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Karl Markovics: "Es geht nur noch ums Geld"

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relevant Redaktion

Karl Markovics: "Es geht nur noch ums Geld!"

08.11.2011
Das Ausnahme-Talent im Gespräch: über berufliche Risiken, illegale Downloads, die österreichische Medienlandschaft - und natürlich seinen neuesten Geniestreich "Atmen".

Er gehört zu den ganz Großen in der österreichischen Kulturszene: Karl Markovics, spätestens seit dem Oscar-Erfolg von "Die Fälscher" (2007) jedem hierzulande ein Begriff, ist Schauspieler mit Herz und Seele. Und seit kurzem auch Drehbuchautor und Regisseur: Mit "Atmen" (aktuell im Kino) lieferte er einen Erstlingsfilm ab, der unter Kritikern als "einer der schönsten, tiefgründigsten und positivsten österreichischen Filme des Jahres" gefeiert wird.

Auch das Publikum liebt die Geschichte um den Ex-Sträfling, der in einem Bestattungsunternehmen zurück ins Leben und zu sich selbst findet. Auch international gab es dafür Anerkennung: unter anderem wurde "Atmen" beim Sarajevo Film Festival als "Bester Film" ausgezeichnet.

Im niederösterreichischen Klosterneuburg, wo Markovics für die Verfilmung des Erfolgsromans "Die Vermessung der Welt" vor der Kamera stand, nahm sich das Ausnahme-Talent für ein ausführliches Gespräch mit relevant-Journalist Manuel Simbürger Zeit.

Bei Melange und Nusskipferl gab Markovics Einblicke in sein Künstler-Wesen, verriet seine Meinung zu illegalen Downloads – und erklärte, warum es mit dem Erfolg österreichischer Filme einfach nicht klappen mag ...


Herzlichen Glückwunsch zum großen Erfolg von "Atmen". Kritiker und Publikum lieben den Film gleichermaßen. Sind Sie überrascht?

Karl Markovics: Überraschung ist immer so eine Sache. Der Erfolg freut mich natürlich sehr. Ich muss aber so ehrlich sein und sagen: Ich bin mittlerweile alt genug und habe genug Erfahrung, dass ich von Beginn an einschätzen konnte, dass hier etwas entsteht, das gut ist. Trotzdem ist es nicht selbstverständlich, dass dies andere Leute auch so sehen wie man selbst. Von daher: Ja, der große Erfolg überrascht mich.

Haben Sie nie gedacht, Sie gehen mit dem Film ein Risiko ein? Resozialisierung mithilfe eines Bestattungsunternehmens ist kein Thema, das die große Masse anspricht ...

Im Grunde genommen war meine Arbeit immer Risiko. Etwas zu schaffen und erschaffen, und zwar abseits von ausgetretenen Pfaden, ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Alle meine Lebensentscheidungen waren immer ein Risiko. Aber ein selbstverständliches. Ich habe keine Angst vor dem Risiko. Will man sich selbst in der Arbeit finden, geht es nicht ohne.

Welche spezifischen Risiken sind Sie im Laufe Ihrer Karriere bereits eingegangen?

Viele meiner Entscheidungen waren ohne Netz und doppelten Boden. Als ich vom Serapionstheater weggegangen bin, ohne eine Theater- oder sonstige Ausbildung zu haben, war nicht klar, wie ich im normalen Theaterbetrieb jemals Fuß fassen sollte. Als ich mich entschieden habe, mit TV-Serien aufzuhören, hat man mich davor gewarnt, sogar leise Drohungen wurden ausgesprochen. Im Nachhinein gesehen waren dies alles Risiken. Für mich aber notwendig, weil ich in mir gespürt habe, dass ich einen anderen Lebensweg einschlagen musste.

Apropos TV: Ich bin mit "Kommissar Rex" und "Stockinger" aufgewachsen. Denken Sie gern an diese Zeit zurück oder ist es Ihnen peinlich?

Nein, mir ist es nicht peinlich. Aber, ganz ehrlich: Es gibt keinen Teil meiner beruflichen Vergangenheit, an die ich gerne zurückdenke. Vergangenheit hat für mich wenig Bedeutung. Ich bin kein Mensch, der in Erinnerung schwelgt. Lieber schaffe ich mir neue, schöne Erinnerungen.


"Die Geschichte beginnt mit einem Bild"

Kommen wir noch einmal auf "Atmen" zu sprechen: Dramaturgisch gesehen ist der Ex-Sträfling, der in einem Bestattungsunternehmen ins Leben zurückfindet, natürlich ein kluger Schachzug. Trotzdem: Wie kommt man auf so eine Idee?

Im Grunde genommen versucht man eine Geschichte zu einem Bild zu finden, das irgendwann im Kopf aufgetaucht ist. So beginnen alle meine Geschichten – mit einem visuellen Bild und dem Rätsel, das dieses Bild in mir auslöst. Von welchem großen Ganzen ist dieses Bild ein Teil?

Auf seltsamen assoziativen Wegen entwickeln sich infolge Geschichten inklusive Figuren, die ich auch oft wieder verwerfe. Spätestens, wenn das erste Mal die Hauptfigur auftaucht, habe ich eine Ahnung von der Geschichte. Der Hauptprotagonist taucht bei mir meist erst ziemlich spät im Kopf auf. Und so geht es immer weiter, die einzelnen Gedanken verbinden sich. Und irgendwann ist es eine Geschichte.

Wie kann man sich den Schreibprozess von Karl Markovics vorstellen?

Mein Schreibprozess ist vollkommen unstrukturiert. Überall liegen Notizbücher herum. Am Anfang, wenn die Geschichte zu entstehen beginnt, schreibe ich sehr wenig, sondern bewege mich viel – schlendere im Haus herum, gehe wandern oder laufen. Mein Kopf aber arbeitet permanent, die Gedanken kreisen fast immer um die Geschichte. Das Schreiben selbst ist sehr tages- und stimmungsabhängig.

Wie lange haben Sie an der Geschichte zu "Atmen" geschrieben?

Insgesamt eineinhalb Jahre, dazwischen aber mit Pausen, da ich gedreht habe. Mittlerweile glaube ich, dass ich schneller und strukturierter im Schreiben geworden bin. Ich denke, ich schaffe nun ein Drehbuch in einem halben Jahr. Und ja: Ich schreibe gerade an einer neuen Geschichte. Aber ich verrate nicht, worüber sie handelt!


"Bin endlich angekommen"

War es eine große Umstellung, plötzlich hinter der Kamera zu stehen?

Nein, überhaupt nicht. Es war eher eine Umstellung, nach "Atmen" plötzlich wieder Schauspieler zu sein und Anweisungen des Regisseurs entgegenzunehmen! (lacht)

Im Ernst: Ich habe mich lange darauf vorbereitet, Regisseur und Drehbuchautor zu sein. Ich wusste, was auf mich zukommt. Außerdem: Die Kombination Drehbuchautor/Regisseur ist eine ideale. Denn schon während des Schreibens bereitete ich mich auf die Inszenierung vor. Und als Regisseur musste ich mich nicht auf ein neues Drehbuch einlassen.

Wäre es für Sie als Autor überhaupt denkbar gewesen, die Regie von "Atmen" jemand anderem zu überlassen?

Nein – und umgekehrt auch nicht. Einen fremden Stoff zu verfilmen ist für mich im Augenblick nicht denkbar. Schreiben und Inszenierung gehören für mich zusammen.

Nachdem Sie ein Drehbuch geschrieben und Regie geführt haben: Sind Sie nun endlich dort angekommen, wo Sie schon immer hinwollten?

In gewisser Weise ja. Interessanterweise habe ich in meinem beruflichen Leben immer das Gefühl gehabt, mir fehlt etwas, ich muss irgendwo hin. Mir war nicht bewusst, dass dies das Regie-Führen ist. Da sind wir wieder beim Risiko, beim ständigen In-Bewegung-Bleiben.

Das hat sich nun mit "Atmen" und dem Regie-Führen geändert. Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass mir in meiner Arbeit etwas fehlt. Ich bin beim Nullpunkt angelangt. Ich habe aus dem Nichts eine Geschichte erschaffen und inszeniert. Mehr ist nicht möglich. Kleinere sportliche Leistungen ausgenommen.

Themenwechsel: Sie sind seit mittlerweile 30 Jahren im Showgeschäft tätig. Inwieweit hat sich die österreichische Medienlandschaft seit Beginn Ihrer Karriere verändert?

Besonders in der Printmedienlandschaft ist eine zunehmende Verlotterung wahrnehmbar, bedingt durch den harten Wettbewerb: noch schneller, noch bunter, noch billiger. Das geht bis zur letzten Konsequenz. Stichwort: Gratisblätter.

Diese Verlotterung ist auch in anderen Bereichen zu erkennen. In der heutigen Welt, in den heutigen politischen Systemen, geht es nur noch um Kapitalismus. Um reines Geld-Machen. Gleichzeitig herrscht aber eine Ideologie vor, die uns weismachen will, dass Dinge nichts mehr kosten dürfen. Wir leben im Glauben, dank Internet und Gratisblätter, dass Information gratis ist. Gleiches gilt auch für Kunst: Filme, Musik und Theater werden nicht mehr als Kulturgut angesehen. Das merkt man unter anderem an der hohen Anzahl der illegalen Downloads.

Kurz: Ich habe den Eindruck, dass das, was früher Merkmal für eine Zivilisation war – Kultur, Information, etc. – heute nur noch als Unterhaltung wahrgenommen wird. Das finde ich bedenklich.

Treten Sie aktiv gegen illegale Downloads ein?

Aktiv ist übertrieben. Das Thema ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen bin ich als Kunstschaffender natürlich dagegen, weil tatsächlich ein großer finanzieller Schaden durch illegale Film-Downloads entsteht. Zum anderen aber ist es Fakt, dass Raubkopien die einzige Möglichkeit sind, dass Menschen in der Dritten Welt zu Filmen kommen. Was uns übrigens einmal mehr zeigt, wie ambivalent die Welt ist – durch die moderne Globalisierung mehr denn je.


"Verschobene Wahrnehmungsebenen"

2011 war kommerziell gesehen ein sehr schlechtes Jahr für den österreichischen Film. Woran liegt es? Sogenannte "niveauvolle, gute" Filme gab es ja einige ...

Die angesprochenen "guten" Arthaus-Filme erreichen in der Regel immer eine kleinere Menge an Zusehern als Filme, die auf den Mainstream ausgelegt sind. Erscheint im Jahr kein solch ein "populärer" Film, schlägt sich das natürlich sofort auf die Zuschauerzahlen nieder.

Das Grundproblem liegt aber woanders, nämlich am niedrigen heimischen Marktanteil des nationalen Films. In Norwegen zum Beispiel liegt dieser bei hohen 22 bis 25 Prozent. Warum? Weil dort keine Filme synchronisiert werden. Die Norweger sind also mit ihrer eigenen Sprache im Film sehr viel vertrauter als wir in Österreich, wo beinahe alle Filme synchronisiert werden. Das beeinflusst die Wahrnehmungskultur des gesprochenen Wortes im Film erheblich. Viele Leute empfinden das Sprechen in österreichischen Film als banal, flach, uncool. Solch verschobene Wahrnehmungsebenen wie bei uns gibt es sonst beinahe nirgendwo auf der Welt.

Sie haben 2009 die Akademie des Österreichischen Films mitgegründet. War dies die Intention dahinter – dass sich das Publikum an österreichische Sprache im Film gewöhnt?

Auch. In Österreich wächst man nicht in dem Bewusstsein auf, dass das eigene Land ein Filmland ist. Mit der Akademie wollten wir das Bewusstsein erreichen, dass Film Teil eines Landes, einer Region, eines Sprachkreises, eines Soziotops ist. Und nicht nur reine Unterhaltungsware.

Letzte Frage: Geht man mit Ihnen seit dem Oscar-Erfolg von "Die Fälscher" in Österreich anders um als zuvor?

Ich denke schon. Mir schlägt eine andere Art von Respekt entgegen. Das ist sehr angenehm. Ja, man geht mit mir respektvoller um als vorher.

Interview: Manuel Simbürger

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