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Palästina: ein erster Schritt in Richtung Staat

Mohammad Abu Ghosh Xinhua/Eyevine/picturedesk.com

relevant Redaktion

Palästina: erster Schritt in Richtung Staat

30.11.2012
Auch wenn die Fronten auf politischer Ebene verhärtet sind, und die Gewalt eskaliert: Die Zwei-Staaten-Lösung findet in den israelischen Medien immer mehr Anhänger.

"Wir fordern das elementarste aller Rechte: Wir wollen ein Staat wie alle anderen Staaten sein", zitiert die APA eine Palästinenserin, die im Spätsommer 2011 mit Tausenden anderen auf die Straße ging, um den Antrag von Präsident Mahmoud Abbas bei der UNO auf eine Vollmitgliedschaft und damit indirekte Anerkennung des Staates Palästina zu unterstützen.

Ein erster Schritt zur Vollmitgliedschaft wurde am (gestrigen) Donnerstag tatsächlich gesetzt: Die UNO erkennt Palästina den "Beobachterstatus" zu. 138 Staaten gaben dazu grünes Licht, 41 enthielten sich ihrer Stimme, neun - darunter die USA und Israel - stimmten dagegen. Die EU zeigt sich in der Frage gespalten: Während 14 Länder - darunter Österreich - dafür stimmten, enthielten sich die anderen (bis auf Tschechien, das gegen Palästinas Antrag stimmte).

Immerhin ermöglicht der Beobachterstatus Palästina, künftig internationalen Verträgen beizutreten bzw. den Internationalen Gerichtshof anzurufen. Die Vollmitgliedschaft über kurz oder lang kann als logische Folge betrachtet werden.

 

Zwei Länder, eine neue Chance?

Dass die Zeit in der angespannten Lage drängte, davon ist nicht nur Bettina Vestring von der Berliner Zeitung überzeugt, denn: "Über eine halbe Million Israelis leben inzwischen in den vielfach aufgesplitterten Palästinenser-Gebieten."

Angesichts dieser Lage relativiert Georg Baltissen von die taz die palästinensischen Ansprüche: "Einen Staat Palästina zu verlangen, der nur noch knapp die Hälfte des Gebietes ausmacht, der in der UNO-Teilungsresolution von 1948 versprochen worden war, kann man nicht als Vermessenheit bezeichnen."

Clemens Wergin von Die Welt hat dennoch Vorbehalte: "Selbst wenn man für die Errichtung eines Palästinenserstaates zur Lösung des Nahost-Konflikts ist, sollte man gegen diese UN-Initiative sein. Weil die Palästinenser damit versuchen, in der ihnen freundlich gesinnten UN-Generalversammlung auf einfachem Wege einen Staat zu bekommen."

Was der in Israel lebende und daher direkt betroffene frühere israelische Verhandler Uri Savir in der Jerusalem Post anders beurteilt: "Um unsere Sicherheit in der Region zu fördern, einschließlich der Beziehungen zur Ägypten, haben wir ein großes Eigeninteresse daran, als jemand empfunden zu werden, der eine friedliche Übereinkunft zu einem palästinensischen Staat erreichen will."

Zumal momentan das Gegenteil der Fall scheine, gibt Inge Günther von der Badischen Zeitung zu bedenken: "So isoliert wie zurzeit, da die beiden wichtigsten regionalen Bündnispartner, Ägypten und Türkei, wegbrechen und ein großer Teil der Weltgemeinschaft die Palästinenser als Staat aufnehmen will, haben sich die Israelis selten gefühlt. Das war mal anders."

 

Blutiger Übergang

Auch ein Blick in die israelischen Medien offenbart, dass zahlreiche Bürger der Jahrzehnte währenden Streitigkeiten, des Terrors und der Konflikte Leid sind und auf eine baldige Lösung hoffen.

Spürbar wird das in dem Gastkommentar von Gershon Baskin in der konservativen Jerusalem Post, der sich als Radiomoderator schon lange um die friedliche Verständigung zwischen Israeli und Palästinensern bemüht: "Wenn sich die Palästinenser an die UNO wenden, dann nicht, um Israel zu zerstören. Das hat die palästinensische Führung immer und immer wieder gesagt, der Palästinenserführer Mahmoud Abbas eingeschlossen - in Arabisch im palästinensischen Fernsehen vor einem palästinensischen Publikum in Ramallah. Es gab keine 'arabische Zweigleisigkeit' - sprich eine Version für den Westen und eine für die Araber."

Baskin ist vielmehr überzeugt, eine bedeutsame historische Parallele entdeckt zu haben. Denn 1948 habe auch Israel - über den Umweg der UNO - die Staatenbildung vorangetrieben und letztlich auch erreicht, erinnert er. Nichts anderes versuchten die Palästinenser eben jetzt.

Auch aus Sicht von Zvi Bar'el von der israelischen Tageszeitung Haaretz haben sich die Palästinenser eine ehrliche Chance verdient. Seine Begründung: "Abbas hat von Israel gelernt. Hauptsächlich, dass die Verhandlungen in Wahrheit nicht mit Israel, sondern mit Washington geführt werden. Und: dass jene nicht auf einem Spielfeld stattfinden dürfen, das Obama entgegenkommt, sondern im Rahmen der Vereinten Nationen erfolgen müssen."

Dass die USA bereit sind, ihre Trümpfe in dem Nahost-Poker auszuspielen, verdeutlicht Ralph Sina (ARD Tagesschau) am Gebahren von US-Außenministerin Hillary Clinton. Die zuletzt im vergangenen Jahr den Palästinensern "mit buchhalterischer Strenge" vorgerechnet habe, wieviele amerikanische Milliarden Dollar jährlich in die Palästinensergebiete zum Erhalt öffentlicher Einrichtungen fließen.

Ein Punkt, an dem Tom Sauer von der belgischen Tageszeitung De Standaard an die Lebensumstände der Palästinenser erinnern will: "Gaza ist ein großes Freiluftgefängnis: Straßensperren, Verzögerungen, allein weitere 14.000 (jüdische, Anm.) Siedler im Jahr 2010. Das Gebiet der nicht viel größeren West Bank wird weiterhin täglich von der israelischen Siedlungspolitik ausgehöhlt."

Dabei könnte die israelische Bevölkerung das Budget, das ihre Regierung alljährlich für die Besetzung der Gebiete und zur Bekämpfung des Terrors aufwendet, dringend benötigen, wendet er ein: "Viel Geld geht für die Sicherheit statt die Schaffung von Wohlstand auf, was Hunderttausende Menschen in Israel auf die Straßen trieb."

Abbas' Sieg wäre gerade deshalb noch aus anderen Gründen wichtig, gibt der Politologe Igal Avidan in seinem Gastkommentar für Der Standard zu verstehen: "Durch einen Erfolg könnte Abbas auch einen Sieg über die radikale Hamas feiern, die den Gang zur UNO ablehnt."

 

Hamas vs. Abbas

Gerade das lässt Nicholas Noe und Walid Raad von Bloomberg grübeln: "Es ist kein Schock, dass die USA und Israel gegen den palästinensischen Antrag bei der UNO für einen eigenen Staat Palästina sind. Überraschender ist, dass die militante palästinensische Gruppierung Hamas dagegen ist."

Die Anliegen der friedlichen Gegenseite ruft der palästinensische Politiker Mustafa Barghouthi in seinem Gastkommentar für CNN bereitwillig ab: "Sie (die Palästinenser, Anm.) wollen nur wissen, ob und wann die Besatzung enden wird. Können sie sich künftig frei - ohne Checkpoints - bewegen oder nicht? Werden sie von freiem Handel mit der Welt abhängig sein oder weiterhin Geiseln der israelischen Wirtschaft bleiben? Werden sie ihren Lohn bekommen oder wird die israelische Regierung widerrechtlich ihre Steuereinnahmen zurückhalten?"

 

Keine militärische Lösung  

Der Konflikt stellt auch die internationale Staatengemeinschaft vor neue Herausforderungen: Nicht, so der Politologe Nathan J. Brown in seinem Gastkommentar für die CNN, dass Ägypten als Verbündeter der Hamas und die USA als Verbündeter Israels einen Waffenstillstand bewirken könnten - "die wahre Frage ist doch, was danach geschieht". Diese Position teilt James Zogby von der Huffington Post, der mahnt: "Es wäre ein Fehler zu glauben, dass das, was sich in Palästina ereignet, auch dort bleibt."

Die Zeit drängt. Täglich werden auf beiden Seiten der Konfliktlinie Raketen abgefeuert, verlieren Zivilisten ihr Leben oder müssen zumindest um dieses fürchten. Worin sich die Kommentatoren weitestgehend einig sind: Bleiben, wie es ist, kann es nicht.

Ein eindringlicher Appell dazu von Jonathan Freedland von The Guardian: "Auf die israelisch-palästinensische Frage kann es keine militärische Antwort geben. Beide Seiten werden immer sagen, dass ihre jeweiligen Maßnahmen nötig waren. Aber das ist keine Lösung."

 Ute Rossbacher

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