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Ratingagentur: altes Spiel mit neuen Regeln

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relevant Redaktion

Ratingagenturen: altes Spiel mit neuen Regeln

04.12.2012
Die jüngsten Berichte von Amerikas Ratingagenturen gleichen einem Schlag ins Kontor Europas. Und nähren die Zweifel - nicht nur an der Zukunft der Eurozone.

 Das Spiel ist bekannt: Wenige Stunden bevor ein krisengeschütteltes Euro-Mitglied ein Reformpaket auf den Weg bringen will oder ein EU-Krisengipfel ansteht, kommt die Herabstufung durch eine der drei großen amerikanischen Ratingagenturen Moody's, Fitch oder Standard & Poor's (S&P), die die Kreditwürdigkeit (Bonität) von Staaten und Unternehmen bewerten.

Dass die großen Drei dabei nicht immer richtig liegen, bewiesen sie gleichermaßen eindrucksvoll wie abschreckend, als sie vor wenigen Jahren "faule" amerikanische Wertpapiere mit Bestnoten bewerteten und dadurch die Finanzkrise an Fahrt gewann.

 

Eurozone unter Druck

Erst zu Beginn dieses Jahres ließen die Ratingagenturen ihre Muskeln gegenüber der EU spielen. Standard & Poor's (S&P) setzte insgesamt neun Euro-Staaten (Spanien, Portugal, Zypern, Österreich, Frankreich, Italien, Malta, Slowakei und Slowenien) und Europas vorläufigen Rettungsschirm EFSF herab. Österreich kostete diese Maßnahme die Bestnote AAA.

Vor wenigen Tagen zog auch Moody's nach und senkte den Ausblick für Frankreich. Das ist insofern von Bedeutung, als das Land nach Deutschland die größte finanzielle Stütze für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist. Letzterer wurde am Wochenende übrigens ebenfalls heruntergestuft - Ausblick: negativ.

An die offizielle Begründung - von S&P etwa - für derlei weitreichende Beurteilungen kann sich Reinhard Göweil von der Wiener Zeitung gut erinnern: "Die Euro-Reformen, getragen von Einsparungen, würden den Konsum schmälern und Job-Ängste schüren."

Einem zusehends ärmeren Süden steht S&P demzufolge ein stabiler Norden mit Deutschland an der Spitze gegenüber. Für letztere Fluch und Segen gleichzeitig, wie auch Günther Nonnenmacher von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einbekennt: "Immer stärker kommt Deutschland in die Position eines Rettungsankers für die gesamte Veranstaltung (was seine Kräfte übersteigt)."

 

EU setzt sich zur Wehr

Verbieten kann die EU den Ratingagenturen derlei öffentliche Einschätzungen nicht, aber die Regeln dafür kann sie vorgeben. Und das tut sie jetzt auch.

Künftig dürfen die Ratingagenturen ihre Beurteilungen nur zu vereinbarten Terminen verkünden und rechzeitig, bevor Europas Börsen öffnen. Dabei müssen die großen Drei ihre Urteile genauer begründen als bisher, im Falle von falschen Bewertungen können sie überdies haftbar gemacht werden.

Hannes Koch von die taz wünscht sich jedoch neben fundierten Bewertungen vor allem eines - eine andere Art Agentur, etwa nach dem Vorbild Stiftung Warentest: "Die Stiftung ist unabhängig und finanziert ihre Test aus eigenem und öffentlichem Geld."

Das Problem dabei, erwidert Sebastian Ertinger vom Handelsblatt: "Von der Dominanz der drei großen Bonitätswächter S&P, Moody’s und Fitch können sich Unternehmen wie Staaten auf absehbare Zeit nicht lösen. Es fehlen schlicht die Alternativen."

Aber zumindest Ansätze, diese zu schaffen, gibt es, wie auch der Autor weiß. So arbeitet seinen Angaben zufolge die Bertelsmann Stiftung an einer unabhängigen europäischen Ratingagentur namens Incra, die nicht gewinn-orientiert zu Werke gehen soll.

Dass die Nachfrage danach nicht nur auf Seiten der europäischen Regierungen groß ist, verdeutlicht die Entscheidung einiger Großunternehmen, die den amerikanischen Ratingagenturen die Zusammenarbeit aufgekündigt haben.

Warum diese Signale nicht ausreichen, führt Brigitte Scholtes von ZDF ins Feld: "Immer noch sind bestimmte Investoren daran gebunden, nur in solche Wertpapiere zu investieren, deren Ausfallrisiko gering ist oder die eine bestimmte Bonitätsnote nicht unterschreiten."

 

Tabubruch der Ratingagenturen?

Was nicht bedeuten soll, dass die Eurozone besser ausgestiegen wäre, hätte sie eine europäische Ratingagentur bewertet, wendet die Financial Times Deutschland ein: "Frankreich ist tatsächlich kein Topschuldner mehr. Österreich droht bei einer Ungarn-Pleite Ungemach. Und selbst Deutschland läuft Gefahr, durch zusätzliche Belastungen bei der Euro-Rettung seine Bestnote zu verlieren."

An diesen Tatsachen käme auch eine europäische Ratingagentur nicht vorbei, gibt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, Simone von Stosch von der ARD Tagesschau zu verstehen - und mehr als das: "Wenn von europäischer Seite eine eigene Agentur installiert wird, die Gefälligkeitsratings abgibt, dann hat das absolut keinen Sinn."

Der Tabubruch der US-Ratingagenturen aus Sicht von Cerstin Gammelin von der Süddeutschen Zeitung ist jedoch ohnehin ein anderer: Erstmalig hätten jene versucht, politischen Einfluss auszuüben. Zu viel aus Sicht der Autorin, wenn am Ende das Ergebnis wie folgt aussieht: "Wer Italien oder Spanien Geld leiht, geht nach ihrer Ansicht das gleiche Risiko ein, als würde er sein Geld nach Indien, Kolumbien oder auf die Bahamas schicken. Das ist absurd, das ist lächerlich."

Fraglich ist vor diesem Hintergrund, wie weit die Eurozone unter diesen Gegebenheiten überhaupt noch eine Zukunft haben kann. Der amerikanische Finanz-Experte William Rhodes ist im Gespräch mit Angela Hennersdorf von der WirtschaftsWoche sicher: "Die Euro-Zone wird ohne Zweifel überleben – ob allerdings alle 17 Länder künftig noch Mitglied sein werden, dafür will ich meine Hand nicht ins Feuer legen."

Das umso mehr, als Griechenland laut Einschätzungen etlicher Ökonomen vor der sicheren Staatspleite steht.

Der Fluch der Zinsen

Woher das Geld für die Bewältigung der Eurokrise nehmen, fragen sich da Kommentatoren wie Experten. Eine Situation, die - geht es nach Harald Schumann (Der Tagesspiegel) - nach mutigen Gedankenspielen verlangt: "Allein drei Millionen Europäer, die jenseits ihrer Immobilien und sonstigen Werte eine Million Euro flüssig haben, verfügen über doppelt so viel Kapital wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien zusammen an Schulden haben."

Denkt der Autor laut. Immerhin. Wenn auch nicht anzunehmen ist, dass sich die betreffenden Personen für die Lösung erwärmen werden, die ihm vorschwebt.

 

Das AAA-Team

So wird der Club der bestbewerteten Euro-Staaten immer überschaubarer: Nur noch vier - Finnland, Niederlande, Deutschland und Luxemburg. Damit die anderen Staaten bald wieder aufschließen, sollen die Reformen und Sparpakete noch rascher auf den Weg gebracht werden.

Gleichzeitig versucht sich die EU aus dem Würgegriff der Ratingagenturen zu lösen und präsentiert das neue gesetzliche Regelwerk als Erfolg. Mit Blick auf die Freiheiten der Banken dämpft András Szigetvari von Der Standard den ersten Jubel: "Erst Anfang der (vergangenen, Anm.) Woche wurde bekannt, dass die Einführung der strengeren Regeln für Banken (Basel III) verschoben wird."

Ute Rossbacher

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