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Stevia: "süße Revolution" oder "Illusion"?

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Stevia: "süße Revolution" oder "süße Illusion"?

30.08.2012
Von dem kalorienfreien Süßstoff versprechen sich die Lebensmittelkonzerne das große Geschäft. Und Kunden schlankere Maße. Doch diese kann auch Stevia nicht garantieren.

Am 2. Dezember 2011 wurde Steviolglycosid - ein aus der Pflanze Stevia gewonnener Süßstoff - auch in der EU zugelassen. Kritiker halten an ihren Bedenken fest, dass die Substanz ab einer gewissen Dosis die Fruchtbarkeit von Männern beeinträchtigen bzw. Krebs erregen könne.

Wie sie darauf kommen, erläutert Waltraud Schwab von die taz: "Die indianische Bevölkerung Paraguays benutzt Stevia als Süßstoff und Medizin. Angeblich übrigens auch zur Verhütung. Das hat die EU-Nahrungsmittelwächter auf den Plan gerufen."

Deren Vorbehalte konnten jedoch mittels Untersuchungen letztlich widerlegt werden. Und dennoch: "Zunächst dürfen mit dem Lebensmittelzusatzstoff, wie es offiziell heißt, nur Getränke, Müsli, Joghurts, Marmeladen, Schokolade und andere Süßigkeiten gesüßt werden", räumt Maria Braun vom Handelsblatt an dieser Stelle ein.

Auch was die Dosis angeht, greift die EU regulierend ein: 4 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht sind erlaubt.


Per Umweg zum Patent

Die Branche verspricht sich unterdessen von Stevia nicht weniger als eine "Revolution in der Lebensmittelindustrie", ahnte Dirk Müller von Der Spiegel bereits im Frühjahr 2010 folgerichtig. Zugute kommt diese Entwicklung dabei vor allem den beiden US-Konzernen Cargill und Coca-Cola, die Stevia zur Marktreife verholfen haben.

Weil die Pflanze jedoch jeder anbauen könne, konzentrierten sich die Unternehmen auf eine ganz bestimmte Substanz des Gewächses. Mit Methoden, die Müller "perfide" erscheinen, denn: "Die reine Pflanze bleibt als Lebensmittel verboten, der chemisch gewonnene Bestandteil hingegen wird zugelassen - und man kann Millionen mit den neuen patentierten Süßstoffen verdienen." - 24 Patente sind es, die Coca-Cola sein eigen nennt.


Weltweit im Handel

Für den Getränkekonzern wie auch Cargill schließt sich mit dem Ja der EU langsam aber sicher der Abnehmer-Kreis. Denn in einigen Teilen der Welt ist der Süßstoff bereits seit mehreren Jahren zugelassen und beschert den Herstellern rasant wachsende Marktanteile. Dazu ein Beispiel von Christina Berndt (Süddeutsche Zeitung): "In Japan werden die quietschsüßen Blätter der Stevia-Pflanze ebenso wie ihre Inhaltsstoffe schon seit den 1970er-Jahren verwendet."

Und seien dort nicht mehr wegzudenken, ergänzt Kevin P. Hoffmann von Der Tagesspiegel: "Der Stoff steckt in fast allen Lebensmitteln von Fisch und Kaugummi über Eiscreme bis zur Diätcola. Auch in Korea, Israel und Brasilien stehen Produkte mit Stevia legal im Regal. In den USA setzt es sich langsam durch."


"G'sünder halt"

Verlockend sind die Vorteile, die Stevia - auch Honigkraut genannt - im Vergleich zu herkömmlichen Süßstoffen mit sich bringt: Die Pflanze sei, erklärt Oliver Voß (WirtschaftsWoche), "300 mal so süß wie Zucker und dabei kalorienfrei". Wobei der Schokoladenhersteller Josef Zotter gegenüber dem Wirtschaftsblatt die Euphorie der Befürworter dämpft: "Eine geschmackliche Sensation darf man sich aber nicht erwarten, g'sünder ist es."

Das weiß auch die Lebensmittelindustrie und versucht eifrig, am Aroma zu feilen. Denn, bestätigt der Schweizer Josef Arnold, Direktor der Zuckerfabriken Aarberg und Frauenfeld, im Gespräch mit Claudia Wirz von der Neuen Zürcher Zeitung: "Stevia habe einen Beigeschmack, der an Lakritze erinnere. Je nach Produkt (..) könne das ein Problem sein – oder auch nicht."

Aus diesem Grund werden Oliver Voß (WirtschaftsWoche) zufolge auch weiterhin zwei Drittel der Lebensmittel auf Zuckerbasis erzeugt.


Die Dosis macht's

Für Stevia gilt, was letztlich für alle anderen Süßstoffe gilt, wollen Michael Dommel und seine Kollegen von Die Zeit zu guter Letzt mit einer "süßen Illusion" aufräumen: "Viele Menschen nehmen generell zu viele Kalorien zu sich. Proteine, Fette sowie ein Mangel an Ballaststoffen und Bewegung spielen dabei wahrscheinlich eine deutlich größere Rolle als Zucker."

Daran ändert auch Stevia nichts. Aber es dafür vermutlich bewussten Konsumenten noch ein wenig schwieriger machen, die Etiketten von Produkten zu entschlüsseln.

Ute Rossbacher

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