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"Zölibat kann Missbrauchstaten auslösen"

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Schüller: "Zölibat kann Missbrauchstaten auslösen"

01.03.2012
Pfarrer Helmut Schüller im relevant-Gespräch über Missbrauchsfälle in der Kirche, den Pflichtzölibat und Kirchenaustritte.

Er gilt als Rebell in der römisch-katholischen Kirche: Pfarrer Helmut Schüller spricht sich offen dafür aus, dass auch Frauen zur Priesterweihe zugelassen werden, kämpft gegen Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche und tritt für die Abschaffung des Zölibats ein. 1999 ging das inbesonders Kardinal Schönborn gegen den Strich, der Schüller schriftlich aus seinem Amt der Erzdiözese Wien entließ.

Schüller ist heute in der Pfarrgemeinde Probstdorf tätig und arbeitet zudem als Universitätsseelsorger der Katholischen Hochschulgemeinde Wien, Geistlicher Assistent der Katholischen Hochschuljugend Wien, Studentenseelsorger und als Geistlicher Assistent des Katholischen Akademikerverbands der Erzdiözese Wien. Seit 2007 ist er als Vorstandsvorsitzender von FairTrade Österreich tätig.


Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Wieso verliert die Kirche nach und nach ihren Stellenwert in unserer Gesellschaft?

Helmut Schüller: Den "Kirchenaustritt" gibt es praktisch nur in Deutschland und Österreich: In diesen beiden Ländern kann man sich einem vorgeschriebenen Kirchenbeitrag nur durch "Austritt" entziehen. Die Verärgerung über die Kirchenbeitragshöhe ist aber oft nur der letzte Auslöser. Die Ursachen sind oft Verärgerung über bestimmte Vorkommnisse in der Kirche. Manche geben auch in der Begründung eine langsame Entfremdung von der Kirche an. Viele betonen, dass sie aber weiterhin glauben. Manche von ihnen nehmen sogar weiterhin an Gottesdiensten teil.

Ganz allgemein sind wir aber in einer Zeit freier Entscheidung. Jahrhunderte lang fühlte man sich zur Kirchenmitgliedschaft gezwungen, weil "alle" dabei waren bzw. die Kirche auch gesellschaftlich sehr mächtig und einflussreich war. Die Kirche hat sicher zu lange damit zugewartet, sich der modernen Zeit und Gesellschaft gegenüber zu öffnen. Eigentlich erst im Zweiten Vatikanischen Konzil Anfang der 1960er-Jahre.

Die derzeitige Kirchenleitung setzt zudem Signale einer Rücknahme dieser Öffnung. Die offizielle Sprache der Kirche über den Glauben und viele kirchliche Formen sind den meisten Menschen heute unverständlich. Oft haben die Menschen auch keinen persönlichen Kontakt mehr zu jemandem von der Kirche.


"Verzicht auf Zölibat von Mehrheit gefordert"

Sie waren neun Jahre lang Leiter der Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche. In einem Interview bezeichneten Sie diese Jahre als "eine Ernüchterung bezüglich der Realität im kirchlichen Alltag". Was meinten Sie damit?

Ich hatte damals gehofft, dass sich die Kirchenleitung rascher und konsequenter zu Maßnahmen in der Vorbeugung sexueller Ausbeutung in den eigenen Reihen, aber auch im Umgang damit entschließt. Unter dem Eindruck der abermaligen Aufdeckungen und der öffentlichen Diskussionen darüber sind dann 2010 einige Leitlinien formuliert und Schritte gesetzt worden. Es muss sich aber erst weisen, wie ernst das alles gemeint ist und praktiziert werden wird.

Sie treten für die Abschaffung des Zölibats ein und sind damit einer der wenigen in der Katholischen Kirche. Wieso vertreten Sie diese Meinung? Und wieso wehrt sich die Kirche so stark gegen die Aufhebung des Zölibats?

Ein Verzicht auf die Verpflichtung der Priester zum ehelosen Leben wird von einer ganz breiten Mehrheit der Kirchenbasis und der Priester gefordert. Ich bin also keineswegs "einer der wenigen".

Ich meine, dass es zu den ganz grundlegenden Rechten jedes Menschen gehört, sich für Partnerschaft und Familie zu entscheiden - Stichwort: Menschenrechtserklärung der UNO von 1948. Das muss auch für Priester gelten. Außerdem sehe ich in einem Miteinander verheirateter und eheloser Priester einen Gewinn für den Beruf.

Übrigens gab es in der Kirchengeschichte eine lange Zeit ohne Pflichtzölibat. Und in Teilen unserer Kirche, also in der griechisch-katholischen, gibt es den verheirateten Priester sogar offiziell. Die Zurückweisung einer Abschaffung des Pflichtzölibats in der ganzen Kirche durch die Kirchenleitung beruht meines Erachtens einerseits auf einer "mönchischen" Sicht auf den Priesterberuf und andererseits auf der Scheu, in einem Bereich "nachzugeben".

Würde die Aufhebung des Zölibats die Anzahl der Missbrauchsfälle in der Kirche sinken lassen?

Soviel ich aus meiner Arbeit in der Ombudsstelle und aus der Fachliteratur über die Vorgeschichte von MissbrauchstäterInnen weiß, handelt es sich hier um schwere Störungen in der persönlichen Entwicklung, nicht selten auch Missbrauchserfahrungen an sich selbst. Der Pflichtzölibat ist also nicht Ursache von Missbrauchsveranlagung, er verschärft diese allerdings, weil die ehelose Lebensform eine reife persönliche Entwicklung voraussetzt. Insofern kann dann die zölibatäre Lebensform Missbrauchstaten auslösen.


"Transparenter Umgang mit Missbrauchsfällen"

Wie sollte Ihrer Meinung nach mit Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche umgegangen werden?

Die Menschen müssen spüren, dass die Kirche JEDEM Missbrauch vorbeugen und bereits geschehenen aufdecken WILL. Der Umgang muss daher offensiv und transparent in der Aufdeckung sein, solidarisch mit den Opfern, konsequent und therapieorientiert mit den TäterInnen.

Sie sind dafür, dass Frauen und verheiratete Männer Pfarrer werden dürfen. Wie sieht es mit Homosexuellen aus?

Aus meiner Sicht sind auch homosexuell orientierte Menschen nicht vom Priesteramt auszuschließen, wenn sie Berufung und Voraussetzungen dafür haben.


"Resignation frustrierend"

Ist das Verändern-Wollen der Kirche, noch dazu "von innen heraus", nicht (manchmal) eine frustrierende Aufgabe?

Frustrierend sind nicht die Mühe und die Rückschläge beim Verändern-Wollen, sondern die Resignation und das stille Vor-sich-hin-Leiden an den Problemen.

Wie reagieren Kollegen auf Sie? Wird Ihnen mit Vorsicht begegnet?

Selbstverständlich sind einige meiner Kollegen mit den Aktivitäten der Pfarrer-Initiative nicht einverstanden. Manche sagen mir das auch offen. Ich fühle mich aber keineswegs "gemieden" oder ausgegrenzt. Nicht wenige zeigen indirekt Sympathie.


"Menschen so nahe wie möglich sein"

Sehen Sie sich eigentich als Rebell?

Mir ist das Wort "Rebell" zu groß für das, was wir versuchen: einerseits dem Ursprungsideal Jesu und der Öffnung der Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil wieder mehr Gewicht zu verschaffen. Und andererseits für überschaubare Pfarrgemeinden an der Basis und gegen deren Zusammenlegung zu unpersönlichen "Großräumen" einzutreten. Weil es zum Wesen von Kirche und Seelsorge gehört, den Menschen so nahe wie möglich zu sein.

Haben Sie jemals, besonders nach all den Missbrauchs-Vorfällen, mit dem Gedanken gespielt, ihren "Auftraggeber" zu wechseln?

Die Kirche besteht für mich aus den vielen Menschen, die sich an der Basis für sie engagieren und von denen ich in meinen bald 35 Jahren im Priesterberuf unzählige kennen und bewundern lernen durfte. Sie sind auch eigentlich meine "Auftraggeber". Defizite und Fehlleistungen von denen, die in dieser Kirche ein Leitungsamt haben, veranlassen mich daher nicht, mir eine andere Kirche zu suchen, sondern mich in meiner Kirche für deren Veränderung einzusetzen – wiederum mit unzähligen anderen.


"Welthandel nach wie vor unfair"

Sie sind auch Vorstandsvorsitzender bei FairTrade Österreich. Inwieweit ist das FairTrade-Konzept in der österreichischen Gesellschaft bereits angekommen?

Dank der jahrzehntelangen Vorarbeit der Gründungsorganisationen von FairTrade Österreich und einer in letzter Zeit deutlich wachsenden Sensibilität bei den KonsumentInnen sind wir schon sehr weit gekommen. Das zeigen nicht zuletzt auch die ununterbrochenen Anstiege des Volumens gekaufter Produkte aus dem Fairen Handel. Aber auch die wachsende Offenheit im Lebensmittelhandel für das Anbieten dieser Produkte.

Freilich geht es letztlich darum, dass wir nicht nur als KäuferInnen "fair" einkaufen, sondern uns auch als BürgerInnen demokratisch für eine Veränderung der Weltwirtschafts – und Handelsordnung einsetzen. Fast der gesamte Welthandel läuft ja nach wie vor unfair gegenüber denen ab, die auf dem Weltmarkt schwach aufgestellt bzw. überhaupt chancenlos sind.

Interview: Manuel Simbürger

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