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Von Madrid bis Athen: Jugend im Streik

Emilio Naranjo/EPA/picturedesk.com

relevant Redaktion

Von Madrid bis Athen: Jugend tritt in Streik

30.10.2012
Europas Jugend kündigt nach und nach ihren Regierungen den Vertrag auf, der vor Jahren auf ihre Kosten gemacht wurde.

Auffällig sind die Parallelen: Ob Madrid, London, Athen, Paris, oder Lissabon - die derzeitigen Protestbewegungen und Kundgebungen werden hauptsächlich von jungen Menschen getragen.

In einem Chat mit Die Zeit erklärt die junge Israelin Stav Shaffir, was die Jugend über die Grenzen ihres Landes hinweg eint: "Wir sind nicht gegen freie Märkte, aber wir sind gegen habgierigen Kapitalismus. Die Balance ist wichtig. Und die Regierung sollte die Menschen in schlechten Zeiten unterstützen."

Doch gerade dazu sind die meisten Staaten angesichts leerer Kassen und hoher Defizite nicht mehr in der Lage. Die Zahlen dieser Entwicklung sprechen für sich: Jeder fünfte Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren in der EU ist arbeitslos. Auf jene, die den Sprung ins Erwerbsleben schaffen, warten vermehrt befristete oder Teilzeitverträge.

Christian Tretbar von Der Tagesspiegel bricht die Statistik auf die Staaten herunter: "Besonders drastisch ist die Lage in Spanien. Dort ist fast jeder Zweite in dieser Altersklasse ohne Erwerbseinkommen. In Griechenland sind es fast 40 Prozent. Und auch in den anderen Krisenstaaten Portugal, Irland und Italien sieht es kaum besser aus."

Dass es die Regierungen so weit kommen ließen, rächt sich. Die unter dem Eindruck der Finanzkrise iniitierten Proteste sind für Günther Lachmann von Die Welt daher rückblickend betrachtet nicht weniger als das: "In zahlreichen Ländern, darunter Griechenland, Spanien und Italien, ist der Vertrag zwischen Politik und Gesellschaft bereits gekündigt. Der Sommer 2011 markierte deshalb den Niedergang und zugleich den Beginn einer demokratischen Epoche."

Vor dem Hintergrund des vor einem Jahr veranstalteten Weltjugendtreffens der Katholischen Kirche in Madrid zieht Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung denn auch ein bitteres Resümee: "1967 hat ein Papst, es war Paul VI., in der Enzyklika über den 'Fortschritt der Völker' eindringlich gefordert, 'dass die Wirtschaft im Dienst des Menschen steht'. Die 44 Jahre seitdem haben diese Forderung verhöhnt. Der heilige Zorn darüber ist ausgeblieben. Jetzt hat ihn die Jugend."

Worum es der Jugend geht, worum sie im einzelnen kämpft - ein kleiner Überblick.

 

Spanien: Subventionen für Adel, Stütze für Jugend

Unter dem Namen 15-M, der sich auf den Beginn der friedlichen Demonstrationen am 15. Mai 2011 Jahres bezieht, machen Tausende - vor allem junge - Männer und Frauen auf ihre prekäre Situation aufmerksam. Rund 53 Prozent der jungen Menschen sind arbeitslos.

Aus Anlass des Weltjugendtreffens der Katholischen Kirche im Sommer 2011 erhielten die Kundgebungen zusätzliche Nahrung. Warum, erklärt Religionssoziologe Detlef Pollack im Interview mit der Stuttgarter Zeitung: "Die Jugend fragt sich, warum man Geld für den Papst ausgibt und nicht für materielle Verbesserungen einsetzt."

Am Beispiel der spanischen Herzogin von Alba veranschaulicht Susanne Peterson vom evangelischen Wochenmagazin Sonntagsblatt einen weiteren Zynismus: "Die 85-Jährige ist mit geschätzt drei Milliarden Euro die reichste Frau Spaniens. Sicher wird sie auf ihren Ländereien den ein oder anderen Arbeitsplatz schaffen; warum aber eine Großgrundbesitzerin Abermillionen an EU-Agrarsubventionen kassieren kann, ist ein Rätsel."

 

Portugal: "Generation in der Klemme"

Ein ähnliches Bild bietet sich im benachbarten Portugal. Rund 36 Prozent der Jugendlichen haben keine Arbeit; viele leben daher noch bei ihren Eltern. Dazu Elisabeth Kreutterer von der Plattform politik.de: "Nach den Defiziten ihrer Lebenssituation nennen sich die gut ausgebildeten, protestierenden Jungakademiker in Portugal 'Geração à rasca', Generation in der Klemme, die sich von der Politik zunehmend an den Rand gedrängt fühlt."

 

Frankreich: Probleme erreichen Mittelschicht

Neu ist, dass die Kürzungen und Reformen im Sozialbereich auch zusehends die Mittelschicht treffen, allen voran junge Akademiker, die mangels Arbeit, Einkommen und Versicherungsschutz bei ihren Eltern leben. Hinzu kommt, dass die Regierung ihre Versprechen, die wachsende Jugendarmut in den Problembezirken zu bekämpfen, nicht eingelöst hat. Aktuell liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich bei 25 Prozent.

 

Griechenland, Italien: Jugend wandert aus

Viele junge - auch gut ausgebildete - Südeuropäer denken ernsthaft darüber nach, auszuwandern. Viele von ihnen haben es bereits getan. Denn im eigenen Land fehlt es an existenzsichernden Arbeitsplätzen.

Wer sich in Griechenland mit schlecht bezahlter Arbeit durchzuschlagen versucht, wird der "Generation 700" (die Zahl 700 spielt auf die geringen Einkommen an) zugerechnet. 55 Prozent der Jugendlichen in Griechenland bzw. 34 Prozent in Italien sind jedoch ohnehin arbeitslos. Hinzu kommt, dass sich die Lage durch die jüngsten Sparmaßnahmen bzw. Steuererhöhungen für breite Bevölkerungsschichten enorm verschlechtert hat.

Verschärfend wirkt sich in dieser Situation laut Thomas Schmid (Berliner Zeitung) ein weiteres Problem aus: "Inzwischen kommen etwa 80 Prozent aller Flüchtlinge, die EU-Boden betreten, in Griechenland an und bleiben, weil kein EU-Staat sie aufnehmen will. Sie bevölkern (...) die Athener Innenstadt. Anders als die Griechen haben sie bei der rigorosen Sparpolitik nichts zu verlieren."

 

Großbritannien: Kampf der Klassen

Drastischer als am europäischen Kontinent wirken sich die sozialen Klassenunterschiede in Großbritannien aus. Das untermauern aktuelle Zahlen der OECD, die Philipp Wittstock (Der Spiegel) zitiert: "In keinem anderen westlichen Land ist der Wohlstand so ungerecht verteilt wie in Großbritannien. Nirgendwo anders sind die Chancen für ein Kind, aus ärmlichen Verhältnissen aufzusteigen, so schlecht."

Die zunehmende Verrohung und Verwahrlosung der jugendlichen Unterschicht eskalierte zuletzt Anfang August 2011. Aktuell liegt die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen bei rund 21 Prozent.

Auch in Irland bleibt die Lage angespannt: Rund 35 Prozent der jungen Menschen sind ohne Arbeit.

Ute Rossbacher

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