Quelle: ZAMG

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Dennis Gansel: "Russland ist im Wandel"

Miriam Höhne

relevant Redaktion

Gansel: "Russland befindet sich im Wandel"

05.03.2012
Der deutsche Regisseur Dennis Gansel über seinen neuen Film, Russland und das düstere österreichische Kino.

Sind Promotage für den neuesten Kinofilm oder die neueste CD angekündigt, seufzt man als Journalist etwas. Denn meist sind die Interviews geprägt von leeren Floskeln, und etwas anderes außer über das neue Produkt darf man gar nicht erst fragen.

Nicht so bei Dennis Gansel. Klar sprechen wir beim Interview mit dem deutschen Star-Regisseur und dreifachen Grimme-Preisträger ("Die Welle") auch über seinen neuesten Kino-Coup "Die vierte Macht", der den Zusammenhang zwischen Presse, Terror und Freiheit in Moskau behandelt. Der komplexe Film gibt aber auch Anlass, über aktuelle Veränderungen in Russland zu sprechen, was Gansel auch erfreut tut. Auch zu Wien und dem österreichischen Kino findet er ein paar Worte.


relevant: Wie ist die Idee für das Drehbuch zu "Die vierte Macht" entstanden?

Dennis Gansel: Ich war immer schon am Thema "Terrorismus" interessiert, weil ich finde, dass wenige Dinge unser Leben so sehr beeinflussen wie Terroranschläge, man denke nur an 9/11. Es werden nicht nur Gesetze, sondern auch unsere Art zu denken verändert.

Spezifisch auf die Idee zu "Die vierte Macht" bin ich durch mein Regiedebüt "Das Phantom" gekommen, das ja auch schon eine Verschwörungstheorie zum Inhalt hatte, die so genannte dritte Generation der RAF. Das fand ich sehr spannend, deshalb fing ich im Herbst 1999 mit Recherchen an und traf mich mit vielen Leuten. Je tiefer ich in die Materie eintauchte, desto interessanter fand ich das.

Im Winter 2004/2005 unternahm ich eine Russlandreise und stellte meinen Film "Napola" u. a. in Moskau vor. Damals lernte ich viele Russen kennen – nicht nur die Offiziellen vom Festival, sondern auch Journalisten, Medienleute, Praktikanten und normale Zuschauer. Sie alle erzählten mir von ihren Arbeitsbedingungen, vom Leben im Allgemeinen. Anschließend ging es nach Sankt Petersburg – dort fiel mir vor allem die enorme Polizeipräsenz auf.

Als 2006 der Mordanschlag auf Anna Politkowskaja verübt wurde, war das für mich quasi der Auslöser, ich wusste, darüber muss ich was machen. Also kramte ich wieder meine Recherchen hervor, fing aber auch an, neu zu recherchieren.


"Stille Zensur in Russland"

Konnten Sie ungehindert recherchieren?

Als ich in Russland war und Quellen oder Gesprächspartner nachprüfen wollte, stieß ich auch auf Internetseiten, deren Zugang gesperrt war. Das passierte häufiger. Was mir aber besonders auffiel: In Russland herrscht eine Art stille Zensur. Als ich ein Jahr später meinen Film "Die Welle" vorstellte, musste ich mir beim größten staatlichen Radiosender folgendes anhören: "Ist natürlich sehr interessant, dass gerade in Deutschland Faschismus wieder aufkommen kann", und dann antwortet man eben: "Nun ja, es gibt durchaus ein paar andere Länder, in denen Demokratiebestrebungen nicht gerade unterstützt werden und wo man eine Art von neuer Autokratie spürt". Und dann blickt einem der Journalist offen in die Augen und würde das nie im Leben auf sein eigenes Land beziehen!

Haben Sie persönlich Angst vor Terroranschlägen?

Bei mir funktionierte die Einschüchterungstaktik tatsächlich sehr gut, denn ich hatte in der Zeit um 9/11 große Angst. Ich hatte Panikanfälle, wenn ich in ein Flugzeug stieg. Ich habe bei mir selbst festgestellt, wie ich mich veränderte: Um mich vor dem Terrorismus zu schützen, war ich bereit, Bürgerrechte abzugeben, Notstandsgesetze zu akzeptieren. Wahnsinn, wenn man darüber nachdenkt!

Um 9/11 ranken sich viele Verschwörungstheorien, auch in "Die vierte Macht" geht es darum, dass die Terroranschläge vom russischen Geheimdienst selbst verübt werden, um Anti-Terrorgesetze durchzubringen. Glauben Sie selbst an solche Theorien?

Was Russland angeht, kann ich mir mittlerweile sehr gut eine Meinung bilden. Hier gibt es schon berechtigte Zweifel an der offiziellen Darstellung zu zweifeln – und das ist in Russland auch ein offenes Geheimnis! Die Konservativen in Russland halten sich an das Motto, dass man einen Grund braucht, um einen Krieg anzufangen. Die westeuropäische Demokratie wird von den russischen Konservativen strengstens abgelehnt.

Was 9/11 anbelangt, glaube ich an solche Theorien nicht. Ich denke aber, dass die Informationslage des FBI größer war, als sie in der Öffentlichkeit zugab. Und ich glaube sehr wohl, dass die Regierung es hat kommen sehen. Aus heiterem Himmel geschah der Anschlag sicher nicht.

Wollen Sie etwas Bestimmtes mit dem Film erreichen?

Durch meine Recherche hat sich ein objektives Bild über Russland geformt. Trotzdem wollten wir zu allererst einen spannenden Thriller drehen, der die Leute unterhält. Und der vielleicht die Sicht auf manche Dinge ändert. Mehr kann Kino meines Erachtens nicht leisten. Außerdem denke ich, dass Russland gerade im Wandel begriffen ist. Auch der Film lässt bereits dieses neue Russland anklingen.


"Die Leute haben die Angst verloren"

Vor kurzem gab es Massendemonstrationen in Russland gegen die Wiederwahl Putins. Zeigt das bereits das neue Russland?

Auf jeden Fall wird es eine andere Regierung geben. Und der Druck der Straße, der Demonstrationen, wird so groß werden, dass es eine Gesetzesänderung und eine Liberalisierung geben wird. Ich mache mir keine Illusionen, wie die Wahl ausgehen wird, denke aber, dass bei dieser Wahl weniger akzeptiert werden wird als die Jahre zuvor.

Bei meinem letzten Russland-Besuch kamen noch fast gar keine jungen Leute zu Demonstrationen. Wenn man weiter zur Uni gehen, in einem Großkonzern oder bei Behörden arbeiten wollte, war es nicht ratsam, auf der Straße zu demonstrieren. Mittlerweile gehen Hunderttausende auf die Straße. Die Leute haben die Angst verloren. Das ist der erste Schritt für eine große Veränderung.

Sind Sie jemand, der demonstrieren geht?

Nein, die Zeiten sind vorbei. Heute bin ich zu alt dafür, mein Rücken macht mir zu schaffen! (lacht) Meine letzte Demonstration war gegen den Irakkrieg. Heute drehe ich über bestimmte Themen lieber Filme als zu demonstrieren.


"Es geht uns doch schweinegut"

Gibt es aktuelle Anlässe, für die es sich zu demonstrieren lohnt?

Nein, denke ich nicht. Gerade, wenn man viel im Ausland war, weiß man: Es geht uns im deutschsprachigen Raum doch schweinegut! Der größte Skandal in Deutschland ist aktuell, dass der Bundespräsident billigere Bauzinsen bekommen hat. Ist natürlich nicht gut zu heißen, im Vergleich zu Russland aber lächerlich.

Themenwechsel: Wie gefällt Ihnen denn Wien?

Ich liebe Wien! Ich bin bereits das vierte Mal hier und jedes Mal aufs Neue begeistert. Die Journalisten hier bringen uns viel größeres Interesse entgegen als in Deutschland, was sicher daran liegt, dass Wien eine Kulturstadt ist. Das ist zwar Berlin auch, aber Wien ist einfach anders.

In Österreich wird diese Düsternis mitunter aber auch kritisiert. Wir brauchen mehr Komödien, heißt es.

Habt ihr ja. In euren Komödien werden halt Menschen am Fleischerhaken aufgehängt.

Interview: Manuel Simbürger


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