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Blesky: "Arbeit hat negativen Beigeschmack"

Senioconomy

relevant Redaktion

Blesky: "Arbeit hat bei uns negativen Beigeschmack"

27.02.2012
Wie kommt es, dass in Österreich die Frühpension so populär ist? Und ältere Beschäftigte und Kunden gegen Vorurteile zu kämpfen haben? Ein Gespräch mit Experte Dietmar Blesky über Fragen des Alters.

Die Diskussion über die drohende Überalterung in Österreich ist nicht neu. Wie sich diese jedoch konkret auf das gesellschaftliche Miteinander, die Arbeitswelt oder den Konsum der Menschen auswirkt, wird nur selten thematisiert, obwohl die Folgen dieser Entwicklung uns alle betreffen werden - und das eher früher als später.

Alle diese Fragen beschäftigen Alters- und Demografie-Forscher Dietmar Blesky, der in seinem Unternehmen Senioconomy Betriebe und Gemeinden dabei unterstützt, ihr Umfeld und Angebot bedürfnisgerechter für ältere Menschen zu gestalten. Dazu erfahren die Kunden anhand des Alterssimulationsanzuges GERT die körperlichen Erscheinungen des Alters am eigenen Leib.

Über Vorurteile in der Wirtschaft und Werbung gegenüber älteren Menschen und die Hürden auf dem Weg zu einer Pensionsreform in Österreich hat der Unternehmer mit relevant-Redakteurin Ute Rossbacher gesprochen.


relevant: Herr Blesky, was war die Initialzündung für Sie, Ihr Beratungsunternehmen Senioconomy ins Leben zu rufen?

Dietmar Blesky: Ich bin gelernter Betriebswirt, habe aber zuvor jahrelang in der Rehabilitation und im Gesundheitstourismus gearbeitet. Dadurch sind mir zwei Punkte klar geworden: Dass die Wirtschaft momentan noch zum Großteil die Bedürfnisse älterer KundInnen verfehlt. Und: wie sehr Realität und Wunschvorstellung auseinanderklaffen, speziell was die Erfordernisse am Arbeitsmarkt anbelangt.

Im Rahmen meines Betriebswirtschaftsstudiums habe ich mich daher auf die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Wirtschaft spezialisiert. Eines Tages habe ich dann meinen Job als Innovationsmanager an den Nagel gehängt, weil ich das Gefühl hatte: Jetzt ist es soweit.

Ihr Unternehmen besteht seit circa einem Jahr. Eine erste Zwischenbilanz: Sind die heimischen Betriebe schon entsprechend sensibilisiert für diese Thematik und bereit, Ihr Angebot anzunehmen?

Die Bereitschaft zu handeln ist so gut wie noch gar nicht gegeben. Unternehmen, die speziell, wenn es um ältere ArbeitnehmerInnen geht, handeln, sind entweder Betriebe, die extremst unter Fachkräftemangel leiden, oder Unternehmen, die es aus der Tradition heraus tun.

Letztere sind vor allem Familienbetriebe, die in ihrer Denkweise sehr langfristig orientiertes Denken pflegen. Bei denen ist das Thema ältere MitarbeiterInnen besonders stark verankert in der Unternehmenskultur. In großen Betrieben ist das kaum noch der Fall.

In unserer Gesellschaft werden ältere Menschen als Zielgruppe der Werbung offenbar noch nicht attraktiv genug empfunden, obwohl sie eine relevante Größe sind. Wie erleben Sie diese Thematik im Unterschied zu anderen Ländern oder Kulturen?

Da gibt es tatsächlich Unterschiede. Gerade in Japan oder China haben ältere Menschen in der Familienhierarchie einen hohen Stellenwert, weswegen auch die Wertschätzung innerhalb der Gesellschaft eine andere als bei uns ist.

Bei uns ist das auch deswegen anders, weil es traditionelle Familienstrukturen immer seltener gibt. Mitunter auch aufgrund des Kapitalismus, der sich mittlerweile tief in die Gesellschaft hineingegraben hat. Der Wert einer Person hängt bei uns einfach sehr stark von ihrer Leistung ab, von ihrem Beitrag zur Gesellschaft. Das heißt: Wenn man aus dem Berufsleben ausscheidet, hat man so gesehen keinen Wert im positiven Sinne mehr, sondern stellt eine Belastung dar. In unserer Wahrnehmung sind wir daher auch eher auf die negativen Prozesse des Alterns gerichtet.

Hinzu kommt, dass Personen, die Produkte entwickeln oder diese auf die Bedürfnisse von Kunden zurechtschneiden sollen, meistens zwischen 25 und 45 Jahre sind. In diesem Alter interessiert man sich für diese Fragen in der Regel kaum oder will noch nicht wahrhaben, dass man selbst eines Tages zur Gruppe der 70-Jährigen gehören wird. Man kann diesbezüglich den Produktentwicklern oder Marketingvertretern keinen Vorwurf machen – dieses Thema wird ja auch nirgendwo gelehrt!

Firmen wie Nivea oder Dove, die erkannt haben, wie man sehr gut ältere KonsumentInnen anspricht, sind da die Ausnahme. Aber die meisten Versuche von Herstellern in diese Richtung scheitern, weil zu wenig bekannt ist, wie man mit älteren Menschen umgeht.


"Arbeiten bis 75 - soweit sind wir noch nicht"

Das scheint auch in der Politik der Fall zu sein. Die, die am Tisch Konzepte für Pensionsreformen entwerfen, sind meist auch noch in einer Lebensphase, in der die Beschwernisse des Alterns fern sind. Wie wirken vor diesem Hintergrund die jüngsten Vorschläge des schwedischen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt auf Sie, das Pensionsalter auf 75 anzuheben, bzw. welche Rahmenbedingungen müssten dafür Ihrer Ansicht nach gewährleistet sein?

Wenn man selbst 40 oder 45 ist, tut man sich sicher schwer, über Belange zu sprechen, die Personen jenseits der 70 betreffen. Hinzu kommt, dass Personen in der Politik oder im öffentlichem Leben selten eine Vorstellung davon haben, was es heißt, eines Tages nicht mehr in der Öffentlichkeit zu stehen. Das heißt, für sie ist die Frage, irgendwann einmal in Pension zu gehen, so gut wie kein Thema.

Weiters gilt: Die Politik will ihre Klientel zufriedenstellen, die erforderlichen Maßnahmen sind aber zum Großteil unpopulär. Wer hört schon gerne, dass er länger arbeiten muss? In Österreich sicher niemand. Dazu möchte ich eine Personalmanagerin aus dem öffentlichen Bereich zitieren, die einen riesigen Apparat unter sich hat: "Wir in Österreich arbeiten unser ganzes Leben darauf hin, nicht mehr arbeiten zu müssen." An diesem Lebensziel rüttelt jeder, der hergeht und sagt: "Es muss sich etwas ändern." Daher hat jede Partei eine große Angst davor, zu große Schritte in Richtung einer radikalen Reform zu wagen.

Arbeiten bis 75 – meiner Meinung nach ein von Reinfeldt bewusst provokant formulierter Ansatz – soweit wird die Gesellschaft meines Erachtens nach daher noch lange nicht sein. Allerdings spricht er ein durchaus wichtiges Thema an: Die Menschen sind heute in der Lage, gesünder länger zu leben, hingegen gehen sie früher in Pension als die Menschen vor 20 Jahren. Da kann natürlich etwas nicht stimmen.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Der wirtschaftliche Erfolg von Staaten wird grob gesprochen nur anhand weniger Kriterien gemessen. Das Dumme ist, dass sich diese Werte manipulieren lassen, etwa die Arbeitslosenrate - indem ich Menschen früher in Pension schicke oder sie zu Schulungen verpflichte. Deshalb ist die angesprochene Schere – die Menschen leben länger, gehen aber früher in Pension – hausgemacht. Und diese Schere gilt es zu schließen. Es kann nicht funktionieren, wenn zwei Drittel der Bevölkerung – Nicht-Mehr-Erwerbsfähige und Noch-Nicht-Erwerbsfähige - vom verbleibenden Rest in der Mitte finanziert werden müssen.

Die sanfteste Lösung wäre meiner Meinung: das Pensionsantrittsalter zu erhöhen, und dadurch die Gruppe derer, die mitnaschen an der Arbeit der anderen, kleiner zu halten und selbst einen Beitrag leisten zu lassen.


"Pension = Gutgehen"

Warum, glauben Sie, ist diese Haltung – zu arbeiten, um es einmal nicht mehr machen zu müssen – bei uns ausgeprägter als in anderen Ländern oder Kulturen?

Auffällig ist aus meiner Sicht, dass die Gruppe der arbeitenden Menschen bei uns immer wieder als leidgeprägte dargestellt wurde; als jene also, die Gewinne für ihre Unternehmen erwirtschaftet, aber selber davon nur wenig hat. Und wer ist gern in dieser Lage? Niemand.

Arbeit an sich hat also – aus welchen Gründen immer – mit den Jahren einen sehr negativen Beigeschmack bekommen. Ich kenne Menschen, die gehen noch mit 70 Jahren arbeiten. Und von denen höre ich regelmäßig, dass ihnen Bekannte sagen: "Bist du blöd? Warum lässt du es dir nicht gutgehen?" Also: Gutgehen = Pension, nicht arbeiten; schlecht gehen = arbeiten. Solange diese beiden Pole bestehen, wird es jedoch schwierig werden, gesellschaftlich etwas zu verändern. Arbeit als Chance zu sehen, das ist nicht oder kaum in unserem Bewusstsein drinnen.

Umso bitterer ist es für Menschen, die willens sind, bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter zu arbeiten und es nicht können.

Rein betriebswirtschaftlich betrachtet gibt es Gründe, warum Unternehmer ihre Arbeitskräfte so früh als möglich in Pension schicken. In Österreich gilt das Senioritätsprinzip der Entlohnung: Je länger man arbeitet, desto mehr verdient man. Ob man die gleiche Leistung wie ein Jüngerer bringen kann oder nicht, ist egal. Das sollte überdacht werden, sagen von der OECD über die EU alle abwärts, und betonen, dass dieses Gehaltsprinzip einer der größten Hemmschuhe auf dem Weg zu Veränderungen ist.

Hinzu kommt: Unternehmen sind derzeit nicht in der Lage, ihre älteren Arbeitskräfte so einzusetzen, dass sie möglichst produktiv im Arbeitsprozess gehalten werden können. Die klassisch-österreichische Karriere ist doch: bis 40, 45 schauen, dass man es geschafft hat, und das Erreichte zu halten. Was komplett unlogisch ist, weil sich Menschen ja weiterentwickeln, sowohl persönlich als auch fachlich.

Die ArbeitnehmerInnen können für diesen Umstand großteils nichts dafür. Denn in vielen Fällen regelt der Kollektivvertrag das Anstellungsverhältnis. Dadurch genießen Beschäftigte einen besonderen Schutz, das System jedoch wird recht unflexibel, wenn es darum geht, ältere Menschen länger zu beschäftigen.


"Diese Situation hat es noch nicht gegeben"

Wie könnte die Lösung aussehen?

Es wird wahrscheinlich auf bogenförmige Karrieren hinauslaufen: Man verdient am Anfang weniger, in der Lebensmitte dafür viel, um dann wieder weniger zu bekommen. Der Durchrechnungszeitraum bleibt unverändert.

Historisch betrachtet hat es das noch nicht gegeben. Was diese Thematik angeht, sind wir gerade einmal knapp nach Null.

Interview: Ute Rossbacher


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