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Òskarsson: "Sprecht mit euren Großeltern"

Kristinn Ingvarsson

relevant Redaktion

Òskarsson: "Sprecht mit euren Großeltern"

02.02.2012
Mit seinem Roman "Bankster", der die gesellschaftlichen Folgen der isländischen Finanzkrise am Beispiel eines kinderlosen Banker-Paares aufzeigt, hat Guðmundur Óskarsson den Nerv der Zeit getroffen. Nicht nur in seiner Heimat.

Bei der vergangenen Frankfurter Buchmesse, die ganz im Zeichen von Island stand, sorgte vor allem sein Roman für Diskussionen: "Bankster" - eine Wortschöpfung, die die fließenden Grenzen zwischen Finanzgeschäften und Fahrlässigkeiten zu Lasten der Gesellschaft zum Ausdruck bringt - nennt sich der Roman des am 22. Dezember 1978 geborenen Schriftstellers Guðmundur Óskarsson, der damit sein Debüt im deutschsprachigen Raum vorlegte.

Der 33-Jährige, der aus einem Vorort von Reykjavik stammt, ließ dabei seine jahrelangen beruflichen Erfahrungen im Bankwesen einfließen. In Tagebuch-Form schildert er, wie der 30-jährige Markús im Zuge der Finanzkrise mit seinem gutdotierten Posten bei einer Bank gleichzeitig seinen Lebensinhalt verliert, der bislang vor allem aus materiellen Interessen bestand. Während seine Freundin Harpa, die dasselbe Schicksal ereilt, ganz andere Schlüsse aus ihrer neuen Situation zieht ...

Mit relevant hat der Autor über seine Geschichte, Island in und nach der Krise bzw. darüber gesprochen, welche Chancen sich dem einzelnen in unsicheren Zeiten eröffnen.


relevant: Als Ihr Roman Bankster erschien, befand sich Island gerade im Auge eines wirtschaftlichen Sturms. Ich könnte mir denken, dass die isländischen Leser und Medien daher auch besonders emotional auf Ihre Geschichte über Markús und Harpa reagiert haben, die der von so vielen in jenen Tagen ähnelte. Können Sie uns schildern, wie Sie diese Zeit als Autor erlebt haben?

Óskarsson: Ich fühlte mich der Realität entrückt, was vielleicht auch daran lag, dass ich zu jener Zeit ein junger Schriftsteller war. Ich hatte gerade erst mein zweites Buch fertiggestellt, es befand sich noch in Druck; mein erstes war erst im Jahr davor erschienen. Daher hatte ich wirklich viel zu tun und den Dingen um mich herum nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Was allem, nur nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit entsprach.

Als es dann zum eigentlichen Crash kam, und ich, der sich gegenüber den erfahreneren Autoren unbedingt beweisen wollte, aber noch tagsüber in einer Bank arbeitete und dadurch Zeuge vom Aufstieg und Fall der Egos und des Finanzsystems wurde ... da dachte ich für mich: "Das ist ein Ausnahmezustand, es ist meine Pflicht, etwas zu tun". Also fing ich an, die Ereignisse zu dokumentieren und an einem Rahmen für die Geschichte und ihre Charaktere zu arbeiten, und vergaß darüber völlig mein zweites Buch. Und innerhalb nur eines Jahres erschien dann mein drittes – Bankster.

Es war der 6. Oktober 2008, als der isländische Premierminister Geir Haarde seine außerordentliche Fernsehansprache zur Staatspleite mit den Worten "Gott rette Island" beendete. Was ging bei diesen Worten in Ihnen vor?

Meine Kollegen und ich haben sie uns während der Arbeit in der Bank am Nachmittag angesehen. Die Menschen hofften zu diesem Zeitpunkt noch auf irgendeine Art von Rettungspaket für das Finanzwesen – die Minister, Banker und anderen „Experten“ hatten sich ja das Wochenende über beraten. Aber es kam anders. Glücklicherweise bewahrten die meisten die Ruhe, andere wiederum schrieben noch E-Mails, bis sie einsahen, dass es zwecklos war.

Ich kann mich erinnern, dass jemand sagte: "Die (gemeint sind die Konservativen, Anm.) werden für mindestens ein Jahrhundert nicht mehr in der Regierung sein". Aber was weiß man schon – die regierende Partei von damals ist schon wieder die bei weitem stärkste in Island und wird wahrscheinlich nach den nächsten Wahlen im kommenden Jahr den Auftrag erhalten, die Regierung zu bilden.

Sie haben seit 2004 für die Landisbanki gearbeitet, die 2008 notverstaatlicht werden musste. Gab es aus Ihrer Sicht Vorzeichen für den Crash? Oder hatten Sie das Gefühl, die Ereignisse kommen zu sehen?

Nein, und ich glaube auch nicht, dass das merkwürdig oder beschämend ist. Wenn die Finanzunternehmen in irgendetwas ausgezeichnet sind, dann darin, eine glorreiche Zukunft zu entwerfen und diese zur Gegenwart werden zu lassen. Vielleicht sollten sie sich in diesem Bereich etwas entspannen, ohne dabei allzu pessimistisch zu werden. Am besten einfach realistisch bleiben.

In welcher Weise hat sich das Leben Ihrer Familie und Freunde seit damals verändert?

Das ist schwer zu sagen, nicht weil es so schlimm wäre, sondern, weil es die Menschen ganz unterschiedlich getroffen hat. Die Grundlage des täglichen Lebens hat sich von "sehr sicher" zu "unsicher" entwickelt, was von den Menschen verlangt, anpassungsfähig und widerstandsfähig zu sein bzw. Geduld zu bewahren. Während es bislang nur darum gegangen war, nicht vom Licht einer leuchtenden Zukunft geblendet zu werden. Viele Menschen wurden davon geblendet, und viele von ihnen vermögen es nicht, sich jetzt anzupassen.

Island hat sich von außen betrachtet sehr schnell von der Finanzkrise erholt. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für dieses Phänomen?

Das Phänomen der isländischen Erholung ist zwar nicht weniger fragil als es das isländische Wirtschaftswunder war. Aber natürlich ist die Größe eines Landes entscheidend, wenn es wieder auf die Beine kommen soll!

Dem Rest von Europa scheint noch bevor zu stehen, was Island hinter sich hat. Mit Ihren Erfahrungen im Hinterkopf: In welcher Weise kann die Finanzkrise auch eine Chance sein?

Mein Rat, den ich allen gebe, die eine harte Zeit durchmachen, ist immer derselbe: Sprecht mit eurem Großvater oder eurer Großmutter, sie können diese Erfahrung vermutlich einordnen. Es ist, finde ich, eine Gelegenheit für Europa, ihre Großeltern-Generation besser kennenzulernen – worauf ich auch hoffe. Denn turbulente Zeiten wie diese werden erst zu wirklich schrecklichen, wenn man die Vergangenheit ignoriert und auf die falschen Leute hört.

Einer der persönlichsten Momente in Ihrem Roman Bankster ist jener, als Harpa ihre Entscheidung bedauert, einst wegen Geld und Karriere das Kind abgetrieben zu haben, das sie mit Markús hätte haben können. Ist Familie Ihrer Meinung nach der beste Schutz in wirtschaftlich schwierigen Zeiten?

Absolut. Ich kannte Leute, die ihre Schwangerschaften unterbrachen, nur weil der Zeitpunkt ihrer Meinung nach nicht passte oder sie anderes zu tun hatten. Diese Paare lebten alle auf eine ferne Zukunft hin, von der sie dachten, sie gehöre ihnen. Aber so kam es nicht, konnte es auch nicht kommen - die Zukunft existiert nicht.

Aber um bei Ihrer Frage zu bleiben: Ich denke, ganz besonders schwierige Zeiten sind gute Zeiten für erfüllende Beziehungen. Und zwar alle Arten entspannender Beziehungen – angefangen bei großen fröhlichen Abendrunden bis hin zu intimeren, deren Größe keine Rolle spielt.

Interview: Ute Rossbacher


Buchtipp

Guðmundur Óskarsson (Übersetzung: Anika Lüders) Bankster - erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt


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