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Sarto: "Gebe dem Kinderschutz ein Gesicht"

Herbert Neubauer/APA/picturedesk.com

relevant Redaktion

Sarto: "Ich gebe dem Kinderschutz ein Gesicht"

03.04.2012
Peter Sarto, Wiener Ombudsmann für traumatisierte sozialpädagogisch betreute Kinder, im Gespräch über Missbrauchsfälle, Kinderrechte und Psychohygiene.

Seit 1. März 2012 hat Wien eine eigene Ombudsstelle für traumatisierte Kinder, die in Heimen oder Wohngemeinschaften leben. Wien ist das erste Bundesland, das solch eine Ombudsstelle vorweisen kann.

Ombudsmann ist Peter Sarto (43), der zuvor 17 Jahre lang als Sozial- und Erlebnispädagoge tätig war und "sehr viel erlebt" hat. relevant-Autor Manuel Simbürger sprach mit Sarto über seinen neuen Job, seine bisherigen Erfahrungen und warum ein externer Ansprechpartner für Kinder so wichtig ist.


relevant: Wie ist es zur Gründung dieser Ombudsstelle gekommen?

Peter Sarto: Seit zehn Jahren haben sich meine KollegInnen der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien bemüht, dass sie eine externe Ombudsstelle speziell für fremduntergebrachte Kinder bekommen. Leider war es der Politik viele Jahre lang nicht klar, wie dringend man solch eine Ombudsstelle bereits gebraucht hätte. Mit den in den Medien stark rezensierten Missbrauchsfällen, z.B. im Heim am Wilhelminenberg, kam es dazu, dass die Stadt Wien auf diese Vorkommnisse sehr schnell reagiert hat; unter anderem wurde auch die Ombudsstelle realisiert.


"Bin Ansprechpartner"

Was genau sind Ihre Aufgaben als Ombudsmann?

Das größte Problem für fremduntergebrachte Kinder und Jugendliche ist seit jeher, dass sie keinen persönlichen Ansprechpartner außerhalb des Heimes oder der Wohngemeinschaft hatten, dem sie sich anvertrauen konnten, wenn ihnen etwas Schlimmes angetan wurde. Dieser Ansprechpartner bin ich. Ich besuche WGs und Heime – angekündigt und unangekündigt - und ich stelle mich den Kindern vor. Es gibt sowohl einen Folder von mir als auch ein Poster, das mit meiner Handynummer an einem sichtbaren Platz im Heim bzw. in der Wohngemeinschaft platziert werden muss. Den Kindern muss bewusst sein, dass sie sich persönlich an mich wenden können.

Wie hat man auf Ihre bisherigen Besuche reagiert – sowohl seitens der SozialpädagogInnen, als auch der Kinder?

Ich bin daran gewöhnt, mit Kindern schnell in Interaktion zu gehen und zu ihnen eine Beziehung aufzubauen. Ich war 17 Jahre lang Sozial- und Erlebnispädagoge, habe insgesamt mindestens 500 Kinder betreut und sehr viel erlebt. Kinder gehen auf mich zu.

Bei den SozialpädagogInnen gibt es natürlich immer gewisse Vorbehalte: "Wer ist das?"‚ "Was will der bei uns?". Das ist aber ganz normal. Wenn ich mich aber einmal vorgestellt habe, werden mir immer alle Türen geöffnet.

Können sich bei Problemen auch die SozialpädagogInnen an Sie wenden?

Ich bin zwar nicht ausschließlich, aber in erster Linie für die Kinder und Jugendlichen zuständig. Aber wenn SozialpädagogInnen Probleme auffallen, können und sollen sie sich natürlich auch an mich wenden.


"Personifizierter Kinderschutz"

Wenn ein sexueller Missbrauch vorliegt, ist die Hemmschwelle, sich jemandem anzuvertrauen, sehr groß. Wieso glauben Sie, fällt diese Hemmschwelle Ihnen gegenüber weg?

Fremduntergebrachte Kinder, die Opfer von Missbrauchsfällen waren oder immer noch sind, haben tatsächlich eine sehr große Schwellenangst. Sie können sich oft keinem anvertrauen. Ganz anders sieht dies jedoch aus, wenn sie persönlichen Kontakt mit jemandem haben, der nicht zu diesem System gehört. Oft fällt es Betroffenen leichter, sich jemandem von außen anzuvertrauen. Die Erfahrungen (mit ehemaligen Opfern) zeigen, dass sich die Kinder und Jugendlichen (von damals) wahrscheinlich Hilfe geholt hätten, wenn es eine neutrale Ansprechperson gegeben hätte. Ich personifiziere das "Schützen" und "Beschützen", gebe ihm ein Gesicht.

Es kommt manchmal auch zu Übergriffen zwischen den Kindern selbst, das sind keine Einzelfälle. Man darf nicht vergessen, dass in einem Wohnverbund mehrere schwer traumatisierte Kinder in verschiedenen Altersstufen zusammenwohnen.

Haben sich bereits Kinder oder Jugendliche bei ihnen gemeldet?

Wenn ich persönlich zu ihnen Kontakt hatte – ja. Allein am Vortag habe ich mit 15 Kindern gesprochen, die kleinere oder größere Sorgen hatten.

Ihre Stelle wird also dringend gebraucht.

Auf jeden Fall. Es ist eine Illusion zu glauben, dass es keine Gewalt gibt, nur weil Kinder fremduntergebracht sind.


"Alle rechtlichen Mittel ausschöpfen"

Mit welcher Art von Problemen kamen die Kinder, die sich bisher an Sie gewandt haben, zu Ihnen?

Es ging bereits um Verstöße gegen die Kinderrechte. Viele Dinge, die widerrechtlich sind, wissen KollegInnen gar nicht bzw. werden im Berufsalltag schnell vergessen. Zum Beispiel: Hat ein Kind etwas absichtlich kaputt gemacht, darf maximal die Hälfte des Taschengeldes einbehalten werden. Das wissen die wenigsten.

Wenn sich ein Kind wegen Missbrauch an Sie wendet – wie geht es dann weiter?

Zuerst ist es wichtig, alle Daten zu sammeln. Ich rede mit dem Kind ganz genau und halte fest, wer in den Missbrauch involviert ist. Wichtig ist es auch abzuklären, wie das System mit dem Fall umgeht. SpezialistInnen werden zugeschaltet, die sich mit dem Schwerpunkt dieser Thematik auseinandersetzen. Es geht darum, alle professionellen und rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um die Kinder zu schützen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.


"Missbrauch in WGs bzw. in Heimen"

Warum sind gerade in letzter Zeit so viele Missbrauchsfälle öffentlich geworden? Zufall?

Nein, sicher nicht. Wenn Kinder missbraucht werden, ist das das größte dunkle Geheimnis, das sie mit sich herumschleppen müssen. Sie trauen sich nicht, es jemandem zu erzählen, da der Täter/die Täterin sie glauben macht, sie selbst seien schuld daran und die Opfer zusätzlich existentiell bedroht werden.

Wenn ein Opfer beschließt, an die Öffentlichkeit zu gehen, auch wenn der Vorfall schon Jahrzehnte zurückliegt, dann hat dies Vorbildwirkung und gibt anderen Opfern Kraft. Man spricht hier vom berühmten Domino-Effekt. Die Opfer wissen plötzlich, dass sie mit ihrer Geschichte nicht alleine sind. Man darf nie vergessen: Je nach Alter, Dauer und Form kann Missbrauch mehr oder weniger traumatisierend sein.


"Sehr viele schöne Erfahrungen"

Sind in anderen Bundesländern Ombudsstellen geplant?

Wien ist da erfreulicherweise Vorreiter. Sicher ist es sinnvoll und auch notwendig, in allen Bundesländern Ombudsstellen einzurichten. Im Moment gibt es jedoch österreichweit nur mich.

Zuletzt eine persönliche Frage: Wie hält man solch einen Job wie Ihren seelisch durch?

Ich sage immer: Mein Job hat Hand und Fuß. Und man macht sehr viele schöne Erfahrungen. Ich war bereits Trauzeuge oder Taufpate von Kindern, die ich früher betreut habe. Für die Psychohygiene ist es außerdem ausschlaggebend, in einem professionellen Team zu arbeiten.

Interview: Manuel Simbürger

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