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Moritz Bleibtreu: "War noch nie wählen"

Miriam Höhne

relevant Redaktion

Bleibtreu: "Glaube nicht an parlamentarische Demokratie"

05.03.2012
Filmstar Moritz Bleibtreu im relevant-Interview über Wien, Obama und warum er den Glauben an die Politik verloren hat.

In "Die vierte Macht" (Österreich-Start: 9. März) spielt Moritz Bleibtreu einen Klatsch-Journalisten, der in Russland in die Fänge von Terroristen gerät. Und prompt selbst der Beihilfe angeklagt wird. Harter Stoff, auf hohem Niveau.

Zwecks Film-Promotion kehrte Bleibtreu (wieder einmal) nach Wien zurück, seine alte Heimat, dort, wo er seine Oma als Kind so gerne besuchte. Verliebt ist er in die Stadt immer noch. Was er im Gespräch mit relevant-Journalist Manuel Simbürger auch mit leuchtenden Augen kundtat. Überhaupt bestach der deutsche Superstar beim Interview mit Lässigkeit, Witz und klaren Aussagen - über Politik, das Filmbiz und die Suche nach der Wahrheit.


"Die vierte Macht" ist sehr gelungen, Gratulation.

Moritz Bleibtreu: Super, danke. Das freut mich sehr!

In "Baader Meinhof Komplex" spielst du einen Terroristen, in "Die vierte Macht" kämpfst du gegen Terrorismus. Was hat mehr Spaß gemacht?"

(lacht) Ich vergleiche meine Filme nicht miteinander. Überall hat man verschiedene Ausgangspunkte, es ist also etwas vollkommen anderes. Grundsätzlich aber interessiere ich mich privat sehr für das Thema Terrorismus. Wie entsteht Terrorismus? Wie wird Terrorismus instrumentalisiert? Auch der Zusammenhang Revoluzzer-Terrorist ist sehr spannend. Was ist ein Revoluzzer? Wieso ist ein Revoluzzer plötzlich ein Terrorist? Denn ein Terrorist nennt sich selbst nicht so, er sieht sich als Revoluzzer. Wo also ist der Moment, wo aus einem Revoluzzer ein Terrorist wird? Alles Fragen, die mich brennend interessieren.

Themenwechsel: Was sagst du zu Wien?

Ich finde Wien toll, bin ja quasi hier aufgewachsen. Ihr habt irre tolles Essen hier. Kulturell betrachtet ist Wien sowieso ein Wahnsinn. Ihr seid extrem gut informiert, belesen, seid interessiert. Es ist sehr schön zu sehen, dass sich eine Masse an jungen Leuten auch heutzutage noch für Kultur interessiert.


"Österreichs Kino ist Bombe"

Deine Meinung zum österreichischen Film? Dennis Gansel meinte ja, wir seien zu düster und es gäbe nicht viel zu lachen bei uns ...

Österreichisches Kino ist Bombe! Und wie, es lacht keiner?! Ihr habt Leute hier wie Hader, Dorfer oder Düringer – fantastische Kabarettisten!

Das, was derzeit im österreichischen Kino passiert, erinnert mich an das, was in Deutschland vor sechs, sieben Jahren abging. Das Publikum fasst langsam wieder Vertrauen zum Film, es brodelt. Die Filme entwickeln eine eigene Handschrift, es gibt eine Menge Leute, die experimentell viel ausprobieren. Momentan kommt irre geiles Zeug aus Österreich! Ich freue mich immer, wenn ihr mich zumindest ein bisschen mitmachen lässt!

Deine Figur Paul in "Die vierte Macht" geht nach Russland, um neu anzufangen. Könntest Du Dir vorstellen, nach Österreich auszuwandern?

Nein! (lacht) Das liegt aber nicht an euch, sondern daran, dass ich Hamburg einfach nicht verlassen wollen würde. Ich reise sehr viel, bin gleichzeitig überall und nirgends. Ich bin jedes Mal froh, nach Hamburg zurückzukehren, wo sich nie etwas verändert. Außerdem lebt meine Familie dort. Das ist für mich Heimat. Hamburg ist für mich Rückzugsort.

Ich muss aber auch sagen: Wien ist sowieso ein Teil meiner Heimat, da meine Oma hier gewohnt hat. Ich besuchte sie oft, wir gingen Skifahren oder fuhren zum Neusiedlersee. Tolle Zeit.

Du hast von Rückzugsort gesprochen. Braucht man sowas als Schauspieler, da man ja ständig in andere Rollen schlüpft, ständig wo anders dreht?

Bei mir ist es zumindest so. Ich brauche das unbedingt. Ich bin ein sehr fauler Schauspieler. Ich liebe Filme und liebe meinen Beruf, sehr sogar. Aber trotzdem brauche ich auch regelmäßig Abstand davon, muss in die "normale Welt" da draußen abtauchen. (lacht) Wenn es immer nur um Filme geht, immer nur um Schauspielerei, bekomme ich ganz schnell die Krise.


"Tanz auf der Schneide des Gewissens"

Bleiben wir beim Filmbiz. In "Die vierte Macht" spielst du einen Journalisten, hast also die andere Seite des Medienrummels kennengelernt. Wie war das für dich? Verstehst du uns nervige Journalisten nun besser als vorher?

Nicht unbedingt! (lacht) Im Ernst: Ich war nie einer jener Schauspieler, die die Presse nervig finden und sich für zu berühmt halten, um Interviews zu geben. Journalismus in all seinen Facetten ist Teil meines Berufs – das war immer schon so und wird auch immer so bleiben. Es stört mich nicht.

Ich habe großen Respekt vor Journalisten. Ich stelle mir den Beruf tierisch kompliziert vor. Es gibt ja auch eine große Parallele zu meinem Beruf: Man wählt aus den Angeboten, die einem gemacht werden – sofern man überhaupt zu dem Luxus kommt, wählen zu können. Diese Angebote sind natürlich zum Teil auch ein Tanz auf der Schneide des eigenen Gewissens. Sicherlich gibt es Filme, die einem nicht hundertprozentig zusagen. Aber wir alle müssen Rechnungen bezahlen und wir alle wollen auch mal schön auf Urlaub fahren.

Interessanter Vergleich.

Man kann Journalismus aber auch mit der Juristik vergleichen: Die Leute wollen aufklärerisch und investigativ sein. Wenn man dann aber tatsächlich die Wahrheit schreibt, merkt man: Die Leute wollen die Wahrheit eigentlich gar nicht wissen. Und manchmal wünscht man sich, auch selbst die Wahrheit gar nicht zu kennen. Ich stelle mir das sehr schwierig vor.

Apropos Wahrheit: Im Film gibt es das schöne Zitat "Es ist keiner an der Wahrheit interessiert, nur an der Zukunft". Du bist also derselben Meinung?

Ich denke, das war immer schon so, dass die Gesellschaft nicht an der echten Wahrheit interessiert ist. Geschichte ist ja etwas, das von Gewinnern geschrieben wird. Können wir also davon ausgehen, dass tatsächlich alles stimmt, was in den Geschichtsbüchern steht? Beispiel J.F. Kennedy: Wir alle wissen, dass Lee Harvey Oswald nicht der Mörder war. Es wird uns aber so präsentiert – und es so hinzunehmen, ist leichter, als nach der Wahrheit zu suchen.

Es geht nicht darum, was wirklich wahr ist, sondern darum, dass wir in Ruhe und gemütlich leben können. Das ist in der Natur des Menschen. Ich glaube nicht daran, dass der Mensch böse ist. Die meisten von uns sind cool, sind lieb und haben ein gutes Herz. Wir wollen in Harmonie leben. Natürlich hinterfragt man dann gewisse sogenannte "Wahrheiten" nicht und glaubt sehr gerne an das, was in der Zeitung steht. Wiederholt man eine Lüge lang genug, wird sie irgendwann wahr.

Glaubst Du eigentlich, dass Film etwas verändern, etwas bewegen kann?

Nein. Filme, wenn sie gut sind, können die Sichtweise verändern, können Trends setzen, den Geschmack beeinflussen. Aber Film ist kein adäquates Mittel, um politische Veränderungen herbeizuführen. Da würde man vom Film, zumindest in unserer Zeit, auch viel zu viel verlangen. Denn Film soll RealitätsFLUCHT sein, soll dir helfen, aus deinem Alltag zu entfliehen. Im Kino soll man nicht über die wirkliche Welt da draußen nachdenken müssen. Wenn ein Film es schafft, zu bewegen und zu berühren, ist meine Arbeit als Schauspieler definitiv getan.

Was würde der Journalist Moritz Bleibtreu den Filmstar Moritz Bleibtreu gerne fragen?

Ach, der würde ihn gar nichts fragen! Der würde mit ihm auf ein Bier gehen. Oder einfach irgendwas schreiben, was er will! (lacht laut)


"Habe den Glauben an manche Dinge verloren"

In "Die vierte Macht" wird auch das Thema der Veränderung durch Demonstrationen angesprochen. Gibt es derzeit im deutschsprachigen Raum etwas, für das du demonstrieren gehen würdest?

Nein, da ich generell kein Typ bin, der auf Demonstrationen geht. Ich bewundere die Leute, die das machen, ich bewundere Idealismus. Ich würde niemals jemanden davon abbringen, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, im Gegenteil.

Ich persönlich mache nur das, woran ich fest glaube, habe aber den Glauben an manche Dinge verloren. Ich glaube, zumindest aktuell, nicht daran, dass man Veränderungen durch Demos herbeiführen kann. Ähnlich wie beim Wählen: Ich war noch nie in meinem Leben wählen. Früher war ich zu faul dafür, heute glaube ich nicht mehr an die parlamentarische Demokratie. Für mich ist es ein größeres Statement, NICHT wählen zu gehen. Weil ich einfach an das politische System nicht glauben kann. Was hat sich in den vergangenen Jahren geändert? Gar nichts! Traurig? Vielleicht. Aber es ist die Wahrheit.

Irgendwie wirklich traurig.

Sieh dir doch nur Obama an! Was hat er alles zum Amtseintritt versprochen! Unter anderem wolle er Guantanamo schließen. Hat er bisher noch immer nicht gemacht. Leute bringen dann das Argument, dass er erst den Mist seines Vorgängers wegräumen müsse. Aber wieso hat er es dann versprochen? Obama hat sein Versprechen gebrochen. Glaube ich ihm noch? Nein! So einfach ist das.

Interview: Manuel Simbürger


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