Quelle: ZAMG

Interviews

Weitere Meinungsthemen

Gabriel Barylli: "Ich rufe zur Diskussion auf"

Alexander Tuma/picturedesk.com

relevant Redaktion

Barylli: "Ich rufe zur Diskussion auf"

04.04.2012
Erfolgsautor, Schauspieler und Regisseur Gabriel Barylli im relevant-Talk über sein neues Buch, Religion und Computerspiele.

Gabriel Barryllis neues Buch "Paradies" spielt mit der Erwartungshaltung seiner LeserInnen: Was erwartet uns im neuesten Werk des "Butterbrot"-Autors? Action? Komödie? Romantik? Weder noch. Das Buch bietet Unterhaltung und Selbsthilfe zugleich, vor allem aber ist "Paradies" eine überraschend offene Abrechnung mit den religiösen und politischen Systemen unserer Gesellschaft. Die "heilige Wut auf die Gesellschaft", die Barylli nach eigenen Aussagen verspürt, spiegelt sich in in seinem Buch deutlich wider.


Man bekommt mit "Paradies" nicht das, was man erwartet. Wie würden Sie das Buch beschreiben – Unterhaltungsroman oder Selbsthilfebuch?

Gabriel Barylli: Als nichts von beiden. Es ist ein unterhaltender Fundamentalkritik-Roman. (lacht)

Wenn eine Überraschung beim Lesen eintritt, dann bin ich sehr zufrieden. Denn das, was die Hauptfigur Maria in diesem Buch erlebt, ist für sie das Überraschendste ihres ganzen Lebens. Sie setzt sich mit einem Computerspiel namens "Paradies" auseinander. Da erwarte ich mir auch eher etwas Leichtes, Sanftes, Luftiges. Vielleicht sogar Kinderträume. Plötzlich wird man aber damit konfrontiert, dass sich alle Kinderträume, alle in die Luft steigenden Luftballone erst dann feiern lassen, wenn der Keller ausgeräumt ist.

Mit dem Buch will ich die Wunde der Gesellschaft reinigen. Ich schaue mir unsere Gesellschaft, unsere Welt an und bemerke: Es dreht sich alles nur um Macht, Geld und Politik. Wenn man aber ganz genau hinhört, stehen dahinter nach wie vor strenge Glaubenssysteme. Grob gesagt: Das Westliche gegen das Östliche.

Wenn man sich anschaut, was wiederum die Grundlagen dieser Systeme sind, trifft man auf die Religionen und ihre Grundsatzerklärungen. Und kann meiner Meinung nach nur sprachlos und schockiert sein.

Die Gesellschaft ist also nach wie vor eine religiöse?

Selbst wenn wir so tun, als lebten wir in einer nicht-religiösen Zeit – in Wirklichkeit leiten sich alle Systeme unseres Planeten von den Grundsatzerklärungen der Religionen ab. Diese haben im wahrsten Sinne des Wortes ein mörderisches Echo.

Sie wollen mit dem Buch also offen Kritik üben.

Genau – an der Gesellschaft, der Politik, den Weltreligionen und vor allem an der Ungenauigkeit unserer Geisteskultur.

Das bedeutet?

Vor kurzem zum Beispiel las ich ein Interview mit dem Dalai Lama, der mit seinem berühmten Lächeln wieder mal betonte, dass Homosexualität etwas Verwerfliches sei. Wissen die LeserInnen überhaupt, was dieser Satz zur Folge hat? Wieso kritisieren wir den Papst, der Kondome verbietet, jubeln aber Dalai Lama zu, der Homosexualität verbietet? All das nenne ich Ungenauigkeit.

Und Scheinheiligkeit?

Absolut. Es ist großartig, wie genau, radikal und kritisch wir mit unserer jüngsten politischen Vergangenheit umgehen. Aber wieso tun wir es nicht genauso mit dem Katholizismus, Hinduismus, Buddhismus und Islamismus?


"Gehöre keiner Religion an"

Was kritisieren Sie spezifisch am Katholizismus?

Die Menschenfeindlichkeit.

In "Paradies" geht es darum, dass eine neue Religion gegründet wird. Wäre eine solche Religion die Lösung aller Probleme auf der Welt?

Nein. Aber ich hätte so eine Religion gerne. Eine Religion, in der absolute Wahlfreiheit und als Glücksmaßstab die Gleichberechtigung jedes Lebensentwurfes herrscht.

Gehen Sie eigentlich wählen?

Fällt meine Antwort darauf nicht auch unter Wahlgeheimnis?! Denn eine Nicht-Wahl ist genauso aussagekräftig wie eine Wahl.


"Rufe zur Diskussion auf"

Haben Sie während des Schreibens Ihres Buches mit Theologen oder Psychologen gesprochen?

Nein – aber ich stand im Dialog mit der Weltliteratur. Ich habe mich zum Beispiel in die Bibel oder den Koran vertieft, was mir als Grundlage des kritischen Schreibens diente.

Ist "Paradies" Ihr persönlichstes Buch?

Wenn ich mich mit Pistole auf der Brust für eines meiner Bücher entscheiden müsste, dann wäre es wohl dieses hier. Weil deutlicher als in diesem Buch kann man nicht mehr Stellung beziehen. Ich rufe klar zur Diskussion auf.

Es ist nicht einfach, sich beim Schreiben mit solch großen Themen auseinanderzusetzen. Die Wahl der Kritik war sehr herausfordernd. Einerseits hat es viel mit Gefühlen zu tun (komme ich in die Hölle, wenn ich etwas Verbotenes mache?), andererseits muss man das Gefühl in eine nachvollziehbare intellektuelle Kritik packen. Wo fängt man an, wo hört man auf? Nicht einfach.

Die Themen, die Sie ansprechen, sind per se nicht einfach.

Aber Maria, eine ganz normale Frau mit einem normalen Beruf, zeigt sehr gut, wie sehr man sich verändern kann, wenn man sich mit den großen Themen beschäftigt und sich auf sie einlässt.


"Wäre auf dem Index"

Gehören Sie einer Religion an?

Nein. Ich war wie die meisten österreichischen Buben katholisch geprägt. Mit 14 bin ich aus dem Religionsunterricht ausgetreten. Meine Klassenlehrerin hat das damals als "Verbrechen" bezeichnet, wofür sie sich nach Beschwerde meiner Eltern öffentlich vor der Klasse entschuldigen musste.

Was würde der Papst zu Ihrem Buch sagen?

Dem würde man es vorenthalten, mein Buch würde keines der Filter seiner vielen Assistenten überleben. Und wenn doch, dann würde ich auf den Index kommen. Vor ein paar Jahrzehnten hätte man mich für "Paradies" noch eingesperrt, gefoltert und verbrannt.


"Beginn einer Weltrevolution"

Warum haben Sie gerade ein Internetspiel ausgewählt, mithilfe dessen die Protagonistin ins Paradies gelangt?

Zum einen wollte ich darauf hinweisen, dass wir am Beginn einer noch nie dagewesenen Weltrevolution stehen, nämlich der grenzenlosen Echtzeit-Kommunikation. Das ist natürlich brandgefährlich für autoritäre Regime. Das Internet ist DAS Bewusstseins-Transportmittel der Zukunft. Man kann niemanden mehr geographisch einsperren.

Zum anderen wollte ich ganz simpel nicht Seiten damit verschwenden zu beschreiben, wie die Protagonistin zu exotischen Plätzen der Welt reist.

Würden Sie bei solch einem Computerspiel, wie im Buch beschrieben, mitmachen?

Sofort. Drei Monate, nachdem ich das Buch fertiggeschrieben hatte, las ich in einer Zeitschrift, dass es solch ein Computerspiel, in dem man mit einem Avatar von sich selbst eine virtuelle Reise in 3D antreten kann, bald geben soll. Ganz schön unheimlich, aber auch aufregend. Wir entwickeln uns in Richtung Parallelwelt, also eine parallele Gesellschaft im Netz.


"Ich lebe das Paradies"

Was ist das Paradies für Sie?

Lebenszeit mit geliebten Wesen zu verbringen. Sich in der Schutzzone - also in jenem Lebensbereich, in dem man geliebt wird, wie man ist - bewegen.

Sind Sie Ihrem Paradies bereits nahe gekommen?

Ich lebe es. Zumindest in meinem Privatleben.

Interview: Manuel Simbürger

Home
Politik
Chronik
Wirtschaft
Sport
Kultur
Society
Life
Reise
Motor
Hightech