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"Kinder dürfen nicht auf der Strecke bleiben"

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Lerncafé-Koordinatorin: "Kinder dürfen nicht auf der Strecke bleiben"

31.01.2012
Die Lerncafés verstehen sich als Betreuungsangebot für Kinder, die mit den schulischen Anforderungen nicht mehr alleine zurechtkommen. Ein Gespräch über Aufgabe, Ziel und Anliegen dieser Einrichtung mit Caritas-Projekt-Koordinatorin Barbara Peichl.

In den 15 Lerncafés der Caritas, die seit 2007 in Österreich eröffnet wurden, werden derzeit 400 Kinder betreut. Seit 2011 wird dieses Projekt von Barbara Peichl koordiniert. Im Gespräch mit relevant spricht sie über die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate, die Zusammenarbeit mit den Familien und die täglichen Herausforderungen für die Mitarbeiter.


relevant: Frau Peichl, welche Grundidee steckt hinter den Lerncafés?

Peichl: Die Lerncafés richten sich an Kinder, die – sei es mit oder ohne Migrationshintergrund – die Aufgaben, die ihnen in der Schule gestellt werden, alleine nicht bewältigen können. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Eltern sind beruflich eingedeckt, haben ein niedriges Bildungsniveau und/oder verfügen über keine ausreichenden Deutschkenntnisse. Oder die Wohnraumsituation ist so beengt, dass die Kinder daheim nicht in Ruhe lernen können.

Vor diesem Hintergrund hat die Caritas eine kostenlose Lern- und Nachmittagsbetreuung ins Leben gerufen. In den sogenannten Lerncafés erhalten die Kinder gezielte Unterstützung bei den Hausaufgaben und werden auf Schularbeiten und Tests vorbereitet. Den MitarbeiterInnen und freiwilligen HelferInnen geht es auch darum, den Kindern Freude am Lernen zu vermitteln, ihre Deutschkenntnisse zu stärken und mit ihnen die Freizeit zu gestalten. Zusätzlich erhalten die Mädchen und Jungen eine gesunde Jause, denn sie sollen auch für das Thema ausgewogene Ernährung sensibilisiert werden. Ebenfalls wichtig ist für uns bei alldem auch der Kontakt zu den Eltern.

Lässt sich in Zahlen ausdrücken, in welchem Ausmaß die Lerncafés von den angesprochenen Gruppen genutzt werden?

Das Verhältnis von Kindern mit Migrationshintergrund zu jenen ohne ist von Lerncafé zu Lerncafé unterschiedlich. Das geht bis zu einer 50:50-Verteilung.

Stehen Sie auch mit den Schulen in direktem Austausch?

Ja, damit die an den Lerncafés teilnehmenden Kinder auch entsprechend unterstützt werden können. Vor allem in der Aufbauphase ist uns die Vernetzung mit den Schulen besonders wichtig, aber auch zu den Behörden bzw. übrigen Betreuungsangeboten, die es in der Nähe des jeweiligen Standorts gibt. Alle sollen darüber informiert werden, was das Lerncafé genau ist, denn dieses versteht sich als ergänzendes Angebot, nicht als Konkurrenz.


"Ziel: der Pflichtschulabschluss"

Die Lerncafes richten sich an Kinder von sechs bis 16 Jahren. Wie kam es dazu, das Angebot auf diese Altersgruppe einzugrenzen?

Weil es vor allem in der Pflichtschulzeit entscheidend ist, dass die Kinder den Aufstieg in die nächste Schulstufe bzw. den Schulabschluss schaffen. Nur so haben sie für ihre Zukunft die besten Karten. Im Lerncafé gibt es dementsprechend mehrere Lerngruppen, die sich an Kinder der Volks- oder Hauptschule richten.

Wie sieht es mit Angeboten für Kinder ab 16 Jahren aus?

Die Caritas Steiermark hat das Konzept der Lernbar entwickelt und kooperiert dabei mit dem steirischen Dachverband für offene Jugendarbeit. In den Jugendzentren erhalten Jugendliche - mit und ohne Migrationshintergrund - gezielte fächerspezifische Unterstützung bei schulischen Anliegen. Das Lerncafé am Hebbelplatz in Wien etwa richtet sich auch an die Altersgruppe ab 16 Jahren.

Wie werden die Lerncafés von Kindern und Eltern angenommen?

Es wird von ihnen sehr begrüßt, nicht zuletzt, weil es beide Seiten entlastet.


Großer Beratungsbedarf

Gibt es auch spezielle Wünsche oder Fragen, mit denen sich Eltern an die Caritas wenden?

Ja, und ihre Anliegen sind vielfältig. Besonders groß ist etwa der Beratungsbedarf. Die MitarbeiterInnen nehmen dabei oft eine Vermittlungsfunktion zu sozialen Beratungsstellen ein. Etwa, wenn sich die Eltern in Trennung befinden, da das eine Stresssituation für alle Beteiligten ist. Auch in Fällen von Legasthenie vermitteln wir Ratsuchende weiter. Geht es um Fragen rund um die Pubertät, wenden sich die Eltern ebenfalls an uns. Bei Elternabenden haben sie außerdem die Möglichkeit, über ihre Kinder zu sprechen. Oder sie können sich über bestimmte Themen wie z.B. die Auswirkungen exzessiven Medienkonsums auf Kinder informieren.

Wie kommen die Informationen über die Lerncafés eigentlich an die Eltern und Kinder?

In der Aufbauphase der Lerncafés wurde mit den Schulen und allen anderen Institutionen Kontakt aufgenommen. Die Eltern werden teilweise von den Schulen auf das Angebot hingewiesen, gleichzeitig gab und gibt es Werbekampagnen. Die Mundpropaganda tut ihr übriges.


"Kinder mit unterschiedlichen Bedürfnissen"

Welche Ausbildung haben die MitarbeiterInnen und Ehrenamtlichen, die in den Lerncafés tätig sind, bzw. wie wurden sie auf diese Aufgabe vorbereitet?

Die hauptberuflichen MitarbeiterInnen sind alle professionell ausgebildet und haben z.B. eine sozialpädagogische oder pädagogische Grundausbildung. Für die freiwillige Mitarbeit im Lerncafé melden sich vor allem pensionierte LehrerInnen, aber auch LehrerInnen in Ausbildung, StudentInnen oder ältere Jugendliche. Es ist erfreulich zu sehen, dass sich so viele Menschen freiwillig für dieses Projekt der Caritas zur Verfügung stellen. In Wien beispielsweise gibt es etwa ein Pool von ca. 50 Freiwilligen, die in den beiden Lerncafés tätig sind.

Tauschen sich die Mitarbeiter der Lerncafés auch untereinander aus?

Ja, es gibt sogenannte Vernetzungstreffen, bei denen sich die MitarbeiterInnen über ihre täglichen Erlebnisse und die jeweiligen Entwicklungen austauschen. Sinn und Zweck ist, voneinander zu lernen, die Idee des Lerncafés gemeinsam weiterzuentwickeln und von den Erfahrungen der unterschiedlichen Standorte zu lernen.

Mit welchen Herausforderungen sind die BetreuerInnen im Alltag konfrontiert?

Die Herausforderungen sind vor allem fachlicher Natur, weil die Kinder je nach Alter- und Entwicklungsstand unterschiedliche Bedürfnisse haben. Manchmal kommen auch Kinder in die Lerncafés, die so große Defizite haben, dass sie einer 1:1-Betreuung bedürfen und nicht gleich an in der Lerngruppe teilnehmen können. Wir versuchen in diesen Fällen, die Kinder soweit zu unterstützen, dass sie in die Lerngruppe integriert werden und sich eigenständig ihren Aufgaben widmen können.

Natürlich ist es auch nicht immer ganz leicht, mit den Eltern einen regelmäßigen Kontakt zu halten. Das ist aber besonders wichtig, schließlich sind die Eltern die ersten ExpertInnen für ihre Kinder. Der Grundstein dafür ist das Aufnahmegespräch bei der Anmeldung.

Stichwort Anmeldung: Gibt es Teilnehmer-Obergrenzen in den einzelnen Lerncafés?

Ja, das ist nötig, um die Qualität der Kinderbetreuung auch gewährleisten zu können. In manchen Lerncafés gibt es bereits Wartelisten. Deshalb gibt es bereits Erweiterungsbedarf, da die Nachfrage nach diesem Angebot sehr groß ist.


"Weitere Lerncafés geplant"

In welchen Bundesländern oder Regionen werden die Lerncafés besonders gut aufgenommen?

Prinzipiell in allen Bundesländern. Wir hoffen, noch weitere Lerncafés errichten zu können, denn es gibt noch zahlreiche Orte in Österreich mit Kindern, die Unterstützung benötigen.

Wie sieht es konkret mit Expansionsplänen für 2012 aus?

Einerseits sind wir sehr interessiert daran, weitere Sponsoren und Unterstützer zu finden, um weitere Lerncafés ins Leben zu rufen, wo Kinder sie brauchen. Andererseits bestehen die nächsten Schritte darin, die Qualität der Betreuung für alle Lerncafés sicherzustellen. Entscheidend dafür ist es auch, die Elternarbeit zu intensivieren, die Vernetzung und Kooperation mit Partnern voranzutreiben und die haupt- und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen kontinuierlich entsprechend weiterzubilden.

Inwieweit fühlen Sie sich bei Ihrem Vorhaben politisch unterstützt, die Lerncafés in möglichst viele Regionen zu bringen?

Die Lerncafés werden von der öffentlichen Hand, nun auch mit Mitteln vom Integrationsstaatssekretariat, und der Privatwirtschaft unterstützt. Diese Unterstützung ermöglichte es uns, das Angebot auf alle neun Bundesländer auszudehnen.


"Wir brauchen eine umfassende Schulreform"

Welche persönlichen Wünsche haben Sie für die Zukunft der Lerncafés?

Solange sich am Bildungssystem nichts ändert, wünsche ich mir, dass so viele Kinder wie möglich durch die Lerncafés bessere Chancen für die Zukunft haben. Das heimische Schulsystem in seiner jetzigen Form ist nicht dazu geeignet, benachteiligte Kinder zu fördern. Die Lerncafés sind - wie auch viele andere Caritas-Projekte – eine konkrete Antwort auf soziale Ungerechtigkeit.

Denn Fakt ist, dass sich viele Eltern Nachhilfestunden nicht leisten können, die Leistbarkeit der Nachhilfestunden jedoch eine frühe soziale Selektion im Bildungswesen verstärkt. Immerhin sind in Österreich etwa 8,7 Prozent der Schüler SchulabbrecherInnen. Und ein besonders hohes Risiko für einen frühzeitigen Schulabbruch besteht nun einmal bei MigrantInnen und Kindern, deren Eltern selber kein hohes Bildungsniveau haben. Wir brauchen daher eine umfassende Schulreform, damit gerade diese Kinder nicht auf der Strecke bleiben.

Interview: Ute Rossbacher


Lerncafés in Österreich

Wien
Favoriten (2 Lerncafés)
Korneuburg (in Planung)
Mistelbach (in Planung)

Niederösterreich
Amstetten
St. Pölten (Eröffnung im Frühjahr 2012)

Burgenland
Eisenstadt

Oberösterreich
Wels-Land
Wels Stadt (in Planung)

Salzburg
Salzburg Stadt
Zell am See (in Planung)

Tirol
Imst

Vorarlberg
Dornbirn

Steiermark
Graz-Gries
Graz-Lend
Leoben
Knittelfeld
Eggenberg

Kärnten
Wolfsberg
Klagenfurt


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