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Röth: "Hören und Lesen gehen Hand in Hand"

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"Hören und Lesen gehen Hand in Hand"

05.12.2011
Monika Röth, Geschäftsführerin von Audiamo - Wiens einziger Hörbuchhandlung - über Trends, das gesprochene Wort und Leseförderung.

Hörbücher liegen seit Jahren voll im Trend und haben sich einen festen Platz in der Medienwelt erarbeitet. Trotzdem sind die Hörbuch-Abteilungen vieler Großmärkte immer noch - sagen wir einmal - bescheiden.

Abhilfe leistet hier "Audiamo", Wiens erster und bislang einziger Hörbuch-Shop. Hier finden sich hier mehr als 11.000 Hörbücher verschiedenster Art, verteilt auf 113 m², die das Fanherz höher schlagen lassen.

Gegründet wurde Audiamo von Monika Röth und ihrem Lebensgefährten Günter Rubik. Röth ist sehbehindert. Mit Audiamo hat sie sich einen Herzenswunsch erfüllt: ihre Leidenschaft für Hörbücher und ihr enormes Wissen darüber mit anderen zu teilen.


Frau Röth, wie ist die Idee zu Audiamo entstanden?

Monika Röth: Mein Lebensgefährte und ich haben Audiamo 2007 gemeinsam ins Leben gerufen. Wir fanden es schade, dass es kein Geschäft gibt, das sich ausschließlich auf Hörbücher spezialisiert und sich des gesprochenen Wortes annimmt. In Tokio zum Beispiel gibt es so etwas bereits seit 15 Jahren, auch London hat den Trend bereits vor Jahren aufgenommen. Dort habe ich mich auch in Hörbücher verliebt. Es ist wunderschön, sich durch tausende von Hörbüchern wühlen zu können.

Wo haben Hörbücher ihren Ursprung?

Vor allem im blinden und sehbehinderten Bereich. Es ist bereits weltweit seit Jahrzehnten üblich, dass Blindenverbände Bücher einsprechen und diese dann Blinden zur Verfügung stellen. Der Kommerz hat diese Idee aufgegriffen und der breiten Masse zugänglich gemacht. Auch Radiostationen spielen hier natürlich eine große Rolle. Ich kann mich beispielsweise an Krimi-Hörspiele auf Ö1 erinnern. (lacht)

Wecken Hörbücher nicht auch die Sehnsucht nach dem Vorlesen in der Kindheit?

Auf jeden Fall. Was gibt es Schöneres, als bei einer vorgelesenen Geschichte einzuschlafen bzw. sich in eine fremde Welt entführen zu lassen?

Kann man Kinder-Kassetten wie "Bibi Blocksberg" oder "Benjamin Blümchen", die Ende der 1980er- und in den 1990er- Jahren populär waren, als Vorreiter des Hörbuchs bezeichnen?

Auf jeden Fall. Es sind vor allem jene Menschen, die mit diesen Kassetten aufgewachsen sind, die heute Hörbücher hören.


"Harry Potter startete Hörbuch-Trend"

Wieso sind gerade jetzt Hörbücher so beliebt?

Der kommerzielle Trend hat streng genommen bereits 2001 mit "Harry Potter" begonnen. Rufus Beck hat die Potter-Bücher gelesen und dem Hörbuch den Durchbruch verschafft. "Harry Potter" hat also nicht nur das Lesen, sondern auch Hörbücher wieder cool gemacht. Zur selben Zeit stellte die Leipziger Buchmesse zum ersten Mal einen eigenen Hörbuchbereich zur Verfügung. Heute ist dieser Bereich so beliebt, dass er rund 40.000m² umfasst.

Welche verschiedenen Arten von Hörbüchern gibt es?

Es gibt eigentlich alles. Lesungen, Live-Mitschnitte, Hörspiele (diese sind wie Kino ohne Bilder), etc. Auch die Genres sind vielfältig: Von Krimi über Fantasy, Märchen, Sachbücher, Liebesromane bis hin zu Comedy, historischen Romanen, Horror, SciFi oder sogar Reisehörbüchern ist alles vertreten. Auch zum Sprachen-Erlernen werden Hörbücher herausgebracht.

Was kann man sich unter Reisehörbüchern vorstellen?

Es wird die Stadt oder das Land genau beschrieben. Es wird mit O-Tönen, Interviews, Live-Mitschnitten oder Geräuschen vom Sonntagsmarkt oder vielen anderen nationalen Besonderheiten gearbeitet. Das Flair der Stadt oder des Landes wird besser vermittelt als mit trockenen Reisebüchern.

Was ist der aktuelle Trend bei Hörbüchern?

Wie überall: Vampire! (lacht) Der Trend hat mit "Twilight" begonnen, viele andere Verlage sind auf den Zug aufgesprungen. Es ist mittlerweile schon etwas zu viel.


"Follets 'Säulen der Erde' tat Kürzung gut"

Woher kommt Ihre persönliche Leidenschaft für Hörbücher?

Ich bin sehbehindert, sehe fast nichts mehr. Ich bin seit meiner Kindheit bereits mit dem gesprochenen Wort aufgewachsen, da auch meine Mutter blind ist. Hörbücher waren und sind hier natürlich ein Segen.

Ich nehme an, Sie sind sensibilisierter für das gesprochene Wort als sehende Menschen. Was empfinden Sie bei Hörbüchern als besonders unangenehm?

Ich mag es nicht, wenn Nebengeräuche wie Schmatzen oder Schnaufer zu hören sind. Auch Editing-Fehler sind sehr ärgerlich. Gott sei Dank kommt so etwas heute nur noch äußerst selten vor. Solche Hörspiele nehmen wir auch nicht in das Audiamo-Sortiment auf. Von der Art der Hörbücher mag ich Lesungen am liebsten – und zwar in ungekürzter Fassung!

An Hörbüchern werden die oftmals vorgenommenen Kürzungen kritisiert ...

Das stimmt, es gibt aber einige Verlage, die sich auf ungekürzte Fassungen spezialisieren. Ich kann es verstehen, wenn Leute lieber gekürzte Fassungen des Romans als Hörbuch-Variante wollen. Manche Autoren schreiben doch recht weitläufig, um es freundlich auszudrücken. (lacht)

Kennen Sie Fälle, in denen das Hörbuch in gekürzter Fassung besser ankam als das Buch selbst?

Natürlich. Ken Folletts "Säulen der Erde" zum Beispiel. Einige Leser, die sowohl Buch als auch Hörbuch kennen, meinten, dass die Kürzung der Geschichte sehr gut getan hat.


"Stimmen sind ausschlaggebend"

Was macht Ihrer Meinung ein gutes Hörbuch aus?

Ein guter Text und eine dazu passende Stimme. Ein schlechtes Beispiel ist das Hörbuch von "Vom Winde verweht", das von einem Mann gelesen wurde. Das ist sehr irritierend, da man sich aufgrund der starken Hauptfigur Scarlett O'Hara eindeutig eine Frauenstimme erwarten würde.

Das Entscheidende für Käufer ist nicht nur der Text, sondern auch die Stimme. Ein Text kann noch so gut sein – passt die Stimme nicht, ist das Ergebnis trotzdem schlecht. Welche Stimmen einem gefallen, ist natürlich höchst individuell.

Welche Erzähl- bzw. Synchronstimmen haben Sie persönlich besonders gern?

Christian Brückner (Synchronstimme von Robert De Niro), Andreas Fröhlich (John Cusack und Gollum aus "Herr der Ringe"), Regina Lemnitz (Whoopi Goldberg) und Franziska Pigulla (Dana Scully aus "Akte X"). Auch Irina "Carrie Bradshaw" von Bentheim mag ich sehr gerne. Irina kenne ich persönlich und ich finde, sie macht ihre Sache perfekt. Sie hat eine tolle Stimme, wenn es um erotische Erzählungen geht.

Gehen Sie auch ins Kino oder verfolgen Sie TV-Serien?

Natürlich. Ich suche einen Kinofilm aber nicht nach dem Schauspieler oder der Schauspielerin aus, sondern nach der Synchronstimme.

Was Serien betrifft: Es ist schrecklich, wenn eine Synchronstimme plötzlich gewechselt wird. Das ist sehr störend. Der Durchschnitts-Zuseher bemerkt das gar nicht – für mich unverständlich.


"Kein Hörbuch-Markt in Osteuropa oder Spanien"

Themenwechsel: Wie schlägt sich Österreich am internationalen Hörbuch-Markt?

Wir sind natürlich ein sehr kleines Land. In Deutschland gibt es rund 600 Verlage, die regelmäßig Hörbücher produzieren, in Österreich ist es eine Handvoll. Wir schlagen uns nicht schlecht, aber es wäre noch mehr möglich. Man muss aber auch betonen: In manchen Ländern, vor allem in Osteuropa, gibt es gar keinen Hörbuch-Markt, in Frankreich gibt es nur zwei Verlage, in Spanien gar keine.

Wie sieht es mit dem finanziellen Erfolg von Audiamo aus? Rentiert sich ein Hörbuch-Geschäft?

Hörbücher sind wie Bücher Geschenkartikel. Unseren Hauptumsatz machen wir in der Weihnachtszeit, aber auch in den Sommermonaten wird viel gekauft, da Hörbücher beliebte Reisebegleiter sind. Wir können nicht klagen, das Geschäft funktioniert gut. Aber natürlich müssen wir hart für den Erfolg arbeiten.

Was meinen Sie genau damit?

Wir arbeiten zum Beispiel mit Bibliotheken oder mit Schulen zusammen, um Hörbücher noch populärer zu machen. Denn sie sind nach wie vor ein Nischenprodukt. Bei den Schulen versuchen wir den LehrerInnen das Hörbuch als Unterrichtsmittel näher zu bringen.


"Hörbucher als Rutsche zum Lesen"

Immer weniger Kinder lesen gerne. Führen Hörbücher zu Büchern hin oder sind sie eine Konkurrenz?

Hörbücher sind definitiv eine Rutsche zum Lesen. Viele Eltern sind der Meinung, dass Lesen wichtig ist, das Hören aber nicht. Das ist falsch. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass Leute, die hören, auch mehr lesen, und Leute, die viel lesen, auch mehr hören. Das geht Hand in Hand. Wenn ein Kind nicht gerne liest, hört es auch nicht gerne.

Psychologen sind der Meinung, dass Hörbücher bei Kindern unter sechs Jahren genauso beliebt sind wie das Fernsehen. Wieso ist das so?

Beim Fernsehen bekommt man Bilder vorgesetzt. Bei Hörbüchern oder –spielen können Kinder ihre Fantasie ausleben, können ihre eigenen Bilder erschaffen. Man muss ehrlich sagen: Wie jede andere Buchhandlung haben auch wir das Problem, dass bei Kindern ab ca. 10 Jahren ein Leseeinbruch festzustellen ist. Jugendliche werden erst wieder nach der Pubertät auf uns aufmerksam. Zwischen 10 und 20 Jahren sind DVDs oder Computerspiele cooler als Bücher bzw. Hörbücher.

Welche Vorteile hat das gesprochene Wort (Hörbuch) gegenüber dem geschriebenen Wort (Buch)?

Wie bereits angesprochen wird die Fantasie stark angeregt. Beim Erlernen einer Fremdsprache hilft das gesprochene Wort mehr als das geschriebene, vor allem, was Kinder betrifft. Auch ist es sehr spannend, Original-Tonaufnahmen zu hören, da die Zeit von damals sowie das Charakteristikum der Person selbst sehr gut widergespiegelt werden. Zum Beispiel gibt es Originalaufnahmen von Albert Einstein oder Oskar Werner.

Und natürlich haben Hörbücher den praktischen Vorteil, dass man eine Geschichte neben der Hausarbeit, neben dem Jogging oder ähnlichem verfolgen kann. Die Zeit kann also doppelt genutzt werden, was heutzutage ja nicht unwichtig ist. Beim Hörbuch lernt man, stillzusitzen, zuzuhören und sich auf jemanden einzulassen.

Wie wird sich das Hörbuch in Zukunft weiterentwickeln?

Der digitale Markt wird wichtiger. In 10 bis 15 Jahren wird es Hörbuch-Produktionen vor allem im digitalen Bereich, als Download oder in MP3-Form, geben.

Interview: Manuel Simbürger


Audiamo, Kaiserstraße 70, 1070 Wien


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