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Komasaufen: "Alkohol gehört weggesperrt"

Helmut Fohringer/APA/picturedesk.com

relevant Redaktion

Expertin: "Alkohol gehört weggesperrt!"

27.06.2011
Der Trend "Komasaufen" steigt unter Jugendlichen weiter an. relevant sprach mit einer Ärztin aus dem Wiener AKH über Gefahren und Präventionsarbeit zum Thema "Jugendliche und Alkohol".

In Deutschland wurden Mitte Juni dieses Jahres an nur einem Wochenende 37 betrunkene Kinder und Jugendliche von der Polizei aufgegriffen. Im Mai wurde in der Steiermark ein 10-Jähriger mit zwei Promille Alkohol im Blut ins Krankenhaus eingeliefert.

Jugendliche und Alkohol – ein Problem, das zwar tief in der Gesellschaft verwurzelt ist, jedoch immer noch nicht die nötige Beachtung findet. Der Trend zum "Komasaufen" steigt weiter an.

relevant-Journalist Manuel Simbürger im Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Susanne Greber-Platzer von der Wiener Universitätsklinik Kinder- und Jugendheilkunde (AKH Wien) über Alkohol-PatientInnen, die Faszination Alkohol und was den Trend des Komasaufens stoppen könnte.


Beginnen wir mit einer Definition: Was bedeutet "Komasaufen" eigentlich genau?

Univ.-Prof. Dr. Susanne Greber-Platzer: Wie der Name schon sagt: Hier trinken Jugendliche bis zur Bewusstlosigkeit. Sie trinken sich im wahrsten Sinne des Wortes komatös.

Das Phänomen "Komasaufen" nimmt unter Jugendlichen immer mehr zu. Wie viele Fälle von "Komasaufen-Patienten" hatten Sie im Jahr 2010?

2010 waren es insgesamt 73 Patienten, die sich bereits im Stadium der schweren Bewusstseinseintrübung bis hin zur Bewusstlosigkeit befanden und in die Notfallambulanz der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde gebracht wurden.

In welchem Alter befinden sich diese Patienten?

Vom 14. bis zum 19. Lebensjahr. Davon waren ein Drittel zwischen 14 und 16 Jahren (also vor dem Alter, wo man legal Alkohol konsumieren darf), der Rest zwischen 16 und 18 Jahren. Man hört zwar immer wieder, dass sich auch schon Kinder im Alter von 10-12 Jahren komatös trinken, aber diese sind bisher nicht zu uns gebracht worden.

Sind eher Jungs oder Mädchen vom "Komasaufen" betroffen?

Generell betrifft dies beide Geschlechter, wobei es in den letzten Jahren zunehmend zu einer Angleichung der Mädchen an die bisher führende Zahl von Jungs kommt. Im vergangenen Jahr wurden überraschenderweise bei uns erstmals mehr alkoholisierte Mädchen als Jungs aufgenommen. Das heißt, unter den zuvor genannten 73 Patienten befanden sich 40 Mädchen. Noch auffallender ist, dass es im Alter von 14 bis 16 Jahren doppelt so viele weibliche wie männliche Patienten gab.


"Steigende Tendenz zum Komasaufen"

Ist die Gesamtzahl der alkoholisierten Jugendlichen in den letzten Jahren gestiegen?

Unseren Unterlagen zufolge: definitiv! Im Vergleich zum Intervall 2004-2007 haben wir nun um 50 Prozent mehr Patienten, die in Folge von zu exzessivem Alkoholkonsum bei uns eingeliefert werden. Natürlich gelten diese Zahlen nicht für ganz Wien, sondern "nur" für die Universitätsklinik der Kinder- und Jugendheilkunde. Trotzdem: Bei uns zeigt sich nicht nur eine steigende Tendenz zum Komasaufen, sondern auch, dass die Patienten immer jünger werden, und 2010 die Unter-16-Jährigen bereits ein Drittel der eingelieferten Patienten ausmachten, was in den Jahren davor nicht der Fall war.

Hatten Sie schon Patienten, die mehrmals wegen Alkoholvergiftung eingeliefert wurden?

Eher nicht, zumindest ist mir in den Daten diesbezüglich niemand aufgefallen. Das heißt jedoch nicht, dass jene Jugendlichen, die bei uns wegen einer Alkoholintoxikation behandelt wurden, danach keinen Alkohol mehr anrühren!

Warum steigt die Tendenz zum "Komasaufen" immer mehr an? Was fasziniert Jugendliche so sehr an Alkohol?

Zum einen liegt es sicherlich daran, dass Alkohol in der Gesellschaft nicht nur akzeptiert ist, sondern nicht einmal als Droge wahrgenommen wird! Kinder kommen von klein auf auf unterschiedliche Art und Weisen in Kontakt mit Alkohol. Alkohol gibt es in allen Lokalen, in jedem Geschäft und auch zuhause: In vielen Familien wird Alkohol nicht weggesperrt, sondern steht frei zugänglich neben anderen Getränken oder in der Bar im Wohnzimmer.

Zum anderen spielen der Wunsch, erwachsener und "cooler" zu sein, aber auch der Gruppenzwang sowie der Reiz von bisher Verbotenem eine große Rolle. "Die anderen tun es auch, ich möchte mithalten."

Außerdem: "Alkoholfreie Getränke sind was für 'Babies und Kinder', jetzt als 'Großer' muss etwas anderes her." Mit dem Rauchen verhält es sich ähnlich.


"Ein Wunder, dass sowas nicht verboten gehört"

Welche alkoholischen Getränke werden von Jugendlichen am meisten konsumiert?

Jene Spirituosen, die sich leicht mit Limonaden, Saft etc. zu einem süßen Getränk mischen lassen: Schnaps, Whiskey, Rum, Cognac, Wodka. Sprich: Hochprozentiger Alkohol! Bei Jungs aber oftmals noch Bier, das in größeren Mengen im Freundeskreis konsumiert wird.

Was ist das Einstiegsgetränk in den Alkoholkonsum?

Zunehmend sogenannte "Alkopops". Das sind hochprozentige Spirituosen (5 – 5,5 Volumprozent!), die mit Limonade aufgespritzt werden. Der süßte Geschmack kommt bei Jugendlichen gut an, während Bier und Wein wegen dem bitteren Geschmack anfänglich nicht schmecken. Noch dazu werden die "Alkopops" werbewirksam mit ansprechenden Flaschenetiketten verkauft, das spricht natürlich noch mehr an. Eigentlich schlimm, dass sowas nicht verboten wird.


"Bewusst machen, wie gefährlich Alkohol ist"

Sind sich Jugendliche der Gefahren, die von Alkoholkonsum ausgehen, bewusst?

Nein, überhaupt nicht. Ich glaube nicht, dass sie wissen, was sie da tun und in welche große Gefahr sie sich begeben. Sowohl im akuten, aber auch im längerfristigen Rahmen.

Das ist nicht überraschend, denn die Informationen zu den Wirkungen von Alkohol auf den menschlichen Körper sind erst bei gezielter Suche in den Medien zu finden und dann oft sehr fachspezifisch und komplex. Werbekampagnen und öffentliche Hinweise fehlen meist.

Nämlich?

Biologisch gesehen entzieht Alkohol den Zellen Wasser und kann diese so schädigen, dass sie unwiderbringlich zerstört sind! Mit jedem Rausch sterben Zellen, vor allem im Gehirn führt dies zu Folgeschäden. Die akute Wirkung im Gehirn äußert sich zum Beispiel durch einen unsicheren Gang, eine verwaschene Sprache, eine Verlangsamung der Reaktionsfähigkeit und des Denkens. Alkohol ist Zellgift! Allein dies sollte man sich bewusst machen und darüber offen und ehrlich reden.


"Mehr Präventionsarbeit"

Muss in Sachen Präventionsarbeit, was Alkohol betrifft, mehr getan werden?

Da muss viel mehr getan werden! Ich kenne wenige bis gar keine Broschüren, die ausgeteilt werden und diesbezüglich aufklären. Eltern fehlen oft selbst die Informationen; öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Vereine etc. sollte man in diese Pflichten einbeziehen. Doch hierfür müsste man erst die Lehrenden selbst schulen und mit Material versorgen, um dann eine gezielte Aufklärungsarbeit leisten zu können. Sinnvoll wären gezielte Programme und Projekte, die es noch zu entwickeln gilt.

Abgesehen von der medizinischen Behandlung: Wie hilft Ihre Station den Jugendlichen, die mit Alkoholvergiftung eingeliefert werden?

An der Kinderklinik bieten wir keine Therapie an – dafür fehlen uns schlicht und einfach die Kapazitäten. Wir versuchen, Eltern und Patienten das Problem bewusst zu machen und empfehlen ihnen abhängig von der ärztlichen Einschätzung psychologische Beratungen bzw. Betreuungen bis hin zu kinderpsychiatrischen Therapien.

Wie reagieren die Jugendlichen auf diese Therapieempfehlungen?

Oftmals herrscht bei Eltern und den Jungendlichen Einigkeit, dass dies erstmals und im Rahmen einer jugendlichen Dummheit passiert ist. Für ausführliche Gespräche besteht meist kein Interesse und der stationäre Aufenthalt beschränkt sich ja meist nur auf ein paar Stunden und ist somit viel zu kurz, um hier schon genauere Hintergründe zu erfragen. Aufgrund dieser Erfahrungen raten wir dringend, das Ereignis aufzuarbeiten und Beratung und Betreuung ernsthaft zu überlegen. Ob sie das dann tatsächlich auch tun, wissen wir natürlich nicht.


"Alkohol gehört weggesperrt"

Zusammengefasst: Wie kann man dem Trend des "Komasaufens" entgegensteuern?

Indem man in der Familie, im Freundeskreis und in der Schule etc. über Risiken, Gefahren und Folgen von Alkohol spricht. Nach einer Alkoholisierung sollten Probleme, Auslöser etc. besprochen und eine notwendige Beratung und Betreuung angenommen werden. Auf keinen Fall darf man so tun, als wäre nichts gewesen. Meist trinken Jugendliche nicht vor den Eltern, sondern mit Freunden. So ist es Pflicht der Eltern, bei Verdacht auf ein Alkoholproblem entsprechende Gespräche und Therapien aufzugreifen. Weiter gilt, wie schon gesagt, dass mehr Präventionsarbeit notwendig ist.

Um Alkohol als gesellschaftliche Droge wahrnehmbar zu machen ...

Hierzu rate ich, dass Alkohol, ähnlich wie Medikamente, zuhause weggesperrt gehört. Noch wirksamer könnte es sein, wenn man auf jeder Flasche mit alkoholischem Getränk eine Art Beipackzettel wie bei Medikamenten anbringt, auf dem die Nebenwirkungen stehen. Auf dem Etikett könnte man zudem ein Giftzeichen anbringen. So gibt es zum Glück auf jeder Zigarettenpackung den Hinweis auf die gesundheitlichen Schäden, ähnliches wäre auch für alkoholische Getränke denkbar.

Interview: Manuel Simbürger

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