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Haiti zwischen Chaos und Cholera

Andres Martinez Casares/EPA/picturedesk.com

relevant Redaktion

Haiti zwischen Cholera und Chaos

03.01.2013
Erdbeben, Wirbelstürme, Cholera: Das Elend geht in die Verlängerung.

Die Cholera, die Haiti seit Monaten fest im Griff hält, ist nicht einmal das schlimmste Unheil, das über diese Insel gekommen ist - trotz 7.800 Toten und Zehntausenden Infizierten. Schlimmer ist das Chaos, das seit dem verheerenden Erdbeben am 3. Jänner 2010, bei dem rund 220.000 Menschen ihr Leben verloren, immer noch andauert. Dazu die verheerenden Wirbelstürme und Überschwemmungen nur wenige Monate später, die der notleidenden Bevölkerung noch den Rest gaben.

 

Land im Chaos

Die Stimmungsbilder, die die Kommentatoren weltweit von der Lage in Haiti zeichnen, sind in düsteren Farben gemalt. Besonders eindringlich jenes von Annette Prosinger von Die Welt: "Weil Bauverordnungen – so es sie überhaupt gibt – kaum eingehalten werden, kann ein Erdbeben solche Verwüstungen anrichten. Weil die Wälder bedenkenlos abgeholzt wurden, sorgt jeder Wirbelsturm für eine Sintflut."

Auch Helmut Michelis von der Rheinischen Post sieht für Haiti schwarz: "Das Trinkwasser ist verschmutzt; Müllberge türmen sich in den noch immer nicht beseitigten Erdbeben-Trümmern. Starke Regenfälle, Hochwasser und Tropenstürme haben die Situation weiter verschlimmert."

 

Hilfe greift nicht

Fast nicht zu glauben, dass trotz einer fix zugesagten 10-Milliarden-Dollar-Hilfe des Internationalen Währungsfonds, einer kompletten Staatsentschuldung und zahlreicher UN-Blauhelme und Hilfsorganisationen, die rund um die Uhr mit der Versorgung der Menschen beschäftigt sind, Haiti nicht auf die Beine kommt. Aber die Probleme des Landes liegen tiefer: Denn bereits vor dem Erdbeben zählte Haiti zu den ärmsten Staaten der Welt. 80 Prozent der Bevölkerung leben in völliger Armut. Nicht wesentlich geringer ist die Zahl der Analphabeten und Arbeitslosen. Politische oder öffentliche Ordnung kennen diese Menschen nicht. Es gibt keine Müllentsorgung, kein funktionierendes staatliches Gesundheitssystem, für die wenigsten sanitäre Anlagen oder stabile Behausungen. Dazu ein Wechselspiel von Diktaturen, Aufständen und Anarchie - und das nicht erst seit den letzten Jahren, sondern seit Jahrzehnten.

Wer kann, verlässt Haiti - so rasch er kann. Rund drei Millionen Haitianer leben im Ausland - überwiegend gebildete Frauen und Männer, die ihren Weg in den USA oder anderswo machen. Und deren Fachwissen gerade jetzt - in der Phase des kompletten Wiederaufbaus - schmerzlich fehlt. Überlassen bleibt das Land damit wiederum jenen, die aus dem Debakel politisches Kapital schlagen und - erst einmal an der Macht - das Land finanziell ausbeuten. Peter Worthington von der Toronto Sun urteilt bitter: "Hart trifft das vor allem die Unschuldigen."

 

Neue Ordnung für Haiti

Nichtsdestotrotz sind die Hilfsorganisationen und Vereinten Nationen auf eine Regierung angewiesen, um Ordnung in das Chaos zu bringen. Politiker wie Bürger fühlen sich im Stich gelassen und sind frustriert, dass die internationale Hilfe nur schleppend vorankommt.

Seit das Gerücht die Runde macht, dass nepalesische UN-Soldaten das Cholera-Virus nach Haiti eingeschleppt haben sollen, entlädt sich der Volkszorn gegen die 12.000 Mann starke UN-Truppe offen auf den Straßen. Thomas Schmid von der Berliner Zeitung kennt noch einen weiteren Grund: "Seit 2004 ist die UN-Mission Minustah im Land, schafft Sicherheit. Doch ihre Aufgabe, Hilfe beim Aufbau eines Rechtsstaats zu leisten, hat sie nicht erfüllt."

Mit ihrem stürmischen Protest tun sich die Haitianer keinen Gefallen, betont hingegen die kanadische Tageszeitung The Globe and Mail in ihrem Leitartikel: "Sie werden stark zurückgeworfen, wenn sie weiterhin gewaltsam gegen die UN rebellieren."

Bei ihrem Aufstand gehe es den Haitianern nicht um die UN allein, zeigt dagegen Isabeau Coucet von The Guardian Verständnis: "Die Krise Haitis folgt auf Jahrzehnte wirtschaftlicher Ausbeutung und Geschenke, die das Land an die Kette legten - kein Wunder, dass die Menschen aufgebracht sind."

 

Schwierige Hilfe

Das Chaos in Haiti ist zu groß, um allein von außen beseitigt zu werden. Dazu bedarf es der vollen Einbindung der Menschen, die dort leben. Diese jedoch sind von Krankheit und Armut gezeichnet - und frustriert, weil sie nicht vom Tropf der Welthilfe loskommen. Dass sich das ändern soll, darüber sind sich Hilfskräfte wie Bevölkerung einig. Nur die Frage nach dem Wie ist strittig.

Fakt ist: Die Haitianer stürzten über Nacht ins Chaos. Sie werden Jahre brauchen, um wieder aus ihm heraus zu finden.

Ute Rossbacher

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