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Soldaten im Krieg: Täglich grüßt Afghanistan

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Soldaten im Krieg: Täglich grüßt Afghanistan

20.12.2012
Zivilisten wie Soldaten sind in Afghanistan am Ende. Vom Krieg selbst kann das - zum Unglück beider Seiten - noch nicht gesagt werden.

Es ist Donnerstagmorgen, eine Radiostation irgendwo in den USA: Das reguläre Programm wird - wie so oft noch an diesem Tag - für die Nationalhymne unterbrochen, die all jenen gewidmet wird, die "die Freiheit Amerikas" sichern, insbesondere in Afghanistan.

Gut 90.000 US-Soldaten sind derzeit dort stationiert, und auch wenn der Truppenabzug bis 2014 als beschlossene Sache gilt, kann von einer "erfüllten Mission", wie Christoph Prantner von Der Standard bestätigt, nicht die Rede sein.

Das weite, unwegsame Gelände, die lokale Macht der Taliban, die immer noch Anhänger findet; terroristische Anschläge, aber auch die Entgleißungen der vergangenen Monate in den Reihen des Militärs, die nicht nur Sven Hansen von die taz aufrütteln: "Das Urinieren auf Leichen mutmaßlicher Aufständischer, das Verbrennen von Exemplaren des Koran und ein Massaker an Zivilisten (Amoklauf eines US-Soldaten im März, Anm.).".

Oder zuletzt: Soldaten, die mit Körperteilen von Selbstmordattentätern posieren.

Dass die aufgebrachte Taliban in dieser Lage Rache schwört, ist für Günther Nonnenmacher von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dennoch ein "niederträchtiger Hohn", denn: "Die meisten zivilen Opfer, die dieser Krieg gefordert hat, gehen auf das Konto von deren Terrorstrategie, unter der die einheimische Bevölkerung mehr leidet als die ausländischen Soldaten."

 

"Ausweitung der Kampfzone"

Afghanistan - ein Land, das offenbar nicht zu sichern, geschweige denn nach westlichen Vorstellungen zu befreien ist. Dazu genügt schon ein Blick auf die beklemmenden Opferzahlen: Mindestens 2.000 US-Soldaten und geschätzte 14.000 afghanische Zivilisten ließen seit dem 7. Oktober 2001 - dem Beginn des internationalen Kriegseinsatzes - ihr Leben.

Für den Menschenrechtsanwalt Arsalan Iftikhar eine numerische Zäsur, die ihn im Gastkommentar für CNN betrübt innehalten lässt: "Im Juni 2010 hat der Afghanistan- den Vietnam-Krieg als längsten Krieg der amerikanischen Geschichte abgelöst." Den Abzug der US-Truppen aus dem Kriegsgebiet einzuleiten, ist aus seiner Sicht längst überfällig.

Eine Forderung, die Peter Poprawa von n-tv nach mehr als zehn Jahren Blutvergießen in Afghanistan mehr als zulässig erscheint: "Eine Bücherverbrennung und ein Amoklauf lassen erkennen, was lange befürchtet worden war: Alle Kosten, alle Mühen, alle Opfer waren umsonst. Nur offiziell sagt das niemand."

 

Ein Mann der Armee läuft Amok

Es war in den frühen Morgenstunden an einem Tag im März dieses Jahres, als US-Soldat Robert Bales seinen Stützpunkt in der Region Kandahar verließ, in mehrere Häuser eindrang und insgesamt 16 Menschen, darunter mehrheitlich Kinder, erschoss. Danach kehrte der verheiratete Familienvater in sein Basislager zurück und stellte sich. Seitdem befindet sich der 39-Jährige in Gewahrsam. Im Falle seiner Verurteilung droht ihm die Todesstrafe. Soweit die offiziellen Angaben.

Von Bedeutung scheint der Hinweis, dass der Unteroffizier bei seinem vorangegangenen Irak-Einsatz ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat - wie viele Männer im Krieg. "Neurologen sehen inzwischen einen Zusammenhang zum späteren Auftreten eines post-traumatischen Stress-Syndroms", weiß dazu die Basler Zeitung. Ein möglicher Hinweis dafür, warum der Soldat Amok gelaufen ist?

Zumindest für die USA Today scheint das noch nicht evident: "Wer konnte vorhersehen, dass ein Militärbediensteter mit Frau und zwei Kindern systematisch neun Kinder erschießen und anschließend in aller Ruhe in sein Lager zurückkehren würde?"

Gerade wenn es um die Gräuel des Krieges geht, hat der Irak-Veteran Jon Soltz einiges zu sagen. In der Huffington Post stellt er als Sprecher für seine zahlreichen KollegInnen dennoch klar: "99,9 Prozent unserer Frauen und Männer in Uniform verhalten sich ehrenhaft und erfüllen ihre Mission ohne Fehl und Tadel. Ich würde sagen: Es liegt nicht an unserem Militär, sondern an unserer Kriegsstrategie."

 

Der Weg vom Menschen zum Soldaten

Genau diese veranlasste Giles Fraser von The Guardian auch, die Studien des Kriegsherrn General Marshall zur Hand zu nehmen. Diese besagen, dass sich noch im Zweiten Weltkrieg 75 Prozent der Soldaten nicht imstande sahen, jemanden zu töten. Viele, heißt es darin, sollen bewusst über den Kopf ihres Gegenübers gezielt haben.

Statistiken, die - so der Autor weiter - auch dem US-Militär bekannt seien, das mit gezielten mentalen Trainings die Schießhemmung von Rekruten zu verringern versuche. Dass dieser Entfesselung nicht jeder gewachsen ist, erscheint Fraser einleuchtend und abschreckend zugleich.

Das Ergebnis lässt sich in den USA täglich beobachten: Soldaten, denen es nach ihrer Rückkehr nicht mehr gelingt, sich in den gesellschaftlichen Alltag oder das Familienleben zu integrieren.

Dass die Unterstützung für den Afghanistan-Einsatz in der Bevölkerung zunehmend sinkt, wundert Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung daher nicht: "Auch in den USA will niemand in einen Krieg verwickelt sein, der (...) lediglich Traumatisierte, seelische und körperliche Krüppel hervorbringt."

 

Krieg mit Folgen

Vor diesem Hintergrund werden die Folgen dieses Krieges noch lange Zeit in den USA und all jenen Ländern, die Soldaten dorthin entsandt haben, nachwirken. Von Afghanistan ganz zu schweigen, dessen Bevölkerung die vermeintlichen Beschützer aus dem Westen, vor allem den USA, zusehends als die Wurzel allen Übels betrachtet.

Die jüngsten Vorkommnisse werden die Lage nicht zum Besseren ändern. Zu diesem Schluss kommt auch die Redaktion der Tageszeitung USA Today, wenn sie in ihrem Leitartikel einen Blick in die Zukunft wirft: "Wenn 2012 so weitergeht, wie es begonnen hat, wird ein chaotischer Abzug immer wahrscheinlicher."

Angesichts der dramatischen Entwicklung im Kriegsgebiet, die mit Floskeln längst nicht mehr schöngeredet werden kann, lässt auch die Politik ihr Gesicht hinter der Maske erkennen. Denn um zu beschreiben, was sich täglich in Afghanistan und anderen Kriegsgebieten dieser Welt abspielt, braucht es nicht mehr Worte als US-Verteidigungsminister Leon Panetta kürzlich verwendet hat: "Krieg ist die Hölle."

Ute Rossbacher

 

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