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USA 2012: Wahlkampf im Zeichen der Armut

Michael Reynolds/EPA/picturedesk.com

relevant Redaktion

US-Wahlkampf im Zeichen der Armut

03.09.2012
46 Millionen Amerikaner leben in Armut. Die das Straßenbild vieler Gemeinden zunehmend prägt. In dieser Lage entdeckt Barack Obama seine Klientel wieder.

In den Mittelpunkt seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation hat Barack Obama - auch mit Blick auf die bevorstehende Präsidentschaftswahl im November - die von Abstieg bedrohte Mittelklasse und die sozial Geschwächten gerückt.

Diese machen eine rasant wachsende Gruppe in den USA aus. Allein 46 Millionen leben in Armut. Fast jedes vierte Kind wächst laut Angaben des Independent Florida Alligator mittellos auf. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund neun Prozent. Für ein Land, das kaum soziale Vorkehrungen für breite Langzeitsarbeitslosigkeit eingepreist hat, fatal. Eine alarmierende Studie hat dazu Chris McGreal von The Guardian zur Hand: "Noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1948 war die Zahl der Langzeitarbeitslosen so groß wie heute."

Die Zeichen der Zeit spiegeln sich auch im Erscheinungsbild der zu einem radikalen Sparkurs gezwungenen Regionen wider, zeigt Janko Tietz von Der Spiegel am Beispiel Kalifornien auf, das von Arbeitslosigkeit und sozialen Kürzungen besonders stark betroffen ist: "Der Niedergang ist überall sichtbar. Highways verkommen, Häuser verfallen, selbst in vergleichsweise reichen Metropolen wie San Francisco prägen Obdachlose das Straßenbild."

Einer von ihnen, der eine Baracke am Stadtrand bewohnt, will Udo Lielischkies von der ARD Tagesschau deutlich machen, dass Obdachlosigkeit derzeit jeden in Amerika treffen kann - und viele trifft: "Wir haben hier eine Krankenschwester, einen Juristen, einen Polizisten, einen Feuerwehrmann. Ja, harte Zeiten."


Wachsende Kluft zwischen Politik und Bürgern

Ob sie sich vom Weißen Haus noch ausreichend repräsentiert fühlen, ist fraglich. Denn Recherchen des ARD-Journalisten zufolge sitzen im Kongress 250 Millionäre. Von deren Steuergesetzgebung vor allem die 400 Milliardäre des Landes profitieren.

In welchem Ausmaß, zeigt das Beispiel des republikanischen Politikers Mitt Romney, der den amtierenden US-Präsidenten herausfordert. "Nicht jeder findet es in einem Jahr, in dem soziale Gerechtigkeit und Einkommensverteilung das politische Vokabular der amerikanischen Alltagswelt erreicht haben, auf Anhieb plausibel und 'gerecht', dass für den Multimillionär nur ein Steuersatz von 15 Prozent gelten soll", bringt Klaus-Dieter Frankenberger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die allgemeine Stimmung zum Ausdruck.

Jannis Brühl von der Süddeutschen Zeitung setzt die Zahlen in Relation: "2010 verdiente er (Romney, Anm.) 21,7 Millionen Dollar, etwa drei Millionen führte er als Steuern ab."

Wobei Ansgar Graw von Die Welt betont: "Es geht den Amerikanern nicht um Einkommensgleichheit. Aber Chancengerechtigkeit will die Mehrheit durchaus."

Vor allem für diese jedoch stehen die Karten schlecht, gibt sich Bob Burnett von der Huffington Post gedämpft: "Die bestimmenden politischen Themen werden im Jahr 2012 Arbeitsplätze und Einkommensungleichheit sein. Jüngste Studien belegen, dass wir noch soziale Mobilität auf die Liste setzen sollten." Denn die Wahrscheinlichkeit, aus armen Verhältnissen in die Mittelklasse aufzusteigen, ist im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten geringer denn je.

Kein Wunder, zeigt sich Greg Kaufmann von The Nation aufgebracht: "Der Mindestlohn wurde in den vergangenen 30 Jahren nur drei Mal angehoben." Konnte in den 60er-Jahren eine Familie von einem Einkommen noch verhältnismäßig gut leben und ihre Rechnungen begleichen, ist es heute kaum noch möglich, ohne enorme Kredite zu Eigentum und Bildung zu gelangen.

Der Journalist Michael Carey von der Anchorage Daily News kann vor diesem Hintergrund die zunehmende Bitterkeit seiner Landsleute nachvollziehen: "Die Amerikaner von heute wissen, dass in ihrem Land etwas grundlegend falsch läuft."

Nicht besser dran ist, wer in den vergangenen zehn Jahren seiner Heimat als Soldat/in im Irak oder in Afghanistan gedient hat. Im Gegenteil, gibt Bernard Shusman von Voice of America zu bedenken: "Rund 12 Prozent der Kriegsveteranen sind arbeitslos." Viele von ihnen bleiben es auch - aufgrund kriegsbedingter psychischer Probleme oder Invalidität.


Es trifft auch Banker

Die Genugtuung, dass die Einschränkungen, die die US-Regierung den Investmentbanken infolge der Finanzkrise auferlegt hat, langsam greifen, hält sich daher auch in Grenzen. Im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen geht es Bankern noch immer verhältnismäßig gut, wenn die fetten Jahre auch vorüber sein dürften. Nur eine von mehreren Konsequenzen nennt die dpa: "Ein guter Teil der Boni wird nicht mehr bar ausgezahlt, sondern in Aktien, die die Mitarbeiter erst in einigen Jahren versilbern dürfen." Um "ungezügeltes Zocken", wie es die Agentur nennt, zu verhindern.

Gerade auch, weil der Staat hier seine Handlungsmacht unter Beweis gestellt hat, will der anerkannte Ökonom Kenneth Rogoff ihn auch nicht ohne weiteres aus der Verantwortung entlassen. Gegenüber Die Zeit betont er: "Wir haben ein System, in dem privater Konsum massiv zulasten der Staatsausgaben bevorzugt wird. Dabei ist die Infrastruktur so marode, dass es für den Staat einfach wäre, Projekte zu finden, mit denen er die Lebensqualität der Menschen verbessern könnte."

Das erkennen auch immer mehr Großunternehmer, die in einer gemeinsamen Erklärung die US-Regierung öffentlich aufgefordert haben, höher besteuert zu werden.


Niederlage der Politik gegen Armut?

Ob es dazu kommt, wird wesentlich davon abhängen, ob es Obama mit seinem Versprechen, mehr für die breite Bevölkerung zu tun, ernst meint und sich die Republikaner, die mehrheitlich nicht an den niedrigen Steuersätzen für Vermögende rütteln wollen, bewegen. Sie halten, ist Greg Kaufmann (The Nation) überzeugt, im Grunde an der Überzeugung des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan fest, der einst sagte: "Wir haben gegen die Armut gekämpft, aber sie hat gesiegt."

Womit sich der Autor nicht mehr länger zufrieden geben will und damit vermutlich nicht alleine ist: "Das würde bedeuten, dass wir uns dafür entschieden haben, einen verheerenden Zustand hinzunehmen."

Ute Rossbacher


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