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Spera: "Museum war eine Großaufgabe"

Rene Prohaska/Verlagsgruppe News/picturedesk.com

relevant Redaktion

Spera: "Es war eine Großaufgabe"

18.12.2012
Die Direktorin des Jüdischen Museums, Danielle Spera, im relevant-Gespräch - über Erinnerung im Judentum, ihre Zeit in Washington während der Waldheim-Affäre und neue Projekte.

Vor mehr als zwei Jahren hat die einstige ORF-Journalistin Danielle Spera die Leitung des Jüdischen Museums in Wien übernommen. In ihrer noch jungen Amtsperiode als Direktorin blickt sie bereits auf eine ereignisreiche Zeit zurück, nach der die BesucherInnen ein saniertes Haus und neue Ausstellungen erwarten.

Im Gespräch mit relevant-Redakteurin Ute Rossbacher blickt Spera auf ihren Werdegang zurück und vor allem nach vorne: Denn die Museumsdirektorin hat noch einiges vor.

 

relevant: Ein altes Sprichwort sagt: "Nur wessen Name vergessen ist, ist wirklich tot". In dieser Hinsicht ist das Erinnern eine wichtige Funktion des Jüdischen Museums. Welche Aufgaben haben Sie sich darüber hinaus als Direktorin des Museums noch gestellt?

Spera: Die Shoa ist für uns essentiell, denn es ist das tragischste Ereignis, das die Juden getroffen hat. Dass daran Objekte in unserem Museum erinnern, ist daher ein wichtiger Teil. Der für mich wichtigste ist jedoch, dass wir heute wieder eine lebendige jüdische Gemeinde haben. Was hier nach der Shoa wieder aufgebaut wurde, das gilt es auch zu zeigen. In diesem Sinne soll das Museum für Erinnerung stehen, den BesucherInnen aber vor allem die fruchtbare und lebendige Geschichte des Judentums vermitteln. Denn es gibt wenige Orte in der Welt, wo die jüdische Geschichte so eng mit der Geschichte der Stadt verwoben ist wie in Wien.

Erinnerung ist im Judentum übrigens generell zentral. An jedem Feiertag erinnern wir uns an wichtige Ereignisse in der jüdischen Geschichte, an Verstorbene, Familienmitglieder, Verwandte. Selbst bei sehr freudigen Festen wie einer Hochzeit zerbrechen die Brautleute am Ende der Zeremonie ein Glas zum Zeichen dafür, dass alles, was wir im Leben haben, zerbrechlich ist. Auch da geht es wieder um Erinnerung: an die Zerstörung des Tempels, an die Vertreibung der Juden. Dazu kommen viele Gedenktage.

In dem Vorwort zu dem Buch "Jüdisches Wien" wird Robert Schindel mit dem Satz zitiert: "Mein Wien ist ein nachblutender Witz". Ein Satz, der daran erinnert, wie viele Plätze und Straßen an jüdische Geschichte und Schicksale erinnern. Welche Orte bewegen Sie besonders?

Der Ort, der mich am tiefsten berührt, ist der Judenplatz. Nicht nur, weil sich dort das Mahnmal von Rachel Whiteread befindet, sondern, weil dort einst das Zentrum der jüdischen Gemeinde im Mittelalter war. Eine Gemeinde, die eigentlich fast über Jahrhunderte gut mit der nicht-jüdischen Bevölkerung zusammengelebt hatte, bis sie 1420/21 ermordet und vertrieben wurde. Wenn man bedenkt, welche Werke in diesem Umfeld entstanden sind, die bis heute immer noch verlegt und in Israel verkauft werden – z. B. Werke von einem großen Rabbiner, der dort wirkte ...

Die Tatsache, dass an diesem Ort vor circa 15 Jahren die Fundamente der mittelalterlichen Synagoge gefunden wurden, und wir diese auch heute besuchen können, das ist für mich der wichtigste Moment. Zum Feiertag Chanukka zünden wir dort mit dem Rabbiner Kerzen an. Wenn man inmitten dieser Ruinen steht, und weiß, was da passiert ist ... das ist unglaublich.

 

"Wo waren die Menschen?"

Ihr Vater wurde in der NS-Zeit verfolgt. Wie wurde vor dem Hintergrund dieser Erfahrung jüdischer Glaube in Ihrer Familie gelebt?

Ich muss sagen, dass meine Eltern beide nicht religiös sind. Dass die Religion abgelehnt worden ist, wird man in vielen Familien finden, die nachträglich die Frage stellten: "Wo war Gott in Auschwitz?" Wobei für mich die entscheidende Frage ist: "Wo waren die Menschen? Warum haben nicht mehr geholfen?"

Die jüdische Tradition und Religion hatten so gesehen keine Bedeutung, und das habe ich als Kind und Jugendliche etwas vermisst. Mit meinem Mann und meinen Kindern versuche ich daher, die jüdischen Feste regelmäßig zu feiern, aber auch den Schabbat, den wöchentlichen Feiertag. Ich möchte das meinen Kindern weitergeben, weil ich weiß, dass sie es eines Tages auch weitergeben werden.

Sie sind gerade erst von einer Reise nach Israel zurückgekehrt. Was verbinden Sie mit diesem Land?

Familie und Freunde. Ich fühle mich dort fast ein wenig zuhause. Ein faszinierendes Land, auch unter schwierigsten Bedingungen, unter ständiger Bedrohung kreativ und innovativ, wie wenige andere Länder. Meine Schwägerin, die Schwester meines Mannes, hat dort gelebt und ist vor einiger Zeit gestorben. Deshalb kehren wir jetzt mit einem Hauch Traurigkeit nach Israel zurück. Gleichzeitig ist es ein Land, in dem man auf Schritt und Tritt der Bibel begegnet. Jerusalem ist umwerfend, jedes Mal aus Neue. Auch die Landschaft.

Vor 25 Jahren jährt sich die Waldheim-Affäre. Sie waren zu jener Zeit Korrespondentin in den USA. Wie haben Sie diese Ereignisse in Erinnerung?

Für mich eine unglaublich spannende Zeit! Ich bin als ORF-Korrespondentin nach Washington übersiedelt und zwei Wochen später ist die Watchlist-Entscheidung gefallen. Ich hatte dort keine Eingewöhnungsphase, sondern bin dort wirklich 'reingesprungen. Es war eine intensive Erfahrung, wie Österreich aus der Distanz betrachtet und beurteilt wurde.

Entscheidend für mich war mitzuerleben, welchen Weg Österreich unter dem damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky eingeschlagen hat und damit wichtige Signale sendete. Ich war bei einigen Gesprächen dabei, die er mit jüdischen Organisationen und Vertretern führte – ganz wichtige Momente, an die ich mich immer erinnern werde.

 

"Aufbrechen und neu anfangen"

Wer sich für das Judentum und seine Geschichte interessiert, stößt auf einen reichen literarischen Fundus. Welche Werke oder AutorInnen sind für Sie persönlich von besonderer Bedeutung?

Aktuell der Roman "Der Sohn" von Jessica Durlacher, der von einem Shoa-Überlebenden handelt. Das Buch zeigt, wie sehr seine Erinnerungen die ganze Familie beeinflussen und wie diese Erfahrungen auf die zweite und dritte Generation übergehen.

Für mich eines der wichtigsten Werke zur verlorenen Welt des Ostjudentums, zum Neubeginn in Israel und dem tragischen Scheitern versinnbildlicht Amos Oz "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis". Ich konnte dieses Buch nicht mehr loslassen, lese es immer wieder und kann es nur empfehlen. Auch weil es ein Thema behandelt, das Menschen immer wieder begleitet: aufbrechen und neu anfangen zu müssen.

Stichwort Neuanfang: Vor mehr als zehn Jahren haben Sie das Magazin NU mitbegründet. Wie kam es dazu?

Es gab damals einige jüdische Zeitschriften. Wir wollten auf das Feuilleton fokussieren und uns den Themen Kunst, Kultur aber auch Politik widmen. Unser Ziel war und ist es, einen breiten Querschnitt zu bieten, der vielleicht auch für nicht-jüdische LeserInnen interessant ist.

Über die Jahre haben wir viele großartige JournalistInnen gefunden, die an NU mitgearbeitet haben - mit großem Engagement und das ehrenamtlich! Es macht uns noch immer sehr viel Spaß – der kreative Prozess, sich dem Judentum anzunähern.

 

"Planen neue Dauerausstellung"

Seit fast zwei Jahren leiten Sie bereits das Jüdische Museum. Ein Resümee, ein kleiner Ausblick?

Es war eine Großaufgabe, weil ich nicht damit gerechnet hatte, ein sanierungsbedürftiges Haus zu übernehmen. Daher bin ich dankbar, dass sich die Stadt Wien dazu bekannt hat, das Haus in Schuss zu bringen. Wichtig war vor allem, dass wir es auf den Stand der Technik bringen konnten bzw. den Stand der heutigen Vermittlung.

Sie müssen sich vorstellen, dass ein Großteil der BesucherInnen Schulklassen sind. Die ja heute ganz anders aussehen, als noch vor 20 Jahren, als das Museum gegründet wurde. Es gibt viele SchülerInnen mit Migrationshintergrund - türkische, serbische oder bosnische, die vielleicht auch eigene Kriegserfahrungen und Traumata aus ihren Familien mitbringen. Da müssen wir uns als Museum fragen: Wo können wir sie abholen? Das ist für uns ganz zentral.

Ich persönlich habe mir zum Ziel gesetzt, auch Menschen anzulocken, die vorher eine Scheu hatten, das Jüdische Museum zu besuchen. Dazu arbeiten wir gerade auch an einer neuen Dauerausstellung. Das ist eine Herausforderung, denn üblicherweise sind diese aufgrund der sich rasant entwickelnden Technik nach zwei Jahren fast schon wieder überholt. Wir versuchen daher, fixe und flexible Elemente einzubauen, um in Bewegung zu bleiben.

Interview: Ute Rossbacher

 

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