglied des Europarates, auch nach dem 26. Mai aussehen? Und ich sehe derzeit, dass das Regime eher Schwierigkeiten hat, den ESC für sich zu nutzen. Jetzt weiß Europa viel besser über die demokratie- und menschenrechtspolitischen Probleme des Landes Bescheid. Ich würde sagen: Bisher Punktsieg für die Oppositionellen!

Zudem: Der ESC war immer politisch, auch wenn die Veranstalter das ungern zugeben. Schon 1969 hatten wir übrigens ein ähnliches Problem, als der ESC in Spanien stattfand und General Franco damals regierte. Österreich boykottierte damals übrigens den ESC und kehrte erst 1971 mit Marianne Mendt zurück.


Politik schwingt immer mit"

Amnesty International ruft anlässlich des ESC zu Appellschreiben an den Präsidenten Aserbaidschans auf, um die Freilassung politischer Gefangener zu bewirken. Bezieht sich der "politische Hintergrund" dieses Jahr auf mehr als nur das "Punkte-Zuschieben" diverser Länder beim Voting?

Ja, definitiv. Wir hätten dieselbe Diskussion, wenn der ESC in Weißrussland stattfinden würde. Oder was, wenn Russland gewinnt und das Anti-Homosexuellen-Gesetz durchgeht? Es schwingen immer politische Fragen mit.

Aserbaidschan ist zwar mehrheitlich schiitisch-muslimisch, aber strikt laizistisch. Die Trennung von Religion und Staat hat dort eine sehr lange Tradition. Man hat zwar eine gemeinsame Grenze zum Iran, das Land ist aber eher Verbündeter von Israel. Homosexualität ist zudem seit 2001 legal. Das heißt nicht, dass es in der Öffentlichkeit große Akzeptanz gibt, aber die örtliche NGO sagt selbst, dass man langsam vorankommen will, das Land etwa für eine Christopher-Street-Day-Parade (Demonstrationstag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern, Anm.) noch nicht reif sei. Das hat man als Außenstehender zu akzeptieren.


"ESC ist völkerverständigend"

Im Zusammenhang mit den Bautätigkeiten für den ESC in Baku soll es zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein. Human Rights Watch berichtet, dass Häuser und Wohnungen rechtswidrig enteignet und geräumt wurden. Provokant gefragt: Welchen Sinn hat der ESC dann eigentlich noch, wenn im Vorfeld solche Dinge passieren?

Diese Abrisse wären auch ohne ESC passiert, weil man Baku gerade vollkommen neu baut und strukturiert. Die Vorgehensweise war trotz der Entschädigung von knapp 1.500 Euro pro Quadratmeter unentschuldbar und menschenrechtswidrig. Jedenfalls ist dieser Fall eine Katastrophe für das Image des ESC, und die EBU (Veranstalter, Anm.) hätte sich meiner Meinung nach klarer dazu äußern müssen. Das ist bedauerlich, dass da nur passiv zugeschaut wurde.

Am Ende sollte die Frage aber lauten: Welche Länder dürfen denn beim ESC teilnehmen? Wenn Aserbaidschan oder Weißrussland teilnehmen dürfen, dann können sie potenziell auch siegen und den Bewerb ausrichten. Die Frage kommt also schlicht zu spät.

Und dann stellt sich immer noch die Frage: Kann der ESC nicht völkerverständigend dazu beitragen, dass Menschen aus verschiedenen Ländern zusammenkommen und so etwas wie Freiheit erleben? Als jemand, der gerne hinreist, kann ich sagen: Ja! Es ist schon etwas Besonderes, wenn aserbaidschanische Familien mit einer schwulen Bärengruppe aus Spanien gemeinsam feiern und Spaß haben.

Interview: Manuel Simbürger


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