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"Talent zum Jammern stärkt Populisten"

Stephan Boroviczeny

relevant Redaktion

Georg Markus: "Unser Talent zum Jammern stärkt Populisten“

13.10.2011
Georg Markus im relevant-Interview über unsere Nationalheiligtümer, die heimische Bildungspolitik – und wieso bei uns immer alles etwas länger dauert. Der etwas andere Blick auf Österreich.

Um die (politischen) Wirren Österreichs zu verstehen, muss man Österreich kennen. Nicht nur das politische System, nicht nur die geographischen Details, nicht nur die großen Söhne (und auch Töchter, bitteschön!). Man muss die ÖsterreicherInnen selbst kennen, muss hinter die Fassade blicken. Die nationale Mentalität verstehen.

Dafür holt man sich am besten jemanden an Bord, der das Land und seine Geschichte wie seine Westentasche kennt. Georg Markus, der bekannte österreichische Autor, Journalist, Geschichten- und Geschichtekenner (neuestes Werk: "Österreich in seinen besten Geschichten und Anekdoten").

Im Gespräch mit relevant-Journalist Manuel Simbürger beleuchtet Markus gewohnt humorvoll, worauf wir Österreicher stolz sind, wieso bei uns alles etwas länger dauert – und weshalb wir dabei sind, unsere Zukunft zu verspielen.


relevant: Österreich hat viele so genannte "Nationalheiligtümer", auf die es besonders stolz ist. Erklären Sie bitte, was die ÖsterreicherInnen an folgenden Themen so sehr fasziniert:

Mozart:

Georg Markus: Eigentlich würde seine Musik reichen, um zu faszinieren. Es kommt aber noch diese höchst eigenwillige, originelle Persönlichkeit dazu. Klarer Fall, ein Nationalheiliger zu werden.

Skifahren:

So ziemlich der einzige Sport, in dem wir dauerhaft erfolgreich sind.

Fußball:

Man gibt die Hoffnung wider besseres Wissen nicht auf.

Sisi:

Wenn jemand in jungen Jahren auf dramatische Weise stirbt – Kaiserin Elisabeth wurde 1898 in Genf ermordet – wird er zum Mythos. Ähnlich verhält es sich bei Prinzessin Diana, Marilyn Monroe und Romy Schneider. Dabei war "Sisi" gar nicht so jung wie man glaubt, sie starb mit sechzig, doch da sich die Kaiserin nach ihrem 35. Lebensjahr nicht mehr porträtieren ließ, ging sie als ewig junge Sisi in die Geschichte ein. Und wurde zum Mythos.

Wiener Schnitzel:

Kommt zwar aus Mailand, wurde aber austrifiziert - und schmeckt uns daher.

Würstelstand:

Um Gottes Willen, nur nix G’sundes essen! Grüner Salat hat keine Chance, bei uns zum Nationalheiligtum zu werden. Wiener Schnitzel, Sachertorte, Manner-Schnitten und Frankfurter hingegen sehr wohl. Beim Würstelstand lässt sich bei ein oder zwei Vierteln mit Anders- und Gleichgesinnten vortrefflich diskutieren.

Natur:

Einfach überwältigend. Konkurrenzlos.

Opernball:

Eine Veranstaltung, von der man jedes Jahr meint, dass sie die vom Vorjahr an Langeweile und Peinlichkeit nicht übertreffen kann und es dennoch schafft. Ich nehme mir alljährlich vor, auf die kommende Opernballübertragung zu verzichten – hab es aber noch nie geschafft. Der Opernball lebt von seiner Geschichte.


"Verspielen unsere Zukunft"

Gibt es einen Unterschied zwischen alten und jungen Menschen - worauf sie jeweils in Österreich besonders stolz sind?

Die Alten auf Johann Strauß, die Jungen auf Falco. Beide sind Genies ihrer Zeit – und haben sich den Stolz redlich verdient.

Hat Bildung in unserem Land einen niedrigeren Stellenwert als in anderen Ländern?

Ganz im Gegenteil, Bildung hat in Österreich einen besonders hohen Stellenwert. Kein Zufall, dass aus diesem Land mehr Nobelpreisträger und sonstige Genies hervorgingen. Allerdings wurden viele von ihnen vertrieben und erwarben ihren Ruhm daher als Amerikaner, Engländer, Franzosen, Schweizer etc. Heute hätten wir endlich Gelegenheit, Österreicher als Österreicher groß werden zu lassen. Umso unverständlicher, dass an Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten gespart wird. Wir verspielen damit unsere Zukunft.


"Wir leben von unserer Verschlafenheit"

Österreich wird immer wieder vorgeworfen, auf moderne Entwicklungen erst sehr spät zu reagieren. "Österreich ist altmodisch, nicht modern", heißt es. Was sagen Sie dazu?

Ja, es stimmt, Österreich ist ein bisserl träge, das mag an unserer Mentalität liegen und hat sicher historische Wurzeln: "Schau ma’s uns zuerst einmal an, nur net hudeln, lass ma die anderen vor..." Die kleinen Feigheiten haben sich oft als Vorteile erwiesen: Bis wir auf eine technische Entwicklung aufspringen, hat sie ihre Kinderkrankheiten abgelegt, sich in anderen Ländern bewährt und kann daher hier gefahrlos eingesetzt werden. Wir leben diesbezüglich von unserer Verschlafenheit.

Wie wird Österreich international wahrgenommen? Für welche Aspekte kennt man uns besonders?

Mozart, Sisi, Kreisky, Waldheim, Haider... Es wäre ein Irrglaube anzunehmen, dass wir aktuell irgendwelche Beiträge leisten, die in der Welt besonderes Aufsehen erregen.

Manchmal hat man das Gefühl, man ist in Österreich erst jemand, wenn man auch im Ausland Erfolg hat... Ihre Meinung dazu?

Stimmt in vielen Fällen. Freud kannte man längst in den USA, als er in Wien noch unerkannt spazieren ging. Nach 1945 ist man dann draufgekommen, was für ein großer Mann damals in der Berggasse gewohnt hat.


"Politik nicht so schlimm wie dargestellt"

Wie würden Sie die österreichische Mentalität beschreiben? Hat sich diese in den letzten Jahrzehnten verändert?

Sicher, ja. Alles hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Es ist anzunehmen, dass die uns eigene Gemütlichkeit von der die Zeit bestimmende Schnelllebigkeit abgelöst wird. Mehr als fraglich, ob dann noch Backhenderl, Heuriger, Wienerlied und Hans Moser Nationalheiligtümer sein werden.

Ein kurzer Kommentar zur aktuellen politischen Situation in Österreich?

Sie ist nicht ganz so schlimm wie sie meist dargestellt wird. Wir haben ein gut funktionierendes demokratisches System, eine – gemessen an anderen Ländern – relativ stabile Wirtschaft, niedrige Arbeitslosenraten. Aber: Unser Talent zum Krankjammern lässt die Populisten immer stärker werden. Und mit denen könnt's dann wirklich schlimm werden.

Interview: Manuel Simbürger

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