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"Hürde für Frauen ist Gender Gap zu Hause"

Iris Bohnet

relevant Redaktion

Bohnet: "Hürde für Frauen ist Gender Gap zu Hause"

12.12.2012
Die angesehene Ökonomin Iris Bohnet im relevant-Interview: über ihre Arbeit, ihre Erfahrungen als zweifache Mutter und die Herausforderungen auf dem Weg zur Gleichstellung der Frauen weltweit.

Dass es die Verhaltensökonomin Iris Bohnet an der renommierten Harvard Kennedy School in den USA als erste Schweizerin bis zur ordentlichen Professorin und Dekanin gebracht hat, erscheint manchen vermutlich auch noch heutzutage als Paradebeispiel für eine weibliche Ausnahmekarriere. Dass es jedoch keine Ausnahme bleiben muss, versucht die verheiratete Mutter zweier Söhne wissenschaftlich zu beweisen, durch Initiativen für Frauen bewusst zu machen bzw. im beruflichen Alltag vorzuleben.

Gegenüber relevant-Redakteurin Ute Rossbacher spricht Iris Bohnet über ihre Forschungsarbeit und die Überwindung klassischer Rollenverteilungen in Beruf und Haushalt. Die, so die 45-jährige Luzernerin, sich eher aus Gewohnheiten denn bewussten Entscheidungen heraus entwickelt hätten. Eine Erkenntnis, die für sie der Schlüssel zur Veränderung ist. Und eine echte Chance – für beide Geschlechter.

 

Frau Dr. Bohnet, in Ihren wissenschaftlichen Arbeiten haben Sie herausgearbeitet, warum der Mensch vertraut, und die kulturellen Unterschiede, die es diesbezüglich gibt, aufgezeigt. Welche Erkenntnisse haben Sie bei Ihren Untersuchungen selbst am meisten überrascht oder beeindruckt?

Am meisten überrascht hat mich, wie klein die Unterschiede meistens doch sind. Denkfehler machen wir alle, egal wo wir geboren wurden.

 

"Veränderungen durch Anreize erzielen"

Lange Zeit ging die Betriebswirtschaftslehre vom Menschen als "homo oeconomicus" aus, jemandem also, der nach rationalen Überlegungen und eigenem Vorteil entscheidet und handelt. Durch die tägliche Realität ist diese Annahme widerlegt. Warum hat sich dieser Ansatz Ihrer Meinung nach dennoch so lange in der wissenschaftlichen Lehre gehalten?

Rationalität vorauszusetzen erlaubt es uns, mathematisch wunderbare Modelle zu bauen. Diese haben viel geleistet und die Komplexität der Welt auf systematische Weise vereinfacht. Die Verbindung von Ökonomie und Psychologie jedoch erlaubt es uns, menschliches Verhalten besser zu verstehen und es zu verändern.

Vor allem letztere Frage beschäftigt mich im Moment sehr. Denn Anreize und Regulierungen zeigen häufig Wirkung. Nehmen wir das Beispiel der "Cash Transfers" an Eltern, damit sie ihre Töchter zur Schule schicken. Ein Modell, das derzeit in etwa 30 Ländern zur Anwendung kommt und auch tatsächlich funktioniert, allerdings sehr teuer ist. Die Ressourcen sind nicht vorhanden, alle Eltern zu bezahlen, die ihren Töchtern keine Ausbildung ermöglichen wollen.

Genausowenig, wie wir alle Dinge kompensieren, die wir eigentlich tun sollten, aber nicht gerne tun. Denken Sie an gesunde Ernährung, Sport, Umweltschutz oder die Bereitschaft, anderen zu helfen. Deshalb müssen wir auf verhaltensökonomische Eingriffe zurückgreifen und "Nudges" (Anstoß oder Schubs, Anm.) schaffen, die es einfacher für uns machen, das "Richtige" zu tun.

 

"Gleichstellung - da muss sich noch viel tun"

Das gilt auch für das Thema, das Ihnen am Herzen liegt und das Sie bereits angedeutet haben: Frauenförderung. Mit Initiativen, Vorträgen und Veranstaltungen geben Sie wichtige Anstöße in der Debatte um Gleichstellungsfragen zwischen Frauen und Männern. Interessant finde ich Ihren Vergleich: Sie sprechen davon, dass es sich auch bei diesem Thema um Denk- und Handlungsgewohnheiten handelt, die es jetzt durch die Schaffung neuer Gewohnheiten zu überwinden gilt. Stimmt Sie die Entwicklung der vergangenen Jahre zuversichtlich, dass dieser Versuch gelingt?

Bezüglich der Gleichstellung von Männern und Frauen muss sich noch viel tun, überall auf der Welt. 120 Millionen Frauen und Mädchen "fehlen" in Asien, weil sie abgetrieben oder in den ersten fünf Lebensjahren vernachlässigt werden. Die Eltern sehen den "Return on Investment" (wirtschaftlichen Nutzen, Anm.) für Töchter nicht.

Das ändert sich gerade in Indien. Eine tolle Studie eines Kollegen von mir, Rob Jensen, zeigt, dass Eltern ihre weiblichen Babys seltener umbringen und ihre kleinen Töchter besser behandeln (bei Gleichbehandlung der Söhne), wenn Frauen mehr wirtschaftliche Chancen haben. Das ist doch gewaltig. Das motiviert mich unheimlich, den "Gender Gap" (Unterschiede zwischen Geschlechtern zum Nachteil von Frauen, Anm.) in Wirtschaft und Politik zu schließen. Ich könnte Ihnen jetzt noch zusätzlich viele Beweise für den "Business Case" für Chancengleichheit liefern, etwa, warum gemischte Teams besser als gleichgeschlechtliche funktionieren etc.

Noch wichtiger ist es jedoch, die Konsequenzen dessen zu erkennen, was Sie und ich persönlich machen bzw. wie Ihre LeserInnen ihre Kinder, SchülerInnen und MitarbeiterInnen behandeln. Denn "Seeing is believing" (Sehen heißt glauben, Anm.) - und solange wir keine Frauen in Führungspositionen sehen, werden sich unsere Stereotype und Vorurteile nicht ändern, und in Österreich, der Schweiz, den USA und auf der ganzen Welt werden Frauen diskriminiert werden.

Ihr Weg ist ein gutes Beispiel dafür, dass es auch anders gehen kann. Sie gingen nach dem Studium in die USA, um dort Ihre Studien an der Universität Berkeley fortzusetzen. Welche Unterschiede fanden Sie in Ihren Anfängen in den Staaten im Vergleich zu Ihrer Heimat markant?

Ich habe gern an der Uni Zürich studiert. Aber ein Forschungsaufenthalt in Berkeley oder ein Ruf nach Harvard sind schon etwas Spezielles. Ich bin sehr glücklich an der Harvard Kennedy School.

Wenn man an eine amerikanische Spitzenuniversität wie Berkeley oder Harvard kommt, fällt einem zunächst schon mal die Motivation der Studierenden auf. Vielleicht sind es die hohen Studiengebühren, welche sie zu KundInnen werden lassen, die auch tatsächlich etwas für ihr Geld wollen. Oder es ist die Kundenorientiertheit als Teil der akademischen Kultur an amerikanischen Spitzenuniversitäten, die eben keine Massenunis sind und wo Professorinnen und Professoren noch Zeit haben, sich um einzelne Studierende zu kümmern. Im Vergleich dazu ist die Massenuniversität eine große Herausforderung für das Bildungswesen in deutschsprachigen Ländern.

 

"Wir teilen uns die Familienarbeit"

Sie sind verheiratet und zweifache Mutter. Inwiefern hat diese Erfahrung Ihren beruflichen Alltag und Ihren Blick darauf verändert?

Mein Mann und ich sind gleichberechtigte Partner und teilen uns die Familienarbeit - und zwar wirklich. Dies hat mir deutlich gemacht, dass es Frauen nicht möglich sein wird, in Beruf, Beziehung und Familie erfolgreich zu sein, solange wir die Gender Gaps zu Hause nicht abbauen.

Unsere Kinder haben mir die Bedeutung kultureller Wurzeln klar gemacht. Es ist wichtig für uns, dass unsere Kinder als Weltbürger aufwachsen mit Wurzeln in der Schweiz und in den USA. Sie besuchen die Deutsch-Amerikanische Schule hier in Boston. Diese soll ihnen vermitteln, dass deutsche Tradition und Sprache Teil unserer "Familienkultur" sind.

 

"Sport als Ausgleich"

Sie waren erfolgreiche Synchronschwimmerin. Hat die Ausübung dieser Sportart Sie auch in Ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung geprägt?

Eine schwierige Frage. Ich liebe Wasser und fühle mich wahnsinnig wohl darin. Auch heute noch versuche ich, so oft als möglich schwimmen zu gehen.

Wie wichtig es für meine berufliche Entwicklung war, fünf Mal in der Woche zu trainieren, ist schwer zu sagen. Vermutlich schadet es der Selbstdisziplin nicht, aber ich stehe den Studien, die einen direkten Zusammenhang zwischen sportlichem und beruflichem Erfolg herstellen, skeptisch gegenüber. Es sind ja vielleicht gerade die Motivierten und Disziplinierten, die sich für einen Hochleistungssport entscheiden und dort erfolgreich sind, und nicht der Sport, der einen diszipliniert.

Das soll aber nicht heißen, dass Menschen nicht zum Ausgleich Sport treiben sollen. Man sollte nur versuchen, eine sportliche Betätigung zu finden, die einem wirklich Spaß macht.

Interview: Ute Rossbacher

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