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Heltau: "Regietheater ist der Untergang"

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Michael Heltau: "Regietheater ist der Untergang"

17.11.2011
Michael Heltau blickt auf seine Karriere zurück, zieht Unterhaltung der Klassik vor und sagt dem modernen Theater den Untergang voraus. Lust zu spielen hat er aber immer noch.

Ein Interview mit Bühnenlegende Michael Heltau zu führen bedeutet: Er redet, man selbst hört zu. Und wenn man Glück hat, schafft man es, die eine oder andere Frage zu stellen.

Macht aber nichts, denn Heltau, der mittlerweile seit mehr als 40 Jahren auf der Bühne steht und zu den bedeutendsten Schauspielern im deutschsprachigen Raum gehört, hat vieles zu sagen. Spricht über seine Ängste zu Beginn seiner Karriere. Über große Regisseure (bzw. das Fehlen derselben). Den Unterschied zwischen Klassik und Unterhaltung. Oder die deutsche Breakdance-Gruppe "Flying Steps", die er großartig findet.

Zwischen den Proben für sein neues Soloprogramm "Es ist immer jetzt", das ab Februar 2012 im Burgtheater zu sehen sein wird, fand der 78-Jährige Zeit für ein Telefongespräch mit relevant-Journalist Manuel Simbürger.


Herr Heltau, können Sie etwas über Ihr neues Bühnenprogramm erzählen?

Michael Heltau: Es handelt sich um ein neues Solo-Chansonprogramm mit dem Titel "Es ist immer jetzt – Chansons & mehr". Ich arbeite erneut mit den Wiener Theatermusikern zusammen. Inhaltlich biete ich das, was man von mir kennt: Ich möchte die Grenzen zwischen Genres vermischen. Es wird ein buntes, unterhaltsames Programm mit vielen großen Chansons.


"Das eigene Leben leben"

Woher kommen die Ideen? Nach all den Jahrzehnten scheinen Sie immer noch vor Kreativität zu sprühen ...

Das freut mich zu hören. Mein Beruf inspiriert mich unentwegt. Ich habe das Glück, einen Beruf ausüben zu dürfen, bei dem ich ständig mit Leuten, Literatur, kurz: dem lebensnotwendigen Luxus zu tun habe.

Der Bühnenberuf ist ein spannender, da man jeden Abend das direkte Feedback vom Publikum bekommt. Der erfolgreiche Abend von gestern muss heute nicht nur wiederholt, sondern bewiesen werden.

Was die Ideen und die Kreativität betrifft: Man muss sich ständig treu bleiben, nicht zu spekulieren beginnen und nicht faul werden. Sobald man das eigene Leben nicht mehr lebt, sondern schwänzt, hat man auch auf der Bühne nichts mehr zu vermelden.

Sie haben die Abwechslung im Bühnenberuf angesprochen, kein Abend ist derselbe. Macht einem das manchmal nicht auch Angst?

Als ich ein junger Schauspieler war, hatte ich diese Angst. Angst, nicht zu genügen, den Erwartungen nicht zu entsprechen. Meine ersten Berufsjahre habe ich ja nur die ganz großen Klassiker gespielt – Schiller, Goethe, Schnitzler, etc. Gerade in einer Theaterstadt wie Wien, die viele große Theaterschauspieler hervorgebracht hat, wird man ständig mit seinen Vorgängern verglichen.

Heute weiß ich aber, dass diese Angst von mir falsch war. Und ich habe bewusst gegen diese Angst gearbeitet, indem ich sie hinterfragt habe. Hatte ich Angst, dass die Leute mich nicht mögen? Hatte ich Angst vor einem finanziellen Reinfall? Angst ist immer im Bereich der Eitelkeit angesiedelt. Man muss immer zu sich ehrlich sein und immer das Beste geben.

"Unterhaltung hat kein Schutzschild"

Ihre Entscheidung, sich von der Klassik abzuwenden und Unterhaltung zu machen, ist für Theaterschauspieler ungewöhnlich ...

Als ich vor 30 Jahren angefangen habe, das zu machen, was man heute "Unterhaltung" nennt, hat es branchenintern durchaus Diskussionen gegeben. Man kann der Klassik zugunsten der Unterhaltung doch nicht den Rücken kehren! Das Hauptargument war: "Wenn man Hamlet und Wallenstein gespielt hat, hat er es nicht nötig, sich in die Gefilde der Unterhaltung zu begeben."

Genau dieses Argument aber hat mich in meinem Tun bestärkt. Denn sich in die Gefilde der Unterhaltung zu WAGEN, ist ein sehr großes Abenteuer. Denn das Publikum spricht sofort mit, bekommt eine Sprache, wenn es um Unterhaltung geht. Hier bekommt man sofort zu spüren, wenn man nicht gut ist. Der Schutzschild der Klassik fällt bei der Unterhaltung weg.

Sie ziehen Unterhaltung der Klassik also eindeutig vor?

So würde ich es nicht sagen. Nur: Die Nachfrage an Unterhaltung ist enorm. Das sieht man im Fernsehen, in der Popmusik, am Theater. Mir ist es als Schauspieler wichtig, einerseits zu unterhalten, andererseits dem Publikum durch meine Aufführungen etwas mitzugeben, es zu berühren.

Ich sage immer: Chanson muss Welttheater in drei Minuten sein. Deshalb liebe ich dieses Genre auch so sehr. Auch bei den Wienerliedern trage ich nur jene vor, die einen Wahrheitsgehalt besitzen.


"Diversität rückt in den Hintergrund"

Was halten Sie von der modernen Unterhaltungsbranche?

Die Unterhaltung ist ein Gebiet, in dem jeder etwas zu sagen hat – und sich dies auch zutraut und es der Öffentlichkeit zugänglich macht. Ich schätze die Unterhaltung sehr, in ihrem Anspruch steht sie der Klassik um nichts nach.

Hat sich die österreichische Kulturszene in den letzten 30 Jahren verändert?

Enorm. Veränderung hat immer mit Personen zu tun. Nicht die Zeit verändert alles, sondern die Personen in der Zeit verändern alles. Ich nenne diese Personen "Macher". Und ich habe viele von ihnen erlebt. Sie müssen bedenken, Hartmann ist bereits der siebte Burgtheater-Direktor, unter dem ich spiele.

Was ich zur Veränderung, besonders in der Kulturszene Wiens, sagen kann: Wien war immer schon ein kultureller Schmelztiegel. Das ist allerdings in den letzten 10 bis 15 Jahren in der Kultur stark in den Hintergrund getreten. Diversität wird nicht mehr so stark aufgegriffen wie früher.

Sie haben von "Machern" gesprochen. Welche dieser "Macher", mit denen Sie bereits zusammengearbeitet haben, haben Sie besonders beeindruckt?

Strehler, Piscator (einer der ersten Regisseure, unter denen ich arbeitete), etc. Ich könnte viele aufzählen. Es waren allesamt Regisseure, die sich weniger für sich selbst, als für das Stück und die Schauspieler interessiert haben. Davon haben sowohl wir Schauspieler, als auch das Publikum sehr profitiert.


"Die Schauspieler haben das Sagen"

Gibt es solche Regisseure heutzutage nicht mehr?

Nein, alle weg. Heute ist es ja so, dass man gegen das sogenannte "Regietheater" wettert. Etwas, das ich durchaus verstehen kann. Wenn ich heute Theaterkritiken lese, dann wird oft nur noch der Regisseur, nicht aber die Schauspieler genannt. Schrecklich! Das ist eine Entwicklung, die für das Theater nur katastrophal ausgehen kann. Das Publikum identifiziert sich niemals mit einem Regisseur, nur mit den Schauspielern. Das ist so, ob einem das gefällt oder nicht. Die, die auf der Bühne stehen, haben das Sagen.

Würden Sie jungen Leuten, die Schauspieler werden wollen, von ihrer Berufswahl abraten?

Nein, überhaupt nicht! Wichtig ist aber, leidenschaftlich zu sein. Und immer offen sein gegenüber allen Genres. Das war ich als junger Schauspieler nicht immer. Das bedeutet aber nicht, jeden Schmarrn zu machen und keine eigene Meinung zu haben. Ich habe in meiner gesamten Karriere nur das gemacht, woran ich wirklich geglaubt habe. Das halte ich für sehr wichtig.

In den letzten Tagen hat die deutsche Breakdance-Gruppe "Flying Steps" für Aufregung gesorgt, weil sie im Burgtheater zu den Klängen von Johann Sebastian Bach getanzt hat. Was halten Sie davon, wenn auf so drastische Weise Jugend- und Hochkultur miteinander vermischt wird?

Ich finde das großartig. Die "Flying Steps" sind tatsächlich das beste Bespiel dafür: Wenn die Jugendkultur derart perfekt daherkommt, muss sich die Hochkultur ganz schön warm anziehen!

Interview: Manuel Simbürger

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