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Einstimmiges Urteil: Höchststrafe für Breivik

Lise Aserud/Scanpix Norway/picturedesk.com

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Einstimmiges Urteil: Höchststrafe für Breivik

27.08.2012
Was Anders Behring Breivik getan hat, ist buchstäblich ein Fall für sich. Mit seinen Ansichten und Empfindungen steht der 33-jährige Norweger jedoch nicht alleine da.

Etwas mehr als ein Jahr nach dem Attentat von Norwegen (22.7. 2011), bei dem 77 Menschen ihr Leben verloren, sprach ein Gericht in Oslo das abschließende - und für viele Norweger - befriedigende Urteil: Anders Behring Breivik wurde demzufolge für zurechnungsfähig erklärt. Damit ist die Höchststrafe von mindestens 21 Jahren mit anschließender Sicherheitsverwahrung möglich.

Das Urteil ist auch im Sinne des Angeklagten, der unter allen Umständen verhindern wollte, für unzurechnungsfähig erklärt zu werden (""schlimmer als der Tod").

Angeklagt war Breivik, der sich seit Mitte April für seine Taten verantworten musste, wegen Terrorismus und vorsätzlichen Mordes. Worte, die der 33-jährige Norweger offenbar nicht gerne hört.

Lieber sprach der Angeklagte zum Prozessauftakt von "Notwehr", wenn er auf seine vermeintlichen Taten zu sprechen kam. Lieber von seiner Sicht auf die Welt und den Motiven, die ihn zu den Anschlägen bewogen haben sollen. Die er im übrigen als Mission verstanden wissen wollte, Norwegen vor einer zunehmenden Islamisierung und einem ausufernden Multikulturalismus zu bewahren.

Ian Buruma von der belgischen Tageszeitung De Standaard fällt es dennoch schwer, an ursächlich ideologische Gründe zu glauben: "Was Breivik getan hat, sieht nach einer persönlichen Rache eines Verlierers aus, der Zerstörung sät, weil er sich gesellschaftlich, beruflich oder sexuell gedemütigt oder zurückgewiesen fühlt."


Gerichtssaal als Bühne

Viel schien Breivik daran gelegen, seine Person und seine Lage wortreich in den Mittelpunkt zu rücken. Fraglos eine Zumutung für die Anwesenden im Gerichtssaal, unter denen sich auch Überlebende und Eltern befanden, die ihre Kinder durch die Anschläge verloren hatten.

Das Gericht versuchte daher tunlichst, Breivik nicht zu vermitteln, dass er sich - in welcher Weise auch immer - von anderen Angeklagten abhebt. Die Botschaft lautete: "Es gibt keinen Sonderstatus für den Mann, der (...) der sich mit wahnsinnigen Argumenten gerade einen Sonderstatus herbeireden wollte", wie Georg Paul Hefty von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht ohne Genugtuung bestätigt.

Wobei dieser Zug aus Sicht von Christian Schicha schon abgefahren war. Gegenüber Ute Welty von der ARD Tagesschau warf der Medienwissenschafter ein: "Eine Bühne hat Breivik ja schon exzessiv genutzt. Der Gruß, das hämische Lächeln, die Tränen und dann natürlich seine Erklärung (die er im Gerichtssaal verlesen hat, Anm.)."

Vor allem, dass Breivik seine freien Hände zum Nazi-Gruß und der Begrüßung der anwesenden Psychiater per Handschlag nutzen konnte, machte Harvard Nilsen Friies von der norwegischen Tageszeitung Aftenposten besonders zu schaffen: "Es wäre nicht zu viel verlangt gewesen, ihm Handschellen anzulegen, um allen zu verdeutlichen, wie gefährlich er ist."

Seinem Landsmann und Kollegen Thomas Wiese von Dagbladet ging es offenbar nicht anders, wenn er um Fassung ringt: "Es ist nicht Breiviks Eifer, der Angst macht. Es ist vielmehr seine totale Gefühllosigkeit."

Aufgrund der breiten Ablehnung, die Breivik schon im Vorfeld des Prozesses in seiner Heimat erfahren hatte, setzte Wieses Arbeitgeber übrigens ein deutliches Zeichen: "Das Onlineportal wird einen Filter aufschalten, der auf Knopfdruck alle Artikel ausblendet, die mit dem Fall zu tun haben", wusste Ingrid Meissl Arebo, die für die Neue Zürcher Zeitung das Geschehen in Oslo kommentierte.

Denn im Bemühen, umfassend über den Prozess zu berichten, waren sich viele Journalisten durchaus des Risikos bewusst, dem mutmaßlichen Attentäter zu viel der Ehre zu erweisen.


"Ideologische Ansichten klingen vertraut"

Auch Suzanne Moore vom britischen Guardian, die noch ganz andere Aspekte an diesem Fall beunruhigen: "Es fällt schwer, Breiviks ideologische Ansichten zu hören - nicht, weil sie so wirr sind. Im Gegenteil: weil sie so vertraut klingen."

Offen erzählt die britische Autorin aus ihrem Alltag, in dem es keinen Mangel an diffamierenden Aussagen über Muslime, Frauen oder Juden gibt. Damit will sie ihren LeserInnen auch verdeutlichen:

"Das Bedürfnis nach einer homogenen Gesellschaft mag nach Nostalgie aussehen, aber zu vernehmen ist sie von Folkestone bis Bradford. Auch die Flucht vieler Eltern von staatlichen Schulen bedeutet letztlich eine Flucht vor (ethnischer, Anm.) 'Vielfalt' - eine Angst, die kaum jemand einzugestehen wagt."

Zu einem ähnlichen Schluss kommt der Historiker Timothy Stanley in seinem Gastkommentar für CNN: "Breiviks Paramoia fügt sich gut in die weitverbreitete Wahrnehmung von Islam und Multikulturalismus als zwei Seiten ein und desselben Problems."

Fragen, die ernstzunehmen sind und auch mit dem Ende dieses Prozesses nicht vom Tisch sein werden. Nicht in Norwegen, Österreich oder anderswo.

Ein weiteres Indix dafür ist, dass die Facebook-Seite "Stoppt die Islamisierung Norwegens" in kurzer Zeit mehrere Tausend Anhänger verzeichnete. Kein Nährboden für Gewalt vielleicht, und dennoch Ausdruck eines tief sitzenden Unbehagens, der zu denken gibt. Wie auch die Haltung Breiviks, der vor Gericht betonte: "Ich würde es wieder tun."

Ute Rossbacher


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